Brigitte Fassbaender inszenierte eine „Frau ohne Schatten“ in Kiel und will dabei unter anderem zeigen, wie „eine gleichberechtigte, von Verständnis füreinander getragene, tolerante Partnerschaft“ zu erreichen sei. Unser Kritiker Arndt Voß hat diesen Anspruch überprüft.
Richard Strauss‘ Opern werden gern inszeniert. In allen sind es dramatische Frauengeschicke, die offensichtlich berühren, das der Salome, der Elektra und ihrer Schwester Chrysothemis, auch das der köstlich frivolen Feldmarschallin und ihres Rosenkavaliers. Nicht ganz so oft hört man von Ariadne und Zerbinetta oder von Arabella und ihrer als Mann verkleideten Schwester Zdenka. Sehr zurückhaltend sind die Opernbühnen bei den anderen Werken des Münchners. Dabei bietet „Die Frau ohne Schatten“ gleich drei große Frauenpartien, eine glänzende Herausforderung für Soprane, sich dieser unterschiedlichen sowie hintergründigen Figuren anzunehmen. Das Theater Kiel traute sich und hatte, gemessen am Applaus, einen grandiosen Erfolg (Premiere: 9. März 2019).
Erfolg der Regie
Die Voraussetzungen waren besonders. Immerhin war eine Regisseurin gewonnen worden, die Richard Strauss in jeder Hinsicht kannte. Brigitte Fassbaender ist es. Seit 10 Jahren leitet sie das Richard-Strauss-Festival in Garmisch-Partenkirchen, dort wo der Komponist vor 70 Jahren verstorben ist. Zudem hatte sie für 12 Jahre den Vorsitz in der Richard Strauss-Gesellschaft. All das prädestinierte für solch eine Aufgabe, mehr noch, dass sie in ihrer internationalen Karriere die Rollen unterschiedlichster Komponisten selbst gestaltet hatte. Seit 25 Jahren steht sie nicht mehr auf der Bühne, verantwortet dafür die gesamte Inszenierung, und das im Sprech- wie Gesangstheater – eine beachtliche Leistung einer Frau, die in diesem Jahr 80 Jahre alt wird.
Sie führte zum zweiten Mal in Kiel Regie. In der Spielzeit 2014/15 war es Tschaikowskis „Eugen Onegin“, jetzt das Werk von Richard Strauss, ausgesprochen lang und schwierig für die Sänger, aber auch für die Deutung von Geschehen, die Mythisches wie Rationales umfassen und verwirrend vieldeutig sind. Ihr gelang es, weder das Zauberische der Märchenwelt noch das Triviale der Menschen zu übertreiben. Dabei half das eher sachliche Bühnenbild von Helfried Lauckner, das sowohl Martin Witzel durch eine ausgesprochen feine Lichtregie belebte als auch Julia Scheeler durch dienliche, aber nirgends pompöse Kostüme. Den raschen Wechsel erlaubte sinnvoll die Hebetechnik der Bühne.
Die Regie setzte vor allem auf die Leistung der Darsteller, im Gesanglichen wie vor allem im Darstellerischen und forderte vor allem die drei Frauen heraus, die Kaiserin und ihre Amme sowie die Färberfrau. Aber es ist nicht nur wegen der drei Hauptpartien ein Frauendrama, denn es geht im Kern um die Fähigkeit zu gebären. Das ist der Kaiserin in diesem von Hugo von Hofmannsthal erdachten Märchensujet nicht gegeben, weil sie als Tochter des Geisterkönigs keinen Schatten hat, eine Umschreibung dafür, dass sie unfähig ist, mit dem ihr angetrauten Kaiser ein Kind zu haben. Eine Frist von 12 Monaten ist dem Paar gesetzt. Gelingt es darin nicht, wird der Kaiser versteinern. Ihre Amme, ein Wesen zwischen den Welten, will ihr den Schatten besorgen, indem sie ihn einer Menschenfrau abkauft. Die findet sie in der Frau des Färbers Barak, die von ihrem Mann enttäuscht ist, weil er sie nach „dritthalb Jahren“ nicht „zu einer Mutter“ gemacht habe und jetzt selbst keine Lust mehr hat. „Gelüsten danach habe ich abtun müssen von meiner Seele: Nun ist es an dir, abzutun Gelüste, die dir lieb sind.“ Ist die Kinderlosigkeit also Schuld der Männer, denn auch über den Kaiser verlautet die Amme gleich anfangs: „Er ist ein Jäger und ein Verliebter, sonst ist er nichts!“
Aus dem entwickelte Brigitte Fassbaender ihre Deutung. Sie will zeigen, wie „eine gleichberechtigte, von Verständnis füreinander getragene, tolerante Partnerschaft“ zu erreichen ist (siehe Anmerkungen zur Regie im Programmheft). Damit haben beide Paare auf unterschiedlichen Ebenen zu kämpfen. Das macht zudem den Reiz von Hofmannsthals Libretto aus, das Strauss zugleich mit seiner ihm eigenen Charakterisierungskunst in Musik gesetzt hat und vom Kieler Orchester unter Georg Fritzschs Leitung sehr sensibel nachgezeichnet wird.
