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Foto: © Bayreuther Festspiele / Konrad Fersterer
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Zwillingswesen – Uraufführung von Zaimoglu/Senkels „Siegfried“ bei den Bayreuther Festspielen

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In diesem Sommer wird der 150. Geburtstag des in Bayreuth lange bewusst unterbelichteten Siegfried Wagner mit einer Reihe von Veranstaltungen begangen. Im Markgräflichen Opernhaus gab es zweimal Siegfried Wagners Oper „An Allem ist Hütchen Schuld!“ zu erleben, zwei Ausstellungen beleuchten unterschiedliche Aspekte seiner Kunst sowie Reflexionen in der bildenden Kunst über ihn. Im Rahmen von „Diskurs Bayreuth“ gab es diverse Diskussionsrunden und nun das Auftragswerk „Siegfried“ von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel als Uraufführung. Peter P. Pachl berichtet.

Im Auftrag von Festspielleiterin Katharina Wagner hat Feridun Zaimoglu, zusammen mit seinem dramatischen Koautor Günter Senkel, ein Monolog-Drama in zwei Teilen verfasst, welches den Musikdramatiker, Festspielleiter, Architekt, Regisseur, Maler und Dichter Siegfried Wagner (1869–1930) in einem fiktiven Selbstgespräch zeigt. Dafür hatten sich die Autoren tief in alles Schrifttum über und auch in die Werke von Siegfried Wagner eingelesen. Das Ergebnis ist keine Zitatensammlung oder eine Collage diverser Texte, sondern der Versuch einer Annäherung an die Persönlichkeit des von den Autoren merklich geschätzten Künstlers. Zaimoglu bekannte, er habe sich in die Persönlichkeit Siegfried Wagner so sehr hineingedacht, dass er nun selbst zu diesem geworden sei. Aus diesem Empfinden heraus ist das dramatische Abbild Siegfried Wagners entstanden.

Ein dramatisches Abbild Siegfried Wagners

Einzige Bedingung der Auftraggeberin an Zaimoglu und Senkel war, es müsse ein Monolog werden. Doch im Arbeitsprozess, insbesondere in der Inszenierung von Philipp Preuss, ist daraus nun doch mehr und mehr ein Dialog geworden, auch optisch: die Gestalt Siegfried Wagners ist aufgeteilt in zwei Schauspieler, in Felix Axel Preißler und Felix Römer.

Jeder der beiden spielt dialogisch teils Siegfried Wagner, teils dessen Jugendgeliebten Clement Harris und insbesondere Winifred Wagner, mit welcher in der Uraufführungs-Inszenierung der pausenlose zweistündige Abend beginnt: während eines akustischen Zitats aus dem Film von Hans-Jürgen Syberberg geistern in einer schwarz-weißen Videoprojektion die beiden Darsteller in altem Wagner-Kostüm mit Flügelhelm und Rüstung und einem Mikrofonständer als Lanze, sowie – mit Winifred-Perücke – als Siegfried-Gattin durch das Haus Wahnfried.

Jene Hussen, die seit der Wiedereröffnung des Hauses Wahnfried die nicht originalen Ausstattungsstücke bedecken, hat Ausstatter Ramallah Sara Aubrecht auch für den Bühnenraum herangezogen. Im ehemaligen Stummfilm-Kino Reichshof in der Bayreuther Fußgängerzone ist auf den Bühnenboden Erde vom Festspielhügel aufgetragen. Mit Lichtröhren und viel sichtbar erzeugtem Nebel wird am Ende eine die Hinterbühne füllende Kugel aufgeblasen, auf welche die Köpfe der beiden Darsteller live projiziert werden (Videooperator: Thilo David Heins). Die Siegfriede kennzeichnet der legendäre, hoch getragene Gürtel (mit welchem Siegfried Wagner, worauf Zaimoglu in einer Einführung hingewiesen hat, bewusst Mode gemacht hat), gegürtet über weißer Unterwäsche oder blauem Frack. Unter Wasserfällen aus Plastikflaschen lösen Preißler und Römer ein durchaus fesselndes Spiel aus. Wenn Siegfried Wagners verhasster Schwager Houston Stewart Chamberlain zitiert wird, kotzt dieser seine verächtlichen Sätze hustend heraus, wobei das Unsag- und Unhörbare auf Übertiteln zu lesen ist. Ansonsten artikulieren die beiden Darsteller gut textverständlich.

