In einem offenen Brief hat der Vorstand der Gesellschaft für Neue Musik (GNM) den Intendanten des Südwestrundfunks (SWR), Peter Boudgoust, dazu aufgefordert, die beiden Klangkörper des Hauses in der jetzigen Form zu erhalten. Kürzungen bei beiden Orchestern würden deren „Absturz in die Bedeutungslosigkeit“ nach sich ziehen, eine Fusionierung würde ein „Ungetüm gebären“, so die Unterzeichner des Briefes Julia Cloot, Franz Martin Olbrisch und Sigrid Konrad.
Die GNM erinnert in dem Brief insbesondere an den „unverzichtbaren Platz auf dem Sektor der zeitgenössischen Musik“, den beide Orchester einnähmen: „Besonders im Bereich der zeitgenössischen Musik tragen die ARD-Anstalten eine große Verantwortung, sind es doch gerade ihre Orchester, die wesentlich zur Entwicklung der Neuen Orchestermusik beitragen.“ Generell könnten die Sendeanstalten bei Sparmaßen im Bereich des Kulturradios nur verlieren, heißt es in dem Brief weiter, „z.B. den inzwischen unbestrittenen wirtschaftlichen Standortvorteil, den eine kulturell rege Region besitzt. Oder die Legitimation durch den Kulturauftrag, die zunehmend fadenscheiniger wird.“
Im Folgenden der Wortlaut des Briefes:
Sehr geehrter Herr Intendant,
nun scheint es also besiegelt: Sie möchten die Schonfristen für die beiden Sinfonieorchester der 1998 zum SWR fusionierten ARD-Anstalt anscheinend aufheben. Offenbar soll im Rahmen der bis 2020 geplanten umfassenden Sparmaßnahme des Senders der "Schutzzaun" um die Klangkörper des SWR abgerissen werden – als hätte es diesen "Schutzzaun" bisher wirklich gegeben, als hätten nicht bereits vor wenigen Jahren das SWR-Vokalensemble und das Rundfunkorchester Kaiserslautern erhebliche Kürzungen bzw. eine Fusionierung hinnehmen müssen. Mit seinen beiden Sinfonieorchestern, dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart und dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, besitzt der SWR zwei ganz hervorragende Orchester, deren Wirken weit über das Sendegebiet hinaus unbestritten ist. Allein die Liste der namhaften Chefdirigenten spricht eine deutliche Sprache.
Fest verbunden mit den Festivals in Schwetzingen und Donaueschingen, behaupten beide Orchester ihren unverzichtbaren Platz auf dem Sektor der zeitgenössischen Musik. Ohne diese beiden Orchester wäre Deutschland um vieles ärmer. Besonders im Bereich der zeitgenössischen Musik tragen die ARD-Anstalten eine große Verantwortung, sind es doch gerade ihre Orchester, die wesentlich zur Entwicklung der Neuen Orchestermusik beitragen. Es ist wahrlich kein Luxus, den sich der SWR mit diesen beiden hervorragenden Orchestern leistet. Mit ihnen besitzt der SWR ein Alleinstellungsmerkmal, das ihn weit über die ARD hinaus zu einer der bedeutendsten Sendeanstalten macht. Allein in seinem Sendegebiet lebt mehr als ein Sechstel aller Bundesbürger, doch seine terrestrischen Ausstrahlungen erreichen wahrscheinlich ein Drittel von ihnen. Der SWR ist nicht nur der zweitgrößte Sender der ARD, er ist durch seine geographische Lage und seine Größe von immenser Bedeutung für die gesamte Republik und natürlich für das benachbarte Ausland. Das bedeutet für den Sender eine Herausforderung, der er sich stellen sollte.
Etwa 25 Prozent der Kosten sollen innerhalb des Senders eingespart werden, da scheint das Gießkannenprinzip angebracht zu sein – eine Milchmädchenrechnung. Beide Orchester haben sich inzwischen mit einer Größe um die magische Grenze von 100 Planstellen etabliert. Eine einheitliche Kürzung um 25% für jedes der beiden Orchester käme deren Absturz in die Bedeutungslosigkeit gleich. Ein einziger Blick in die Liste der deutschen Orchester dieser Größe zeigt unverblümt die Provinzialität solcher Orchestergrößen. Hervorragende Dirigenten und Musiker sind mit einem solchen Orchester nicht zu gewinnen. Gleiches gilt für den Vorschlag, eines der beiden Orchester extrem zu verkleinern.
