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Passau

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Große Ereignisse in einer kleinen Stadt
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Die Kelten und die Römer waren schon da, die drei Flüsse – Donau, Inn und Ilz – sind immer noch da sowie eine überwiegend intakte barocke Altstadt mit gewichtigen Baudenkmälern der italienischen Renaissance. Mitten drin, auf einem sanften Hügel, steht die alles beherrschende Dom-Kathedrale St. Stephan, in der die größte Kirchenorgel der Welt residiert. Das fünfmanualige (räumlich geteilte) Instrument aus der Passauer Orgelbau-Firma Eisenbarth verfügt über mehr als 17.000 Pfeifen und 233 klingende Register. Zwischen Frühjahr und Herbst erklingt es täglich zur Mittagsstunde für aberhunderte von Touristen, die buchstäblich zu ihm pilgern. Wer kann jetzt noch daran zweifeln? Es geht um Passau, das bayerische Venedig, Zentrum eines ehemaligen Fürstbistums, dessen geistliche Oberhoheit bis in die ungarische Puszta reichte.

Der Drei-Flüsse-Ort Passau in Niederbayern beheimatet das Festival Europäische Wochen Die Kelten und die Römer waren schon da, die drei Flüsse – Donau, Inn und Ilz – sind immer noch da sowie eine überwiegend intakte barocke Altstadt mit gewichtigen Baudenkmälern der italienischen Renaissance. Mitten drin, auf einem sanften Hügel, steht die alles beherrschende Dom-Kathedrale St. Stephan, in der die größte Kirchenorgel der Welt residiert. Das fünfmanualige (räumlich geteilte) Instrument aus der Passauer Orgelbau-Firma Eisenbarth verfügt über mehr als 17.000 Pfeifen und 233 klingende Register. Zwischen Frühjahr und Herbst erklingt es täglich zur Mittagsstunde für aberhunderte von Touristen, die buchstäblich zu ihm pilgern. Wer kann jetzt noch daran zweifeln? Es geht um Passau, das bayerische Venedig, Zentrum eines ehemaligen Fürstbistums, dessen geistliche Oberhoheit bis in die ungarische Puszta reichte. Weitreichend ist die Bedeutung der Geistlichkeit auch in der gewichtigen Musikgeschichte dieser Stadt, denn jene wurzelt buchstäblich in der Domkirche, von der bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nahezu alle Impulse ausgingen, die mit der holden Tonkunst in Verbindung gebracht werden können (siehe „Passauer Musik-Geschichte“ von Heinz-Walter Schmitz, Verlag Karl Stutz, Passau 1999). Neben der großen Orgel, die – abgesehen von ihrer durchgehend liturgischen Funktion – auch im Mittelpunkt einer ganzjährigen Konzertreihe mit internationalen Organisten steht, haben ein ausgezeichneter Chor sowie das exzellente Domorchester eine gewichtige Stimme im Konzert der Passauer Musikentfaltung. In der Reihe „Geistliche Konzerte“, die über das Jahr neben dem sonntäglichen Dienst erweitert die einschlägige Mess- und Oratorien-Literatur bedienen, sitzen jeweils um die 1.000 andächtige Zuhörer.

Säkularisiert wurde das Musikleben an den drei Flüssen erst vor gut 150 Jahren mit dem gesellschaftlichen Bedeutungszuwachs eines saturierten Bürgertums. Und das hat durchaus anhaltend positiv ausgestrahlt: Zum Beispiel in die 1842 gegründete Liedertafel, seit Anfang der 50er „Gesellschaft der Musikfreunde“, die, abgesehen von der Nazizeit, dem kulturellen Herzschlag der Stadt ununterbrochen Impulse gegeben hat. Mit grossen Werken von Bach bis Orff. Seit über 150 Jahren trägt sie einen beständig aufgefrischten Chor von beachtlicher Qualität und 20 Jahre den „Passauer Konzertwinter“, der in der „kulturellen Eiszeit“ auf seinem Gebiet mit Kammermusik und herausragenden Künstlern wie außerordentlich interessanten Programmen kulturelle Wärme spendet. Mit den Konzertreihen des Vereins verbinden sich etwa so bedeutende Namen wie Friedrich Gulda, Stefan Askenase, Andor Foldes, Elisabeth Leonskaja, Rudolf Buchbinder und andere Pianisten. Eine ganze Reihe namhafter Kammermusikensembles bestimmt bis heute die Programme, bei denen es sich längst eingebürgert hat, wann irgend möglich, ein Werk des 20. Jahrhunderts zu berücksichtigen. Das hat in Passau sehr viel Schwellenangst vor der „Moderne“ abgebaut. Das Publikum ist jetzt viel aufgeschlossener als noch vor 20 Jahren. Die zyklische Aufführung aller 32 Klaviersonaten Beethovens mit der Wiener Pianistin Felicitas Keil zählt in der Geschichte der Musikfreunde bislang zu den Meilensteinen unter den außerchorischen Initiativen des Vereins.

