Lindau - «Wirklich große Oper» will der Chef und Gründer der Lindauer Marionettenoper, Bernhard Leismüller, auf die Bühne bringen: «authentisch, glaubhaft und wahr - so spannend, dass man mit den Figuren mitfühlt und mitleidet.» Mit Mozarts «Zauberflöte» eröffnete die Oper am Wochenende die neue Spielzeit.
Auf dem Spielplan stehen zudem Mozarts «Entführung aus dem Serail», Verdis «La traviata», Strauß' «Fledermaus» und Bizets «Carmen». Seit den Anfängen im Jahr 2000 wächst die Zahl der Fans von «Deutschlands einziger Marionettenoper» von Jahr zu Jahr - darunter befinden sich auch immer häufiger Besucher aus dem Ausland.
Tatsächlich haben Leismüller und sein Team die Latte sehr hoch gelegt: «Erst, wenn man glaubt, die Puppen atmen zu hören, in ihren Gesichtern Freude oder Traurigkeit, Glück oder Schmerz entdeckt, ist das Bewegungsspiel vollkommen - und wenn dann noch die Zuschauer vergessen, dass auf der Bühne 'nur' Marionetten agieren, dann haben wir unser Ziel erreicht.» Dass dies offensichtlich gelungen ist, beweisen die über 70 000 Besucher bei den mehr als 1000 Vorstellungen in den vergangenen neun Jahren.
«Puppenspielen ist meine größte Leidenschaft», sagt Leismüller. Begonnen habe er damit im zarten Alter von elf Jahren, als er in seiner Heimat in Bad Tölz beim dortigen Marionettentheater mitspielen durfte. Anfangs hieß das nur «Vorhang auf - Vorhang zu» oder auch mal den «Wagen hin- und herschieben», erzählt der heute 31-Jährige. Dann kamen aber auch schon die ersten Rollen. Beim damaligen künstlerischen Leiter des renommierten Marionettentheaters, Oskar Paul, lernte Leismüller schließlich auch noch das Puppenbauen.
Mit rund 30 dieser selbst gebauten Puppen kam Leismüller als «Existenzgründer» im Jahr 2000 nach Lindau, um sich den Traum von einer Marionettenoper zu erfüllen. Für sein Konzept fand er bei der Kulturamtsleiterin der Stadt, Angela Heilmann, sofort ein offenes Ohr. Sie erinnert sich: «Ich merkte schnell, mit welcher Leidenschaft und Ernsthaftigkeit dieser junge Mann bei der Sache war. Und gleichzeitig wurde mir klar, dass es sich bei ihm um einen Puppenspieler der aussterbenden Sorte handelte.»
Leismüller musste damals «buchstäblich bei null anfangen» - es existierte weder eine Bühne noch ein Ensemble. Heute blickt die Lindauer Marionettenoper auf eine atemberaubende Entwicklung zurück. Etwa 320 Puppen - zwischen 60 und 80 Zentimeter groß - hat Leismüller inzwischen selbst gebaut. Sogar die Kostüme hat er nach historischen Bildern selbst geschneidert. Zum Ensemble gehören mittlerweile 13 Puppenspieler - insgesamt arbeiten mehr als 20 Leute für die Marionettenoper. Ein zwischenzeitlich gegründeter Förderverein zählt über 180 Mitglieder.
Wurde anfangs nur mit einem Provisorium gespielt, so verfügt die Marionettenoper heute über eine fest eingebaute Bühne im Gebäude des Lindauer Stadttheaters. Um die intime Atmoshäre des Zuschauerraums beizubehalten, wurden auch nach dem großen Umbau im Jahr 2004 nicht mehr als 90 Sitzplätze installiert. Das kleine Unternehmen trägt sich weitgehend selbst, nur die benötigten Räume werden von der Stadt kostenlos zur Verfügung gestellt. Zurzeit liegt die Auslastung bei rund 90 Prozent - Tendenz steigend. Was Leismüller besonders freut: «Nicht selten reisen Zuschauer mehrere Hundert Kilometer an, um eine der Aufführungen zu erleben.»
Das Repertoire umfasst mittlerweile sieben Opern und eine Operette. Etwa alle zwei Jahre kommt eine neue Produktion dazu. «Weil Routine nicht selten zur Spannungslosigkeit führt», wie Leismüller meint, wird jede Oper «spätestens nach drei Jahren komplett neu gestaltet - neue Puppen, neues Bühnenbild, neue Inszenierung und neue Besetzung». Alle Opern (mit Ausnahme «La traviata») sind in deutscher Sprache gesungen, «damit sich die Zuschauer ganz auf das Figurenspiel konzentrieren können».
«Das Konzept ist aufgegangen», freut sich Kulturamtschefin Heilmann. Lindau könne «stolz sein auf dieses Juwel». Die Marionettenoper sei ohne Zweifel für den Tourismus der Bodenseestadt eine Attraktion. Doch sehe sie in der Einrichtung darüber hinaus einen «Bildungsauftrag, um die Oper auch einem jugendlichen Publikum nahezubringen», zumal mit den jugendlichen Mitspielern zusätzlich «Jugendarbeit» geleistet werde. Und schließlich biete die «große Tradition des Marionettenspiels auch noch ein Kontrastprogramm gegenüber einer zunehmenden Event-Kultur», sagt Heilmann.