Banner Full-Size

Pfeifen wir auf dem letzten Loch?

Untertitel
Funktionäre und die Politik nehmen vielen Musikern die Luft zum Atmen
Publikationsdatum
Body

Etlichen Bereichen der Laienmusik hängt der Geruch von Vereinsmeierei und Funktionärsmuff an. Und so gab und gibt es genügend Kritiker, die über einen Leisten all die Millionen von Menschen abqualifizieren, die sich in ihrer Freizeit mit Musik beschäftigen. Fernsehkameras filmen aus der Froschperspektive über ein Bierglas im Vordergrund hinweg die Probe eines Männergesangvereins oder zeigen hochrote Köpfe von Blasmusikern, die ihre Instrumente zwar in der linken Hand halten aber mit der rechten ihre Bierhumpen stemmen. Alles polemische Fälschung oder zumindest doch einseitige Bösartigkeit? In den meisten Fällen sicher – aber...

Etlichen Bereichen der Laienmusik hängt der Geruch von Vereinsmeierei und Funktionärsmuff an. Und so gab und gibt es genügend Kritiker, die über einen Leisten all die Millionen von Menschen abqualifizieren, die sich in ihrer Freizeit mit Musik beschäftigen. Fernsehkameras filmen aus der Froschperspektive über ein Bierglas im Vordergrund hinweg die Probe eines Männergesangvereins oder zeigen hochrote Köpfe von Blasmusikern, die ihre Instrumente zwar in der linken Hand halten aber mit der rechten ihre Bierhumpen stemmen. Alles polemische Fälschung oder zumindest doch einseitige Bösartigkeit? In den meisten Fällen sicher – aber...Wie sieht es denn aus in unseren Vereinen und ihren Vorständen? Wer besetzt die Präsidien und andere Schlüsselpositionen in etlichen Verbänden? Musiker? Dirigenten? Musikpädagogen? Nein, da tummeln sich unbestreitbar mehrheitlich (musikalisch gesehen) Dilettanten! Nun ist nichts dagegen einzuwenden, wenn erfahrene Juristen, Betriebswirtschaftler, Bänker, (Ex-)Politiker, Spezialisten für Öffentlichkeitsarbeit die Bereiche der Vereinsarbeit abdecken, in denen sie natürlich die besseren Fachleute als die Musiker sind. Aber man möchte ihnen doch zurufen: Bleibt bei euren Leisten! Und zugleich den Musikern: Lasst euch nicht die Butter vom Brot nehmen!

Zugegeben – wir haben harte Zeiten. Die Politik hat uns neue Rahmenbedingen aufgezwungen, die nicht immer erfreulich sind. Wir haben uns zu wehren gegen Auswüchse beim Künstlersozialversicherungsgesetz, bei der Ausländersteuer oder beim Steuerrecht überhaupt. Wir haben auch unsere Selbstdarstellung und Öffentlichkeitsarbeit zu prüfen aber...

Wie steht’s denn mit den musikalischen Fragen? Stimmt es, dass die
Initiierung von musikalischen Projekten durch die Verbände und Dachorganisationen nur Ergänzung nebenbei sind, wie kürzlich zu lesen war? Ist es wahr, dass die Vereinsvertreter vor Ort den Dienstleistungen auf musikalischem Gebiet nur geringeres Gewicht beimessen?
Müssen wirklich die Leute in die Schlüsselpositionen, die von Musik fast nichts wissen, dafür aber unbeeinflusst (!) im hauptamtlich-professionellen Bereich arbeiten dürfen? Eine Horrorvorstellung! Zum Glück gibt es ja auch hinreichend genug Beispiele, die das Gegenteil beweisen: hervorragend besuchte Chorleiterkongresse oder -kurse bei den Chorverbänden; die Initiativen der Jeunesses Musicales für neue Formen der Kinderkonzerte; das Projekt „Komponisten schreiben für Kinder- und Jugendchöre“ des AMJ, die rege internationale Begegnungsarbeit der Deutschen Bläserjugend. Hier zum Beispiel blüht die Laienmusik. Hier bringt sie sogar zukunftsweisende Früchte. Bezeichnend aber eben: hinter diesen Projekten stehen als Initiatoren und Beförderer Musiker oder doch zumindest Menschen, die zuerst an die Musik denken. Organisation, Verbandsstruktur, ja auch die Öffentlichkeitsarbeit haben nachrangige, „dienende“ Funktionen. Wenn’s mit den musikalischen Inhalten nicht stimmt – so wissen sie – dann können wir auch auf Dauer nichts bewirken.