Die sich vielfach widersprechenden, überlieferten Haltungen Siegfried Wagners zur politischen Entwicklung nach dem Ersten Weltkrieg werden in der Aufführung auf die beiden Siegfriede als Zwillingswesen aufgeteilt. Dabei wird auch deutlich, dass einige der ihm gern zugeschobenen nationalistischen Äußerungen nicht von ihm selbst, sondern von seiner Gattin stammen, die ihre Briefe jahrelang statt mit „Winifred Wagner“ zunächst mit „Frau Siegfried Wagner“, dann nun noch mit „Siegfried Wagner“ unterzeichnet hat.

Siegfriede als Zwillingswesen

Undurchsichtig wird die Gemengelage durch die Vermischung von Zitaten aus unterschiedlichen Perioden. Nach der Lektüre von Hitlers „Mein Kampf“ hat Siegfried Wagner unmissverständlich Position gegen die Hitler-Bewegung bezogen, ist offen als Philosemit aufgetreten und hat in seiner letzten Oper, die er jedem Besucher zu seinem 60. Geburtstag auf den Teller gelegt hat, die fatalen Absichten des kommenden Führers vor Augen geführt und hat diesen am Ende seiner Opernhandlung zur Strecke gebracht.

Das Uraufführungsteam hat den Dramentext stark gekürzt und auch selbst Texte ergänzt. Wenn dieser einmal gedruckt erscheint, ist in Zaimoglu/Senkels Stücktext sicherlich mehr Erhellendes nachzulesen.

Das Autorenteam hat das Jahr 1914 – den Ausbruch des Ersten Weltkrieges und das Ende der Bayreuther Festspiele für eine zehnjährige Pause, sowie das Ende des Tantiemeflusses durch die Werke Richard Wagners – als ersten Teil gewählt, den zweiten Teil als Rückblick im Jahre 1930, nach der Probenarbeit an seiner legendären „Tannhäuser“-Inszenierung angesiedelt. Dieser Topos bietet die Chance zur Rückerinnerung auf Stationen seines zu Ende gehenden Lebens, auch an seine frühe Jugend.

Auch „The Siegfried Wagner Story“, 2004 beim Philadelphia Festival war ein Monodram, in welchem der Komponist am letzten Tag seines Lebens in diverse Rollen seiner Familie und Zeitgenossen zu schlüpfen, seine politischen Statements zu geben aber auch Höhepunkte aus seinen Opern zu singen hatte – denn die monologisierende Protagonistin war damals die amerikanische Sopranistin Rebecca Broberg.

In der Schauspielaufführung von Zaimoglu/Senkels „Siegfried“ werden zweimal Vokalkompositionen von Siegfried Wagner – die deutlich autobiografisch orientierten Werke „Das Märchen vom dicken fetten Pfannekuchen“ und „Wahnfried-Idyll“ – textlich interpretiert, aber den ganzen Abend erklingt nicht ein musikalisches Motiv dieses Komponisten.

Nach einem ein Orchester alludierenden Präludieren und Einstimmen werden von Alexander Nemitz Klänge, frei nach Richard Wagner, gesampelt. Dies passiert bisweilen so dröhnend, dass sich zahlreiche Besucher immer wieder schützend die Hände auf die Ohren legen. Bach wird zitiert, doch wenn von Cosimas Klavierspiel des Liedes „Lob der Tränen“ die Rede ist (basierend auf einer ausschließlich von Siegfried Wagner in seinen „Erinnerungen“ überlieferten Episode kurz vor dem Tod seines Vaters) erklingt nicht dieses Schubert-Lied.

Am Ende des pausenlosen, zweistündigen Uraufführungsabends intensiver Applaus und zahlreiche, tiefer schürfende Gespräche der Besucher*innen über jenen Künstler und Menschen, der all zu lange bewusst totgeschwiegen wurde. Die hierbei zu kurz gekommene Musik Siegfried Wagners ist am kommenden Samstag im Markgräflichen Opernhaus zu hören, mit Ausschnitten aus jenen Opern, die in den nächsten Jahren – parallel zu den Richard Wagner-Festspielen – in Bayreuth auf der Bühne zu erleben sein sollen. Das Solistenkonzert begleitet der Dirigent und Komponist David Robert Coleman, der in der Vorwoche mit dem Symphonieorchester Karlsbad auch die Aufführungen von Siegfried Wagners Opus 11, „An Allem ist Hütchen Schuld!“ geleitet hat.


  • Weitere Aufführungen: 15., 19. und 21. August 2019.

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