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Beeindruckend ernst und engagiert bei der Sache: die Mitwirkenden in "Smiling Doors" an der Jungen Oper Stuttgart. Foto: A.T. Schaefer
Beeindruckend ernst und engagiert bei der Sache: die Mitwirkenden in "Smiling Doors" an der Jungen Oper Stuttgart. Foto: A.T. Schaefer
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Zurück ins Leben: „Smiling Doors“ an der Jungen Oper Stuttgart – ein Musiktheaterprojekt mit an Krebs erkrankten und gesunden Jugendlichen

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Stille, viel Stille wird hörbar in "Smiling doors", einem nachdenklichen Musiktheaterprojekt, das die Junge Oper der Staatsoper Stuttgart jetzt mit Jugendlichen erarbeitet und im Stuttgarter Kammertheater uraufgeführt hat. Die meisten von ihnen haben einen persönlichen Bezug zur Krebskrankheit. Einige sind gesund, andere haben den Krebs besiegt oder sind noch in Behandlung, andere haben Bruder oder Schwester durch die Krankheit verloren.

Geprobt wurde in den Ferien in der Leitung der Junge-Oper-Chefin Barbara Tacchini und ihrer Freiburger Kollegen vom Jugendkulturprogramm "Element 3" – der Sozialpädagogin Margarethe Mehring-Fuchs und dem Musiker Ro Kuijpers. Herausgekommen ist dabei eine Art Gefühlsrevue aus vielen kleinen Szenen, die durch meist ruhige Musikeinlagen verbunden werden. Zusammenhang schafft auch eine kleine geheimnisvolle Botin aus einer anderen Welt, die zwischen den Episoden auf einem Kinderfahrrad ihre Runden dreht: "Nächster Halt: Himmel! Ausstieg in Fahrtrichtung links".

Viele Themen werden angeschnitten: Tod und Trauer, das Leben nach dem Tod, aber auch Lebensfreude und Hoffnung. Roter Faden ist die Geschichte eines Mädchens, das seine Schwester an den Krebs verloren hat. Sie versucht nun, mit ihrer Trauer zu leben und mit ihren eigenen Schuldgefühlen zurechtzukommen, wird immer wieder von ihren Erinnerungen an die geliebte Schwester eingeholt, träumt sie sich zurück ins Leben. In emotional starke Bilder wird ihre Einsamkeit übersetzt, etwa wenn die Schulclique sie orkanartig mit guter Laune überfällt, ihr Zimmer in Beschlag nimmt, sie erfolglos aus ihrer Trauer herausholen will. Oder wenn ein Sprechchor gebetsmühlenartig hohle Phrasen wie "du musst positiv denken",  "wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her" oder "die Zeit heilt alle Wunden" skandiert und dabei immer aufdringlicher wird. Oder sie ihren Freund immer wieder abweist, der sich mit Verständnis um sie bemüht und sie am Ende auch wieder erreicht.

Die Texte haben die Jugendlichen selbst geschrieben, und auf viele künstlerische Fragen Antworten gefunden. Wie etwa kann man den Tod darstellen? Drei Jugendliche erfreuen sich des Lebens, da öffnet sich eine Türe – Zentrum des spartanischen Bühnenbildes von Katja Gehrke –, und ein Kind lockt "Komm, komm!". Ein Mädchen aus der Gruppe folgt der Aufforderung, dann ein zweites. Der Junge schreit: "nein, geh nicht". Die Türe schließt sich. Er bleibt alleine zurück.

Die Kerngeschichte wird ergänzt durch Assoziatives: durch einen Tanz der Marionetten, die am Ende in sich zusammenfallen, oder durch eine Episode, in der ein sensibler Junge von seinen Mitschülern drangsaliert wird, weil er Gedichte schreibt und auf seiner Gitarre verträumte Lieder wie "ich war verliebt und dachte mir so viel dabei" spielt, bis ihm einmal ein Mädchen wirklich zuhört. Auch so fühlt sich das Leben eben an. Nicht immer nur so frei, wie wenn man im Segelboot sitzt und der Wind einem das Haar zerzaust.

Die Jugendlichen sind beeindruckend ernst und engagiert bei der Sache. Auch beim Musikmachen. In Klangflächen-Improvisationen lassen die Kids schöne und hässliche Töne ineinander fließen – Röhren werden in einen Wassereimer getaucht und mit einem Tischtennisschläger bearbeitet, Metallscheiben und diverse Perkussionsinstrumente zum Klingen gebracht. Darüber entfalten sich einfache Klaviermelodien und textfreier Sologesang.

Als irritierend in diesem sonst locker-assoziativen und charmant-jugendlich inspirierten Abend stellte sich das Zitieren eines einzigen Fremdtextes dar. Ausgerechnet Georg Büchners trostlos nihilistische Märchenparodie vom "armen Kind" aus dem "Woyzeck" hatte das Regie-Team ausgewählt, um sie in den Mittelpunkt des Abends zu stellen. Ein Mädchen erzählt sie und legt sie ihrem Teddybären in den Mund. Nun ist es ein "arm Bär", der zum Mond kommt, der nur noch ein "Stück faul Holz" ist. Wollte man da der Kunst auf die Sprünge helfen? Und warum muss sich gerade dieser unerhört radikale Text eine derartige Verniedlichung gefallen lassen? Selbst im Programmheft war kein Hinweis auf das Original zu finden.

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