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Moritz Eggert. Foto: Juan Martin Koch

Moritz Eggert.

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Die Künstliche Intelligenz kommt ...

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... und wir müssen sie in unserem Sinne erziehen · Von Moritz Eggert
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Schon seit einiger Zeit sieht man zunehmend Plakate im öffentlichen Raum, die Diskussionsveranstaltungen zum Thema KI bewerben. „Ersetzt KI unsere Kreativität?“ oder „Macht KI uns arbeitslos?“ sind typische Formulierungen.

 

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Wir dürfen nicht vergessen, dass es bei der Einführung des Internets ähnliche Ängste gab. Bekannte von mir verteilten damals Aufkleber mit der Aufschrift „Ich werde nicht zum Interdepp!“ (dieselben Bekannten sitzen heute als fleißige Kommentatoren jeden Tag stundenlang vor Facebook und beklagen lauthals den Verfall der Sitten und der Moral).

Die Wahrheit liegt leider immer in der Mitte: Viele Bedenken gegenüber dem Internet waren absolut berechtigt, denn wir leiden gewiss unter den negativen Aspekten, die die weltweite Vernetzung mit sich bringt, zum Beispiel an der bisher noch nie dagewesenen Möglichkeit, aus einem Wohnzimmer heraus selbst absurdeste Verschwörungstheorien oder Propaganda weltweit zu verbreiten. Andererseits würden die wenigsten von uns gerne wieder auf die vielen Vorteile verzichten, die uns das Internet bietet, wenn wir es mündig und verantwortungsbewusst bedienen.

Ähnlich wird es mit „kreativer“ KI sein. Es liegen darin aus Kompositionsperspektive unendlich viele Gefahren, aber auch unendlich viele Chancen. Komponierende von Gebrauchsmusik werden vielfach ihre Jobs verlieren, da die KI ihren Job wesentlich billiger macht. Kreative Köpfe wiederum werden die KI benutzen, um ihre eigenen Möglichkeiten zu erweitern oder vielleicht auch noch nie gehörte Musik zu schreiben. Manches wurde bisher nur deswegen nicht komponiert, weil der Aufwand menschliches Vermögen übersteigen würde.

Was passiert mit akademischer Avantgarde-Musik, wenn komplexe Mikropolyphonien à la Ligeti oder gleißende Spektralklänge à la Grisey quasi auf Knopfdruck auch minder begabten Schöpfer*innen zur Verfügung stehen und diese sie inflationär gebrauchen? Wird diese Art von Musik ihren Wert behalten oder plötzlich banal? Wird das, was wir vorher mühsam erfanden, in dem Moment wertlos, wenn es endlos imitiert und reproduziert werden kann? Oder werden wir mehr über menschliche Kreativität erfahren und lernen und das Besondere und Andere daran mehr zu schätzen wissen?

Viele machen den Fehler, die Möglichkeiten der KI zu unterschätzen, wenn es um Musik geht, meistens weil man den KIs mangelnde „menschliche“ Emotionen unterstellt oder die bisherigen Ergebnisse von KI-Komposition noch nicht recht überzeugend findet. Hierzu muss man sich nur die Geschichte der Flugfahrt anschauen – von lächerlichen und zum Teil untauglichen selbstgebastelten Fluggeräten bis hin zu High-Tech-Jumbojets und Überschallflugzeugen war es kein allzu langer Weg, die Entwicklung der kreativen KIs wird genauso sein, nur vermutlich noch schneller. Und das, was wir „Emotionalität“ nennen, kann sehr wohl perfekt imitiert werden. Schon jetzt rühren digitale Kunstwesen wie Baby Yoda die Fans von „Star Wars“ zu Tränen. KIs lernen von unseren Bildern, Texten und Filmen wie wir Emotionen empfinden und welche Trigger welche Emotionen erzeugen. Zunehmende Perfektion ist nur eine Frage der Zeit, da die Programme selbst und ohne Anleitung lernen können und nur durch Rechenleistung limitiert werden. Und diese steigt ständig.

Wer zwischen den Zeilen lesen kann und sich die aktuellen Pressemitteilungen der KI-Startups anschaut, wird entdecken, dass die Entwickler jetzt schon über manchen Quantensprung der Entwicklung erstaunt sind und nicht mehr zu 100 Prozent durchschauen, was ihre KIs so treiben. Erste KIs werden von ihren Programmierern schon als eine Art denkendes Wesen empfunden.

Es ist also nicht mehr die Frage, ob eine KI jemals in der Lage sein wird zu komponieren, sondern eher, wie lange es dauern wird, bis wir diese Kompositionen nicht mehr von menschlichen unterscheiden können. Im Grunde ist es schon so, da ein Großteil zeitgenössischer Popproduktion mit den Ergebnissen von Algorithmen und auch KI-basierten Programmen (z.B. Autotune) produziert wird. Unsere Füße wippen längst im Takt, den uns eine KI vorgibt. Aber auch in der E-Musik sind computerunterstützte Kompositionen keineswegs eine Neuheit, sondern schon seit vielen Jahrzehnten präsent.

In unserer momentanen Angst vor KIs sind wir also wie ein Kaninchen, das von den Scheinwerfern eines Autos so lange hypnotisiert wurde, dass es sie erst viel zu spät als Bedrohung wahrnimmt. Mein Kollege Ali Nikrang an der Musikhochschule München (Komponist und Experte für komponierende KIs) argumentiert daher zum Beispiel zu Recht, dass wir als Schöpfende dringend an der Entwicklung der kreativen KIs mitwirken müssen, damit sie in eine Richtung geht, die wir als produktiv empfinden. Wir haben die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die KI gut „erzogen“ wird und uns nicht überwältigt wie einst die „Interdeppen“.

Ob wir es wollen oder nicht, die KI sitzt schon längst gemeinsam mit uns am Tisch, wir können sie weder ignorieren noch wegwünschen. Aber wir können lernen, mit ihr auf eine Weise umzugehen, die uns weder unserer eigenen Kreativität noch unserer Arbeit (und des Spaßes daran) beraubt. Das wird die wahre Herausforderung der kommenden Jahre sein.

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