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Pendeln zwischen Tradition und Erneuerung

Untertitel
Katholische Kirchenmusik an der Schwelle zum dritten christlichen Jahrtausend · Von Stefan Klöckner
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Kennen Sie den? Kommt ein Mann in einen Buchladen und sagt: „Ich hätte gerne einmal die Weihnachtsgeschichte – aber bitte nicht so christlich!“ Ein Witz? Ist aber passiert! Und kennen Sie den? „Unsere Edition ,Klangwelt der Klöster‘ dokumentiert auf acht CDs die verschiedenen liturgischen Formen, die verschiedenen Repertoires und die unterschiedlichen Gesangsstile der einzelnen Klöster. Von dieser frühen Kirchenmusik geht eine Faszination aus, der man sich auch Jahre nach dem Kirchenaustritt nicht entziehen kann.“ Selten so gelacht? Steht aber in einem Katalog eines einflußreichen CD- und Buch-Versands; es scheint also ernst gemeint zu sein! Apropos „ernst gemeint“: 1991 haben die Deutschen Bischöfe (die es ja stets ernst meinen) ein Rahmenpapier verabschiedet, das sich mit der Kirchenmusik und ihrer Zukunft befaßt: „Die kirchenmusikalischen Dienste – Leitlinien zur Erneuerung des Berufsbildes“. Und was lesen wir da im dritten Abschnitt des ersten Kapitels? „Die Zahl der katholischen Christen, die in Distanz zur Kirche und zum Gottesdienst leben, ist größer geworden. In dieser Situation nehmen die kirchenmusikalischen Dienste einen wichtigen Platz ein, da Musik besonders geeignet ist, der Verkündigung des Glaubens den Weg zu bereiten. Sänger und Instrumentalisten haben so teil an der Glaubensverkündigung der Kirche und sind in einer dem Glauben oft entfremdeten Umwelt Träger christlicher Kultur.“ Kirchenmusik: Werbung für den Glauben, Reklame für den Gottesdienst – als Teil des Verkündigungsauftrages der Kirche? Nicht mehr nur im Binnenraum anzutreffen, sondern an den „Hecken und Zäunen“ unserer Gesellschaft? Hier hat sich anscheinend so allerhand geändert in den letzten Jahrzehnten. Gehen wir dem einmal nach! Kommen Sie mit? Momentaufnahmen Momentaufnahme eins: Ein katholischer Sonntagsgottesdienst im Jahr 1930. Eine feierliche, lateinischsprachige Liturgie, konzentriert im Altarraum. Kleriker vollziehen sie nach minutiös festgelegten Riten und für die Gemeinde zumeist nicht nachvollziehbaren Gesetzen. Die Gemeindemitglieder haben Andachtsbüchlein in der Hand, in denen sie gelegentlich fromme Texte lesen, die aber mit dem, was vorne abläuft, nicht viel zu tun haben. Vielleicht singt man ab und zu ein (mühsam geduldetes) deutsches Lied. Zumeist aber musizieren eine Choralschola und ein Kirchenchor, topographisch beheimatet im Rücken der ansonsten schweigenden Gemeinde – auf der Empore! Die Musik ist zumeist wunderschön (sowohl als Komposition als auch in der Ausführung) – und läuft (wie die Gebete der frommen Gläubigen auch) neben den komplizierten liturgischen Aktionen im Altarraum ab. Daher kann sie sich gut entfalten, hat viel Platz, kann viel Zeit beanspruchen. Momentaufnahme zwei: Ein katholischer Sonntagsgottesdienst im Jahr 1999. Der Altarraum ist geblieben, aber inzwischen kräftig renoviert. Der Priester steht nun nicht mehr mit dem Rücken, sondern mit dem Gesicht zum Volk, der Altar ist also mehr in Richtung Gemeinde gerückt worden. Man soll nun alles sehen, nachvollziehen – nein, mehr noch: mitvollziehen können. Die Gemeinde singt nun nicht mehr mühsam geduldete, sondern „legalisierte“ deutsche Lieder – und diese (fast) ausschließlich –, manchmal geradezu zwanghaft verordnet. Der Chor – inzwischen in die Jahre gekommen – ist immer noch auf der Westempore beheimatet (etwas wenigstens muß ja so bleiben, wie es früher war!), singt auch noch (wenn auch wesentlich seltener als früher) seine lateinischen Messen, hat aber größte Probleme mit dem erneuerten gottesdienstlichen „timing“: Da sein Gesang nun nicht mehr neben der eigentlichen liturgischen Aktion herläuft, sondern selber eine liturgische Handlung ist, kann nichts anderes mehr parallel geschehen – und die Musik steht immer häufiger im (oft nicht unbegründeten) Verdacht, den Fluß der liturgischen Handlung mehr aufzuhalten als den Gottesdienst feierlich zu gestalten. Zudem: Viele Gläubige wollen gar nicht so aktiv sein im Gottesdienst; sie sehnen sich vielmehr (zurück) nach der alten, beschaulichen Meditation – einer der wenigen wirklichen Ruhepunkte im Leben der Menschen, die heute noch möglich sind. Konflikte Die katholische Kirchenmusik steckt gegenwärtig in mehreren Konflikten – aber auch darin ist sie ein getreuer Spiegel der Kirche als ganzer! Und so, wie die kirchliche Tradition (entgegen der Meinung einiger ihrer konservativen Hüter) nie durchweg den geraden Weg der Traditionen ging, sondern sich eigentlich nur in ihrer schlangenlinienartigen Fortbewegung treu blieb, so ist es auch mit der Musik in der Kirche – sie steht zwischen traditionellem Repertoire und erneuerten Formen, zwischen theologischer Anforderung und mentaler Überforderung, zwischen kurzlebigem Zeitgeist und angsterfüllter Konservativität. Will man einige der Konfliktfelder skizzieren, so kann man vielleicht folgende Punkte anführen: Innerhalb der Kirche steht die Musik unter einem zunehmenden pastoralen Legitimationsdruck: Sie muß ihre Relevanz erweisen! Nicht zuletzt mit Blick auf die stark zurückgehenden Finanzen wird in den Gemeinden, die zunehmend die finanziellen Lasten (Personal- und Sachkosten) tragen müssen, die Frage immer lauter: „Was bringt uns das?“ Und alle in der Gemeinde Tätigen stellen dann ihre Anforderungen an den/die Kirchenmusiker/in: Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Alte – die Gemeindereferentin und der Pastoralreferent, der Diakon und die Pfarrgemeinderatsvorsitzende, der Pfarrer ... Alles soll er nun machen, für alle(s) ansprechbar sein, jeden musikalischen Stil bejahen, möglichst beherrschen und auch umsetzen in den verschiedensten Formen des gottesdienstlichen Lebens – ja, geht denn u das? Und wenn ja, wie? Wo wir in der sich stets weiter ausfaltenden Pluralität kultureller Entwürfe und Geschmäcker, die in unserer Gesellschaft ohne Wertung nebeneinander stehen können, auch ein entsprechend wachsendes und sich ständig weiter ausdifferenzierendes (semi)-Musik-Management vorfinden, soll dieselbe Arbeit in einer multi-musikalisch geprägten Kirchengemeinde ein Einzelner leisten können? An den Musikhochschulen steht die Kirchenmusik zunehmend unter dem Druck allzustarken Praxisbezugs, der angeblich die künstlerische Entwicklungsfreiheit in der Ausbildung hemmt und durch den zugleich „einer Musikhochschule unwürdige Unterrichtsinhalte“ (so äußerte sich vor kurzem ein Professor in einem Gespräch) aufgenommen werden müssen – wie Kinderchorleitung, Popularmusik und Deutscher Liturgiegesang. Zudem ist der Fächerkanon in der Kirchenmusikausbildung (ehedem ob seiner