Eine Fusionierung beider Orchester bei gleichzeitiger Kürzung würde ein Ungetüm gebären, das größer wäre als die Staatskapellen in Dresden und Berlin oder das Orchester der Bayerischen Staatsoper, dies jedoch, ohne einen regelmäßigen Opernbetrieb zu bespielen und ohne ein eigenes Haus – das ist es kaum vorstellbar, dass sich diese doch sehr unterschiedlich profilierten Orchester einfach per Dekret zu einem einheitlichen Klangkörper zusammenschmelzen lassen.
Es kursieren eine Reihe weiterer Planspiele, z.B. das Schrumpfen eines der beiden Orchester auf Ensemblegröße, auf Neue Musik spezialisiert nach dem Vorbild eines Ensemble Modern. Wer die Entwicklung solcher Ensembles in den vergangenen Jahren beobachtet hat, der weiß, dass deren Entstehung nichts mit dem Arbeitsumfeld eines Orchestermusikers gemein hat. Abgesehen davon wäre die Wirkung eines von einer Rundfunkanstalt bezahlten Ensembles für Neue Musik auf die gesamte Ensemblelandschaft der zeitgenössischen Musik verheerend.
Es gibt nur eine Lösung: Die beiden Orchester des SWR müssen in ihrer jetzigen Form erhalten bleiben. Ihre Bedeutung ist viel zu groß und das mögliche Einsparvolumen viel zu gering, um eine andere Lösung auch nur annähernd in Erwägung zu ziehen. Von den etwa 1,17 Milliarden Euro Ausgaben, die der SWR für 2012 plant, entfallen auf beide Orchester zusammen nicht einmal 1% der Kosten. Eine fünfundzwanzigprozentige Kürzung dieser Ausgaben sind "Peanuts". Im Hörfunkbereich werden schon lange nicht mehr die Ausgaben generiert, die für eine Sendeanstalt wirklich relevant sind. Man könnte an dieser Stelle nach dem Kulturauftrag der ARD-Anstalten fragen und bekäme doch immer nur die gleichen Ausflüchte zu hören. Besonders das Kulturradio hat durch die Bank weg in allen ARD-Anstalten in den vergangenen Jahren Kürzungen um bis zu 50% hinnehmen müssen. Es macht einfach keinen Sinn mehr, an dieser Stelle weiter zu sparen. Die Sendeanstalten können nur verlieren: z.B. den inzwischen unbestrittenen wirtschaftlichen Standortvorteil, den eine kulturell rege Region besitzt. Oder die Legitimation durch den Kulturauftrag, die zunehmend fadenscheiniger wird.
Sicherlich haben es die ARD-Anstalten nicht leicht. Durch die Einführung des Internet und den Wettbewerb mit den privaten Anbietern sind die Bedingungen schwieriger geworden. Aber solche Herausforderungen löst man nicht durch Aktionismus. Der SWR hat ganz besonders im Bereich des Kulturradios eine Sonderstellung innerhalb der ARD, diese gilt es zu bewahren und zu stärken. Einrichtungen von internationaler Bedeutung wie die Donaueschinger Musiktage, das Experimentalstudio in Freiburg, die Schwetzinger Festspiele und viele andere mehr bringen dem Sender nicht nur Renommee, sondern garantieren dessen langfristigen Bestand. Dazu gehören ganz selbstverständlich auch die beiden Sinfonieorchester in Stuttgart und in Baden-Baden/Freiburg. Die Gesellschaft für Neue Musik bittet Sie daher dringend, die Errungenschaften und Potentiale der Orchester Ihres Hauses nicht zu gefährden.
HochachtungsvollVorstand der Gesellschaft für Neue Musik e.V.
Deutsche Sektion der International Society for Contemporary Music