Der gleichermaßen altehrwürdige Passauer Konzertverein bietet fähigen Instrumental-Dilettanten wie professionellen Musikern ein Spielfeld, auf dem das Dabeisein wichtiger ist als der Triumph über jede Note. Freilich gibt es immer wieder auch ehrgeizige Projekte wie Beethoven- oder Schubert-Symphonien, anspruchsvolle Instrumentalkonzerte mit namhaften Solisten. Es ist ein sympathischer Verein, der in erster Linie das aktive Musizieren um seiner selbst Willen pflegt. Einen Anspruch, der in einer Zeit vorwiegenden Kulturkonsums in seiner gesellschaftlichen Bedeutung kaum überschätzt werden kann.

Der Passauer Singkreis, einst gegründet vom dem in der Dreiflüssestadt geborenen und aufgewachsenen Dramatiker, Autor und Musiker Reinhard Raffalt (1923–1976), vertrat über Jahrzehnte nahezu allein und kompetent wie in erstaunlicher Repertoire-Vielfalt das Element des anspruchsvollen A-cappella-Gesangs. Studentische Aktivitäten an der Universität und der vor einigen Jahren gegründete Heinrich-Schütz-Chor Vornbach haben mittlerweile das Spektrum auf diesem Gebiet erweitert, aber auch bezüglich der Chor-Orchester-Literatur zu einer Bereicherung geführt. Innerhalb der 1978 gegründeten Alma Mater haben sich neben etlichen Gesangsformationen auch ein respektables Studentenorchester und ein fabelhaftes „Akademisches Orchester“ etabliert, die bei wenigstens einem Auftritt pro Jahr mit ambitionierten Projekten, aber auch auf beachtlichem spielerischen Niveau an die Öffentlichkeit treten. Als Publikum im allgemeinen Kulturbetrieb spielen die rund 10.000 Passauer Studenten hinsichtlich der Präsenz aber bis heute noch nicht die einst erwartete Rolle, was viele Veranstalter selbstverständlich nachdrücklich bedauern.

Zu den tragenden Säulen des Passauer Kulturbetriebs gehört unabdingbar auch das „Ehemals Fürstbischöfliche Opernhaus“. Viele Besucher können es oft nicht glauben, dass die rund 53.000 Einwohner zählende Stadt über eine Oper mit eigenem Orchester und Ensemble verfügt. Das blieb allerdings nur in Solidarität mit anderen kulturwilligen Kommunen möglich. In diesem Fall verbündeten sich Landshut (Schauspiel) und Straubing mit Passau im „Südostbayerischen Städtetheater“ zu einer Institution, die seit über 30 Jahren neben dem exzellenten Schauspiel auch das „selbstgemachte“ Musiktheater im gesamten ostbayerischen Raum lebendig hält. Die Passauer Bühne ist ein kleines bezauberndes Haus im klassizistischen Stil, das einst der regierende Fürstbischof direkt von seiner Residenz aus betreten konnte. Heute dient es den Bürgern, die sich auch bei noch so umstrittenen Inszenierungen von Oper, Operette und Musical nicht abhalten lassen. Das fragile Haus trägt durchaus so Schwergewichtiges wie Verdis „Otello“ oder jüngst gar Wagners „Tannhäuser“. Da werden neben wiederholten Mozartzyklen auch immer wieder Grenzbereiche ausgeschritten. Und das Publikum steht auch zu „seinem“ Theater am Inn, das sich auf eine traumhafte Auslastung berufen kann. Darum wohl fiel es der Stadt Anfang der 90er-Jahre wohl nicht allzu schwer, sich auf eine fast 30 Millionen Mark schwere Gesamtsanierung des historischen Musentempels einzulassen, der dadurch freilich (außer modernster Technik) nicht den geringsten Zuwachs an Spielraum gewann.