Die Inszenierung fragt nach dem gleichberechtigten Miteinander. So sind die Szenen zwischen Barak und seiner Frau von anrührender Dichte. Rebecca Nash verkörpert und singt sie mit allen Fassetten zwischen Verweigerung und Zuneigung, von unbewusster Begierde und von kalkülhaftem Verhalten. Dem Färber gibt Thomas Hall, als Gast schon häufig in Kiel, die starke Kraft des in sich Ruhenden. Nichts erschüttert ihn und seinen klangvollen Bariton. Das kaiserliche Gegenpaar gestalteten Agnieszka Hauzer und Bradley Daley. Es ist mehr noch als das Färberpaar durch Konventionen geprägt. Die Sopranistin ist in Kiel hoch geschätzt, machte aus ihrer Rolle wieder ein Kabinettstück, vor allem in ihrer Verzweiflung, aus dem Zwiespalt zwischen Gewissen und Liebe einen Ausweg zu finden. Die männliche Seite hatte es wie bei den Menschen einfacher. Der Heldentenor von Bradley Daley glänzte dabei wieder in seiner zuversichtlichen Kraft. Einen besonders starken, vielseitigen Eindruck hinterließ Irmgard Vilsmaier, wenn sie sich zunächst im Dienste der Kaiserin bewährt, dieser Vertrauen einzuflößen, dann mit mephistophelischer Attitüde die Frau zu manipulieren beginnt, um schließlich, nach der Läuterung der Kaiserin, in Verzweiflung verbannt zu werden. Das ist ein Seelendrama von imponierendem Gewicht, das sie in allen Lagen kraftvoll und sicher formt.
Nebenfiguren und ein Deutungsversuch
Die vielen Nebenpersonen, die teils die Handlung verwirren, führt Brigitte Fassbaender dennoch mit Gespür für ausdrucksvolle Gesten und sprechender Interaktion. Hervorzuheben sind Vigdis Bergitte Unsgård als Falke in feiner, zugleich charakteristischer Nachahmung seiner Bewegungen und Caroline Nkwe als wendig dienernder Hüter der Schwelle des Tempels, beide auch stimmlich gewandt. Das waren auch die drei Brüder des Färbers (Michael Müller-Kasztelan mit gut sitzendem Tenor, Matteo Mario Ferretti, der immer wieder als sicherer Bariton überzeugt, und Ivan Scherbatyh, neu im Ensemble als beweglicher, zugleich rund klingender Bass). Ihr Spiel war das von Soldaten, die durch Krieg versehrt waren. Das erweiterte Brigitte Fassbaender, indem sie zu Zwischenspielen, die einen Ortswechsel brachten, Projektionen einblendete. Sie zeigten überraschenderweise eine fauchende Dampflok, auch Kinder in HJ-Uniformen und unter Beschuss.
Eine merkwürdige Deutung ist das. Sie bezieht nicht nur die Zeit ein, in der die Oper entstand, den ersten Weltkrieg, auch den zweiten. Dennoch wirkte es aufgesetzt, wenn am Schluss der Wunsch, Eltern zu werden, sich in die staatlich verordnete Pflicht zur Aufzucht von Kanonenfutter verwandelt, ein Widerspruch zum auf den Vorhang projizierten Ende des ersten Aktes: „Nicht um eures Lebens willen ist euch die Saat des Lebens anvertraut, sondern allein um eurer Liebe willen!“