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Dunkle Wolken über dem Duisburger Theater. Foto: Hans Jörg Michel
Dunkle Wolken über dem Duisburger Theater. Foto: Hans Jörg Michel
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Ahnungsloses Spiel mit dem Feuer

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Opern- und Orchesterehen zwischen Bruch und Partnertausch – in NRW droht ein Flächenbrand
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Der Westen leuchtet – das war einmal. Längst gilt eine andere Metapher: Im Westen gehen die Lichter aus. Denn nicht der vermeintlich rückständige Osten, sondern Nordrhein-Westfalen, das bevölkerungsreichste Bundesland, entwickelt sich zum kulturellen Krisengebiet. Die Hiobsbotschaften, Endspiel- szenarien, Todesdrohungen häufen sich. Woran liegt das? Vor allem daran, dass Kunst und Kultur in NRW weitgehend Sache der Kommunen sind. Das hat historische Gründe: Die Kirchtürme haben hier stärkere Bindungskraft als zwei Regionen, die 1946 von den Briten zum Bundesland verklammert wurden. Die wenigsten Städte aber sehen sich, da Bund und Länder immer mehr Aufgaben auf sie abwälzen, noch in der Lage, ausgeglichen zu wirtschaften. Der Strukturwandel (nicht nur) im Ruhrgebiet, das ganze Branchen und zehntausende Arbeitsplätzen verloren hat, der Solidarpakt und eine vielerorts wenig kostenbewusste Haushaltspolitik kommen verschärfend hinzu. Sparen aber können die Kommunen nur bei den freiwilligen Aufgaben, von denen die Kultur eine und oft die „teuerste“ ist. Wuppertal (vgl. nmz 12/2009) war nur der Anfang.

Neuer Notfall Duisburg. Seit 1956 unterhält die Halbmillionenstadt gemeinsam mit Düsseldorf die Deutsche Oper am Rhein, an der sie mit (inzwischen nur noch) 30 Prozent beteiligt ist. Insgesamt beläuft sich der Zuschussbedarf auf 35 Millionen Euro, 11 davon steuert Duisburg bei und erhält dafür 100 Aufführungen im Jahr: Wenig, gut angelegtes Geld für ein komplettes Angebot auf dem Niveau größerer Städte.

Doch die Kommune erwägt, die Theaterehe zum 31. Juli 2014 zu kündigen. Mit 2,15 Milliarden Euro in der Kreide ist sie überschuldet und verpflichtet, am Stärkungspakt Stadtfinanzen teilzunehmen. Dafür muss sie bis zum 30. Juni 2012 einen Sanierungsplan vorlegen, der den Haushalt bis 2021 ausgleicht und das Sparvolumen sukzessive steigert. Für 2014 sind 42,5 Millionen Euro angesetzt, 7 davon entfallen auf den Kulturetat, der nur 35,7 Millionen Euro beträgt und um 20 Prozent gekürzt werden soll. Kulturdezernent Karl Janssen (CDU) hat folgende Alternative aufgemacht: Entweder die Opernehe wird fortgeführt und viele kleine Einrichtungen und Zuschüsse werden gestrichen, oder sie wird beendet und vier der elf Millionen, die übrig bleiben, werden für das Museum, Festivals, Filmforum, Gastspiele und die Philharmoniker eingesetzt. 

Entscheidet sich der Stadtrat für die Vorlage des Beigeordneten, verliert die Stadt ihr neben dem Wilhelm-Lehmbruck-Museum wichtigstes Kulturinstitut. Die Folgen wären verheerend: Eine bewährte, eng verzahnte Zusammenarbeit mit kompatiblen Bühnen und gemeinsamem Produktionszentrum würde abgebrochen, gewachsene Strukturen unwiederbringlich zerstört. Das Orchester, das zu 70 Prozent für Oper und Ballett arbeitet, wäre in seinem A-Status und seiner Existenz gefährdet. Auch Düsseldorf würde verlieren. 