Sollte in etwa das beabsichtigte chronologische System eingehalten werden, müssen nun die Festspiele Europäische Wochen Passau (EW) folgen, die 1952 auf nachdrückliche Initiative der US-Besatzer buchstäblich aus dem Boden gestampft wurden. Als hätten sie es geahnt, dass Passau noch in diesem Jahrhundert wieder zum geografischen Mittelpunkt eines Europas ohne „Eisernen Vorhang“ würde, haben die Stadt und später ein Verein (ab 1959) den Gedanken eines zumindest kulturell immerwährend einigen Europas weitergetragen. Diese Vision wurde unbeirrbar am Rande der menschlich undurchlässigen ideologischen Grenzen mit unglaublicher Beharrlichkeit verfolgt und mit dem Zusammentreffen renommierter Künstler und Ensembles aus Ost (vorwiegend) und West kulturell institutionalisiert. Hier hatte der „Eiserne Vorhang“ sodann immer ein Loch. Am Ende der fast 30-jährigen Intendanz des Dirigenten Walter Hornsteiner gab es kaum einen weltweit renommierten Musiker, keine Sängerin und keinen Sänger, kaum ein europäisches Orchester von Ruf, die nicht in Passau aufgetreten wären.

Als 1995 der Münchner Pankraz Freiherr von Freyberg – Initiator und Organisator des Festivals „Europa Musicale“ – Hornsteiners Amt übernahm, trat politisch zeitgemäß ein Wandel ein. Er bestand in einer konsequenten thematischen Bindung eines jeweiligen Festspiel-Jahrgangs. Keine leichte Aufgabe, aber Freyberg stand sie bisher – trotz mancher Angriffe – vor allem mit seiner künstlerischen Kompetenz und unversiegbarer Fantasie durch. Auch er legt Wert auf Stars. Aber eben nicht überwiegend, und wenn, dann müssen sie schon in seinem Konzert der verzurrten Ideen mitspielen. Diese neuen Konturen haben dem Passauer Festival bald die vordem weitgehend verweigerte Reputation internationaler Medien eingebracht. Griechenlands berühmter Held Mikis Theodorakis dirigierte 1999 spektakulär die Uraufführung einer neuen Version seiner Oper „Die Metamorphosen des Dionysos“, zwei Jahre davor hatte ihn das Publikum im Dom schon als Dirigenten seines „Griechischen Requiems“ gefeiert. Der polnische Komponist Krzysztof Penderecki erregte Aufsehen mit seiner immer noch explosiv wirkenden „Lukaspassion“. Er wurde zum Freund eines Festivals, dem er treu bleibt. In diesem Jahr kommt er mit seinem „Polnischen Requiem“ zu den Europäischen Wochen, die unter dem Leitwort „Zukunft braucht Erinnerung“ stehen werden.

Und um das Niveau dieses im Jahr 2000 genau einen Monat währenden grossen Kulturereignisses in einer kleinen Stadt noch einmal kurz anzureißen: Mstislaw Rostropowitsch wird mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks sowie dessen Chor Brittens „War Requiem“ aufführen. Es wird die 3. Symphonie von Henryk Górecki geben sowie die Uraufführung des „Triptichon 2000 für Orchester“ von Ruth Zechlin. Ein Auftragswerk, das sich in den neu formulierten Anspruch fügt, auch hier der Innovation zu dienen. Höchst bemerkenswert sind unter vielem noch eine Art Porträt-Konzert mit und um den Münchner Komponisten Hans-Jürgen von Bose (geb. 1953). Durchschlagender Erfolg ist beim dritten Mal sicher auch wieder der Orgelnacht im Dom von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang beschieden. Sechs Meisterorganisten huldigen dabei an der großen Orgel nur einem: Johann Sebastian Bach, dessen 250. Todestag in diesem Jahr begangen wird.

