Mitten in der Halle 3.1. der Frankfurter Musikmesse 2012, in der die großen deutschen und internationalen Musikverlage ihr neuesten Noten und Partituren präsentierten, wagte es Julia Reda, bis vor wenigen Monaten noch im Vorstand der Jungen Piraten, an den Grundfesten des Urheberrechts zu rütteln. Aus den Aufzeichnungen einer Diskussion auf dem nmz-Stand unter dem Titel „Acta ad acta“ destillierte die Moderatorin Barbara Haack ein Pro und Contra zwischen Julia Reda und dem Urheberrechtsanwalt Christian Kuntze.
Schutzfristen
Christian Kuntze: Würde man die Schutzfristen verkürzen – im Gespräch sind ja nur noch wenige Jahre nach Schaffung des Werkes –, dann würde das bedeuten, dass letztendlich nach diesen vielleicht drei bis fünf Jahren der Komponist keine Möglichkeit mehr hat, seine Werke tatsächlich gewinnbringend zu verkaufen, um dadurch seine Existenz zu schützen und um auch weiterhin in der Lage zu sein, kulturell aktiv zu sein.
Die Schutzfristen dienen dazu, eben nicht das körperliche Werk, sondern das geistige Eigentum zu schützen. Hier geht es darum, auch die nachfolgende Generation wirtschaftlich abzusichern.
So wie wir beispielsweise eine Eigentumswohnung vererben können, hat man sich einen gesellschaftsrechtlich tragbaren Kompromiss überlegt, die Schutzfristen auf 70 Jahre post mortem einzuführen mit dem Ziel, die nachfolgende Generation an diesen hochwertigen kulturellen Leistungen partizipieren zu lassen.
Julia Reda: Auch die Piratenpartei will entgegen der Vorurteile, die man öfter hört, das Urheberrecht nicht abschaffen oder es derart drastisch verkürzen. Wir wollen eine Verkürzung der Urheberrechte auf zehn Jahre nach dem Tod des Urhebers durchsetzen. Das heißt, dass der Urheber nach wie vor in seiner Lebenszeit und auch seine unmittelbaren Nachkommen von seinem Werk profitieren. Ein entscheidender Punkt dabei ist, dass das Urheberrecht so wie früher lediglich den geschäftlichen und nicht den privaten Bereich regelt.
Das Recht auf die Privatkopie soll ausgebaut werden, aber gleichzeitig sollen die Rechte des Urhebers gegenüber dem Verlag gestärkt werden. Ich würde das Urheberrecht bis 70 Jahre nach dem Tod des Künstlers nicht unbedingt als einen Kompromiss bezeichnen, weil es ja tatsächlich die schärfste Ausprägung des Urheberrechts ist, die es so im deutschen Recht gegeben hat. Die schrittweise Verlängerung der Schutzfrist führt dazu, dass Werke auf sehr lange Zeit überhaupt nicht gemeinfrei werden. An dieser Stelle verliert natürlich die Gesellschaft auch etwas.
YouTube & Co.
Kuntze: Wie will man den wirtschaftlichen Konflikt lösen? Der Urheber, dessen Werke Sie nutzen, hat letztendlich nicht viel davon, er erhält keine Vergütung. Auf der anderen Seite verdienen Plattformen wie YouTube, Facebook viele, viele Millionen, indem sie die Leistungen der Urheber und der Leistungsschutzberechtigten nutzen. Müsste es dann fairerweise nicht so sein, dass diese Urheber auch an diesen vielen Millionen teilhaben können? Ich denke, man muss sich über entsprechende faire Vergütungssysteme Gedanken machen, bevor man anfängt, an grundrechtlich geschützten Positionen zu rütteln.