Denn bei weniger Vorstellungen wird die einzelne Inszenierung teurer, die Mischkalkulation geht nicht mehr auf, und die Stadt müsste, um das Niveau zu halten, vier bis sechs Millionen Euro drauflegen. Dass Düsseldorf für die Duisburger Kürzungen nicht eintreten will, ist verständlich, doch alle Anstrengungen, die Ehe zu retten, unternimmt die schuldenfreie Nachbarstadt nicht. Vielmehr belässt es Oberbürgermeister Dirk Elbers (CDU) bei einem Bedauern, um im nächsten Satz eine Kooperation mit Köln ins Gespräch zu bringen: „Es hätte Charme und auch eine Chance, ein Opernhaus mit Weltformat gemeinsam zu haben.“ 

Der Schnellschuss simuliert Handlungsbereitschaft und Kompetenz, wo Unbedarftheit und Ahnungslosigkeit herrschen. Als ginge es um die Messegesellschaften oder die Zusammenlegung der Energieversorger, sollen zwei so komplexe Gebilde wie die Musiktheater zum Mammutkonzern verschmelzen. Dass zwei Städte, die nicht einmal das gleiche Bier vertragen und es nicht schaffen, regelmäßig Gastspiele austauschen, gemeinsam eine Oper unterhalten können, ist ein technokratischer Trugschluss, der die atmosphärischen und emotionalen Unterschiede ignoriert und dem Selbstverständnis, der Rivalität und den Traditionen der beiden Nachbarn ebenso widerspricht wie den Bedürfnissen des Publikums. Doch die heiße Luft aus Düsseldorf wurde in Köln sofort für bare Münze genommen. Am Tag darauf hat der Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) sich mit seinem Düsseldorfer Kollegen verständigt, die Möglichkeiten einer Kooperation „kurzfristig zu prüfen“.

Und noch einen Tag später hat der Bonner OB Jürgen Nimptsch (SPD), davon aufgeschreckt, Köln seinerseits Avancen gemacht: „Ein Schauspiel für Götter, zwei Liebende zu sehn! und dabei nicht Düsseldorf und Köln zu meinen, sondern Köln und Bonn“ endet sein vierseitiger Essay „Wider den Kulturinfarkt“, der, bildungsbürgerlich und alarmistisch garniert, für eine andere Fusion wirbt: „Eine leistungsfähige Oper von Weltniveau, die ‚Rheinische Oper Köln-Bonn’ mit zwei Spielstätten“ würde, so seine Gegenrechnung, 40 Millionen Euro benötigen, die beiden Orchester könnten mehr auf Tournee gehen und für ihre Städte im Ausland werben. Der Vorschlag konkretisiert einen „Denkanstoß“, den Nimptsch schon im Herbst 2010 gegeben hatte, und wird seit mehr als 30 Jahren immer mal wieder aufgekocht. Doch die Sparpotenziale sind gering, die Bühnen nicht kompatibel und die Nachteile für Bonn größer als für Köln. Entsprechend deutlich ist die Ablehnung von Kommunalpolitikern, Bühnenkonferenz und aus den Häusern selbst.

Noch schwieriger ist es für kleine Großstädte in Nordrhein-Westfalen, in ihrem oft schon ausgedünnten Kulturangebot die letzte Eigenmarke zu halten. So stand Witten nach einem Ukas der Finanzaufsicht davor, die Tage für Neue Kammermusik 2012 abzusagen, doch hat sie der WDR kurzfristig gerettet. Im Bergischen Land möchte Remscheid die Orchesterehe mit Solingen aus ähnlichen Nöten kündigen wie Duisburg die Opernehe mit Düsseldorf. Dabei gelten auch die Bergischen Symphoniker, zu der die städtischen Klangkörper 1995 fusionierten, bei einem Zuschussbedarf von zusammen 4,2 Millionen Euro als gelungenes Beispiel interkommunaler Zusammenarbeit.   

Mehr noch als die Plan- und Zahlenspiele muss erschrecken, wie leichtfertig die Politik sich bereit zeigt, künstlerisch und wirtschaftlich effiziente Erfolgsmodelle abzuschreiben. Auch das Land ist betroffen. Denn wenn seine fünftgrößte Stadt die Oper aufgibt und seine Hauptstadt sie herunterfährt, steht es wieder etwas provinzieller da. Doch die Politik schweigt dazu, die Regierungsseite geradeso wie die Opposition, die Kulturministerin fühlt sich nicht angesprochen, im Wahlkampf spielte das Thema keine Rolle. 

Dabei handelt sich nicht um eine Krise der Oper, die hier zum Symbolopfer gemacht (und in beiden Städten gut besucht) wird, sondern um eine Krise der Kommunalfinanzen. Im Würgegriff der Schulden büßen viele Großstädte ihre Selbstbestimmung ein und verlieren an Attraktivität. Was sich in Nordrhein-Westfalen ankündigt, könnte zum Flächenbrand werden. Der Westen leuchtet?

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