Die EW sind bewusst ein Mehrsparten-Festival, mittlerweile länderübergreifend nach Österreich und Tschechien. Sie haben aber ihren traditionell bei der Musik liegenden Schwerpunkt nicht aufgegeben. Sie bleibt das Herz dieser Institution, die, je nach dem, in den letzten Jahren zwischen 12.000 bis 15.000 (zahlende) Besucher angezogen hat. Es muss noch gesagt werden, dass die EW sehr stark das musikalische Potenzial der Region einbeziehen und dabei vermehrt dem begabten Nachwuchs eine Chance geben. Der besondere Charme dieses alljährlichen Ereignisses in Sachen Kultur (Etat 3,1 Millionen Mark) liegt jedenfalls jetzt in seiner noch lange nicht ausgetragenen Ambivalenz zwischen dem vehementen Antrieb zu neuen Ufern und einer aufgezwungenen Beharrlichkeit. Bei solcher Schubkraft rauchen manchmal die Bremsklötze: In einer alten, traditionell konservativen Stadt, in der – erstaunlich genug – im Klerus einer der zuverlässigsten Faktoren zu finden ist, wenn es um mutige Entscheidungen bei kulturellen Dingen geht.

Die jüngere Zeit hat in Passau auch das Heranwachsen zweier neuer Orchester erlebt, die sich mit unterschiedlichen Ansprüchen auf einen schwierigen Weg gebracht haben. Das „Sinfonische Orchester Ostbayern“, bestehend aus versierten Laien und erfahrenen Profis, wollte erst einmal unter anderem Namen eine Symbiose von Jazz und „Klassik“, was sich aber nicht als sehr fruchtbar erwies. Heute kooperiert es sehr eng mit dem Chor der Musikfreunde bei großen Oratorien. In wirklich außerordentlich bemerkenswerten Konzerten hat in wenigen Jahren das „Euregio Symphonie Orchester“ (ESO) einen erstaunlich hohen Standard erreicht. Seine Gründung basierte auf der Idee, im Dreiländereck junge Musiker aus Ostbayern, Oberösterreich und Tschechien professionell in einem großen Klangkörper zu binden, der alljährlich projektbezogen und nach ausgeklügelter Einstudierung großdimensionierte Symphonik in allen drei Ländern aufführt. Künstlerisch hat das bisher in beiden Fällen überwiegend hervorragend geklappt. Aber es fehlt halt auch da am lieben Geld. Keiner weiß, wo es plötzlich hingekommen ist. Vor allem, wenn die Kultur danach fragt. In ähnlicher Weise und aus gleichem Impuls entstand allsobald der mit dem ESO eng liierte Drei-Länder-Chor. Basis war und Stütze ist der schon erwähnte und wirklich zu Höhenflügen fähige Heinrich-Schütz-Chor Vornbach.

Internationale Reputation war in kürzester Zeit aus einer Initiative der Städtischen Musikschule hervorgegangen: der „Wettbewerb für Blechbläserensemble um den Preis der Europa-Stadt Passau“ für Profis und Laien. Wer immer da vor der Jury besteht, hat in der Branche europaweit sofort einen Namen. Die Städtische Musikschule überhaupt ist seit Jahrzehnten eine Talentschmiede mit besonderer Erfolgsquote. Denn sie stellt alljährlich auffällig viele Schüler, die aus dem Wettbewerb “Jugend musiziert“ in allen drei Ebenen als „ausgezeichnet“ hervorgehen. Das bedeutet aber nicht nur, dass die Schule besonders herausragend ist, sondern dass das musikalische Nachwuchspotenzial in einem gedeihlichen Musik-Klima aufwächst. Dafür sorgen – trotz aller wachsenden Probleme und Schülerschwund – nachdrücklich auch die vier Gymnasien. Kein Zweifel: Das Musikpublikum von morgen wächst hier immer noch auf einer Insel der Seeligen nach.

Siehe dazu auch: nmz mit system (Musikleben in kleineren Städten

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