Aber Gefahr droht nicht nur von innen. Immer schlimmer wirkt sich auch eine Veränderung in der (bundes-) deutschen Kulturpolitik aus. Nach dem Regierungswechsel in Bonn und Berlin wird vor allem in einem besonders empfindlichen Bereich die Luft immer dünner: in der Kinder- und Jugendkultur. Für viele wichtige Bereiche in der Musik sind hier bundesweite Organisationen zuständig und tätig.

Sie sind angewiesen auf finanzielle Unterstützung aus dem Kinder- und Jugendplan (KJP) des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Nun ist hier schon immer alles geregelt im Kinder- und Jugendhilfegesetz – und das denkt in erster Linie nicht in kulturellen sondern natürlich in sozialen Kategorien. Seit etlichen Jahren ist zwar die „Kulturelle Kinder- und Jugendbildung“ im KJP fest verankert, aber trotzdem gab und gibt es immer besonderen Legitimationsdruck: soweit es nicht um eindeutig soziokulturelle Projekte geht, ist oft eine Augenbraue oben, die signalisieren soll „Na, ist das nicht doch Kultur pur, was ihr da macht? Ist das bei uns richtig?“ Und ganz ausdrücklich hieß es jüngst „Ihr macht ja nur Musik!“ als nach 19 Jahren das Projekt „Internationale Jugendmusiktage Sonnenberg“ aus der Förderung gestrichen wurde, weil das entsprechende Programm im KJP „nur noch dort eingesetzt wird, wo interkulturelles Lernen praktiziert wird“. Als ob das in musikalischen Projekten nicht ginge! Hier werden die nachweislichen Verdienste von kultureller Kinder- und Jugendbildung schlichtweg geleugnet.

Zusätzlich wird immer deutlicher, dass ein neues Denken weg von Verbandsstrukturen immer mehr hin zur Projektorientiertheit um sich greift. Ständig neue Sonderprogramme, die kurzfristigst bedient werden müssen, werden aus dem Boden gestampft. Oft in einer solchen eiligen Hektik, dass von vornherein qualifizierte Arbeit kaum noch möglich ist. Und die hier neu gebundenen Gelder fehlen in den auf Dauer und Qualitätssicherung angelegten Abläufen in den Verbandsstrukturen. Nichts gegen eine kritische Prüfung der Arbeit der traditionellen Verbände! Inhalte und Organisationsformen müssen hinterfragt werden. Aber alles gegen eine Zerschlagung dieser Struktur. Den Kurzdenkern in den Ministeriums-Bürokratien sei empfohlen, mal wieder über das alte Bild der Stand- und der Spielbeine nachzudenken: nur wer festen Boden unter den Füßen hat, kann den Blick heben und nach neuen Wegen schauen. Oder: wer sich nur noch auf Spielbeinen herumtummelt, wird ins Stolpern geraten, außer Atem kommen und am Ende auf die Nase fallen.

Ich wünsche mir, dass bei uns selbst die Musiker wieder mehr das Sagen bekommen. Das setzt natürlich voraus, dass sie auch den Mund aufmachen. Und ich wünsche mir bei denen, die unsere Arbeit fördernd begleiten, dass sie sich genauer mit uns beschäftigen und mehr über die wahren Gegebenheiten und Chancen unserer Arbeit wissen. Es sollte keinem Mitarbeiter eines Ministeriums, der sich vor Ort blicken lässt und sich wirklich über uns informiert, vorgeworfen werden, er habe keine Distanz zu seinen geförderten Trägern. Man sollte ihn vielmehr loben ob seiner Bereitschaft, sich die Grundlagen für qualifizierte Entscheidungen zu besorgen.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!