Reda: Natürlich, jedes Mal, wenn jemand umsonst Kunst schafft, verdient irgendjemand daran, sei es derjenige, der das Papier verkauft oder die Farben oder ein Mikrofon. YouTube ist eher so zu bewerten wie das Papier, auf dem man malt. Es ist das Medium, in dem die Werke frei veröffentlicht werden. Ich habe grundsätzlich nichts dagegen, wenn sich die GEMA und YouTube auf eine Vergütung von Urhebern einigen, allerdings ist es bisher offensichtlich zu keiner Einigung gekommen und ich glaube nicht, dass die Künstler davon profitieren, dass die GEMA hart bleibt und sich nicht auf ein beidseitig akzeptables Vergütungsmodell einigt.
Acta
Reda: Im Moment ist Acta dem Europäischen Gerichtshof zur Überprüfung vorgelegt. Die Piraten setzen sich weiter dafür ein – auch im Europäischen Parlament –, dass das Abkommen unabhängig von dieser Prüfung, auch, falls es für rechtmäßig befunden werden sollte, trotzdem nicht angenommen wird. Es hat sich sicherlich in den Verhandlungen das eine oder andere zum Besseren verändert, aber es ist nach wie vor ein Abkommen, das eine Reform des Urheberrechts in Deutschland mehr oder weniger unmöglich macht. Acta meißelt viele Dinge in Stein, zum Beispiel das Verbot, Kopierschutzmaßnahmen zu umgehen. Acta hat darüber hinaus noch eine ganze Menge unangenehmer Effekte in anderen Gebieten. Ich halte Acta für einen Schnellschuss, es sollen Fakten geschaffen werden, bevor eine Debatte mit allen Beteiligten stattgefunden hat. Und dazu gehören eben nicht nur die Industrienationen und vor allem nicht nur die Verwerter, sondern auch die Urheber, Verwerter und Nutzer. Als wir 2009 gegen Acta demonstriert haben, hatten wir lediglich den aktuellen Vertragstext von WikiLeaks. Es fand an dieser Stelle keine Einbindung der Zivilgesellschaft statt. Über sehr lange Zeit waren das Geheimverhandlungen. Zum jetzigen Zeitpunkt verändert sich mit Acta sicherlich nicht besonders viel für das deutsche Recht, aber es verhindert, dass das Urheberrecht auf eine zeitgemäße Form upgedatet werden kann. Provider sollen ihre eigenen Nutzer überwachen. Grundsätzlich ist dieser Trend hin zu einer Privatisierung des Rechts auf jeden Fall problematisch.
Kuntze: Acta ist letztendlich ein völkerrechtlicher Vertrag, und bei einem solchen geht es nicht nur darum, sämtliche Verbände an den Vereinbarungen teilhaben zu lassen. Es war auch letztendlich keine Geheimverhandlung, die hier geführt wurde. Schon 2009 wurde gegen Acta demonstriert, so überraschend ist das für uns alle nicht gekommen. Acta ändert für Deutschland nach meiner Einschätzung nichts. Es wird lediglich ein Mindeststandard festgelegt, mit dem man sich vor verschiedenen unrechtmäßigen Vervielfältigungen schützen möchte – also vor dem Diebstahl am geistigen Eigentum. Ich denke, das ist ein hehres Ziel, das es weiter zu verfolgen gilt.