Vielseitigkeit geschätzt) inzwischen so opulent geworden, daß man sich in der Tat zu fragen beginnt, wie man das in acht, neun oder auch zehn Semestern schaffen und zugleich jemanden künstlerisch ausbilden, prägen, reifen lassen kann. Die liturgisch zugewiesene Rolle der Kirchenmusik steht oft in Spannung zu ihrer Realisierung. Zum einen muß das Volk nun mit Rufen, Liedern oder Antiphonen am aktiven Vollzug beteiligt werden – zum anderen soll die Musik die Riten „mit größerer Feierlichkeit“ (so das die Liturgie betreffende Dokument des II. Vatikanischen Konzils, die Konstitution „Sacrosanctum Concilium“) umgeben. Nun ist die ästhetische Qualität des vor 30 Jahren meist eher mühsam als erfolgreich komponierten Deutschen Liturgiegesangs, wie er sich im Einheitsgesangbuch Gotteslob findet, größtenteils für den Aspekt der Feierlichkeit nicht geeignet (kleinerenteils – aus praktischen Gründen – noch nicht einmal für die Beteiligung der Gemeinde). Weiter: Der Kirchenchor soll „den Schatz der Kirchenmusik“ (also die Werke vergangener Jahrhunderte) „mit größter Sorge“ pflegen und bewahren (wieder das II. Vatikanische Konzil) – wie aber geht das unter den oben schon skizzierten Bedingungen der erneuerten Liturgie? Wie eine große Haydn-Messe (zweifelsohne eines der eindrucksvollsten Zeugnisse des Schatzes der Kirchenmusik), die für eine Klerus-Liturgie ohne aktive Gemeinde konzipiert ist, musizieren im Rahmen einer Liturgie, in der nun die versammelte Gemeinde die tragende Rolle hat und die kein Nebeneinander von musikalischen und liturgischen Meßteilen mehr kennt, sondern nur noch ein Nacheinander? Schließlich: Liturgische Musik – lange Jahrhunderte dazu dienend, den Glauben auszudrücken, ihn zu feiern und zu bekennen, wird in unserer Zeit stillschweigend zur Musik, die religiös beeindruckt: diffus, unreflektiert, bis an die Grenze des Esoterischen gehend – faszinierend „auch Jahre nach dem Kirchenaustritt“ (s.o.) – ein stillschweigend akzeptierter, in seinen Auswirkungen aber doch dramatischer Paradigmenwechsel. Visionen Quo vadis Kirchenmusik? Da ist keine eindeutige Prognose möglich. Aber einige Visionen kann man formulieren, Gedankenanstöße vielleicht, was Wegmarken für die Kirchenmusik an der Schwelle zum dritten christlichen Jahrtausend sein könnten. Originalität Dies meint vor allem eine für die in den Gemeinden Feiernden lebensnahe Authentizität. Dazu gehört ein ehrliches Bekenntnis zu dem, was in einer von (auch musikalischen) Laien durchsetzten Gemeinde überhaupt leist- und nachvollziehbar ist, genauso wie das unverwechselbare persönliche Glaubenszeugnis desjenigen, der Musik in der Kirche treibt. Natürlich ist er nicht der Kapellmeister eines reinen „Halleluia-Clubs“ – schließlich leben wir nicht in Amerika und arbeiten auch nicht in einer Fernsehkirche, für deren Gottesdienst der Heilige Geist offenbar sein wöchentliches persönliches Erscheinen zugesagt hat! Aber als Musiker ein Christ zu sein – glaubend, zweifelnd, ringend, jubelnd, fluchend, trauernd, getröstet – das überzeugt aus erlebter und musikalisch kultivierter Erfahrung heraus. Das ermöglicht auch den anderen, die mit suchen, ringen, fluchen und feiern, Identifikation, Beheimatung, Weg-Gemeinschaft. Qualität Will man dies alles ausdrücken können, braucht man schon eine mehr als gediegende musikalische Begabung und handwerkliche Befähigung. Allerdings ist die musikalische Qualität (die nicht in den olympischen Kategorien der Virtuosität „schneller – lauter – mehr“ zu messen ist) situativ: das Einspüren auf den Raum gehört dazu – welcher Musikstil in welchem Kirchenraum, welchem Timing, von welchen Orten aus? Wie verhalten sich Musik und Text – hinsichtlich der Pausen, der liturgischen Spannungskurve und der Qualität der jeweiligen Ausführung? Wie ist die Fähigkeit zur instrumentalen und vokalen Improvisation geschult – zum momentanen Reagieren, zum situativ-einmaligen Deuten (von Bildern, Texten, Glasfenstern...), zur musikalischen „Zeit-Ansage“ mit den handwerklichen und stilistischen Mitteln der Gegenwart? Mut zum Bekenntnis: Wir können nicht allen alles werden In unserer zunehmend sich ausdifferenzierenden Gesellschaft, die inzwischen die Grenzen ihrer eigenen Überschaubarkeit längstens überschritten hat und somit einen generellen soziokulturellen Konsens herzustellen nicht mehr in der Lage ist, kann Kirche keine Volkskirche im herkömmlichen Sinne mehr sein! Welche Konsequenzen das für die pastoralen Strukturen in genere hat, wird momentan auf den verschiedenen Ebenen wohl erst ausgelotet. Für Gottesdienst und Kirchenmusik kann dies bedeuten, daß wir nicht noch mehr Formen und Stile anbieten müssen (und dies auch nicht mehr können!), um die Klein- und Kleinstgruppen unserer Gemeinden individuell zu versorgen und „anzusprechen“: Soll es etwa so weitergehen, daß es für Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Alte, Männer, Frauen, Jungen, Mädchen, ausländische Mitchristen [...] immer mehr eigene Gottesdienste (womöglich mit eigenem musikalischem Repertoire) gibt? Dies können wir (uns) nicht mehr leisten! Aber es kann und muß Gottesdienste geben, die in der Form und durch die Musik so gestaltet sind, daß sie überzeugen, daß sie Menschen anziehen und einladen, auch wenn der Musikgeschmack vordergründig nicht getroffen ist. Wir können den musikalischen Geschmacksnerv der Jugendlichen heute sowieso nicht mehr berühren – und den Experimenten mit den „Techno-Gottesdiensten“ ist deutlich anzumerken, daß das Gegenteil von „gut“ nicht „schlecht“, sondern „gut gemeint“ ist: ein mißratener Werbegag! Versuchen wir das doch gar nicht erst groß, sondern feiern wir Gottesdienste, in denen die Sprache und das Sprechen ehrlich sind, die Musik gekonnt und kultiviert eingesetzt wird (der Stil ist hierbei sekundär), der Raum ansprechend gestaltet und die Feier wirklich feierlich ist – ich bin der Überzeugung, dieser Gottesdienst wird Menschen ansprechen und bewegen! Gedanken ganz zum Schluß Wenn man mich fragt, welche „Eckpfosten“ für die Kirchenmusik an der Schwelle zum dritten christlichen Jahrtausend ich für wichtig erachte, dann möchte ich mit einem Zitat und einer kleinen Geschichte antworten: inhaltlich: „Seid jederzeit bereit, allen Rechenschaft zu geben vom Grund der Hoffnung, die euch erfüllt!“ (1 Petr 3, 15) – gestalterisch: „Ein chinesischer Weiser wurde von einem Suchenden nach dem Grund seiner unerschütterlichen Ausgeglichenheit gefragt. Er antwortete: ‚Wenn ich sitze, sitze ich. Wenn ich aufstehe, stehe ich auf. Wenn ich gehe, gehe ich.‘ – ‚Aber‘, so antwortete ihm der Suchende ,„das tue ich doch auch!‘ – ‚Nein!‘, sagte der Weise, ‚Wenn du sitzt, bist du schon aufgestanden. Wenn du aufgestanden bist, gehst du schon. Und wenn du gehst, bist du schon am Ziel!‘“

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