Bewusstsein und Nutzerverhalten
Reda: Dass das Thema Urheberrecht jetzt gerade bei jüngeren Leuten auf der Tagesordnung steht, liegt daran, dass sie plötzlich damit in ihrem Alltag konfrontiert sind. Die Menschen, die mit dem Internet aufwachsen, betrachten dieses als selbstverständlichen Teil ihres Lebensraums. Dass man irgendetwas kopiert oder nachspielt und dies dann bei YouTube oder anderswo hochlädt – das ist nun mal die Art und Weise, wie Leute sich Kunst aneignen. Der grundrechtliche Schutz des Urheberrechts oder des geistigen Eigentums ist im deutschen Recht ja durchaus umstritten. Das Bundesverfassungsgericht sagt, das geistige Eigentum fällt unter die Eigentumsgarantie. Allerdings sagt das Grundgesetz an dieser Stelle auch, dass der Gesetzgeber durch ein einfaches Gesetz festlegen kann, wie weit die Eigentumsgarantie gilt. Insofern glaube ich nicht, dass man die Grundrechte beschneiden müsste, um das Urheberrecht zu reformieren. Man könnte an dieser Stelle einfach eine Abwägung treffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit und den Interessen der Urheber. Es gilt zu beweisen, dass ein tatsächlicher wirtschaftlicher Schaden durch das Filesharing entsteht. An dieser Stelle würde ich auch den Begriff Raubkopien vermeiden, da ein Raub ja eine Anwendung von Gewalt und die Wegnahme einer Sache voraussetzt. Natürlich fühlen sich Leute angegriffen, wenn sie eines Raubes, wenn sie der Gewalt bezichtigt werden, bloß weil sie ein Lied aus dem Internet heruntergeladen haben. Ich glaube, es stimmt auch nicht, dass die Leute nicht bereit sind, zu bezahlen. Eigentlich besitzen Künstler ja eine sehr hohe Wertschätzung in der Gesellschaft, auch bei jungen Leuten. Aber viele sehen es nun einmal nicht ein, dass die legalen Angebote sie so stark einschränken.
Wenn ich mir eine DVD in einem Laden kaufe, dann bin ich allen möglichen Einschränkungen ausgesetzt. Ich kann sie nicht auf jedem Player abspielen, ich muss mir Werbung anschauen, die ich nicht überspringen kann und so weiter. Ich bin als legaler, zahlender Kunde einfach schlechter gestellt, als wenn ich illegal downloade. Wenn wir Respekt für das Urheberrecht erreichen wollen, dann müssen die legalen Angebote qualitativ besser sein als die illegalen.
Kuntze: Das ist sicher ein Generationenkonflikt. Wenn junge Menschen mit dem neuen Medium aufwachsen, dann werden sie natürlich einen eigenen Stil, eine eigene Einstellung – auch rechtlicher Art – zu diesem Medium haben, die sich von unserer Einstellung ein wenig unterscheidet. Auf der einen Seite entwickelt sich das Nutzerverhalten in einer Weise, wonach man alles, was im Internet verfügbar ist, gerne kostenlos, also ohne zu fragen oder entsprechende Lizenzen zu haben, verwenden und nutzen will. Wenn man dann in diesem Zusammenhang die jungen Nutzer auf ihr Nutzerverhalten anspricht, merkt man recht deutlich, dass hier ein erhebliches Unrechtsbewusstsein vorhanden ist. Vor diesem Hintergrund kann die Quintessenz nicht lauten: Wenn viele etwas Unrechtmäßiges tun, dann wird es plötzlich rechtmäßig. Gerade das Unrechtbewusstsein speziell der jungen Nutzer belegt, dass wir auf dem richtigen Weg sind, die Urheber in ihrer Position zu schützen und die Dinge nicht zu sehr aufzuweichen. Wenn es um die Qualität der legalen Angebote geht, sollte man sich mit den Verwertern, mit den Sendern, Produzenten auseinandersetzen, die den Kunstgenuss zum Beispiel durch Schaltung von Werbung stören – und nicht gegen Acta wettern, ein Abkommen, das kulturelles Schaffen weiterhin wirtschaftlich ermöglicht. Die Position des DTKV besteht darin, die Stellung der Urheber zu stärken. Unsere Gesellschaft lebt letztendlich vom kulturellen Schaffen und hier geht ein Künstler, ein Komponist, ein Leistungsschutzberechtigter regelmäßig in ganz erhebliche Vorleistung. Er braucht einen Anreiz, von seiner Kunst leben zu können. Aus diesem Grunde ist die rechtliche Stellung des Urhebers entsprechend zu schützen, auszubauen und zu stärken.