Zeitweiser Lockdown, Corona-Schutzverordnungen und Hygienestandards auf der einen Seite, bundesweiter Neustart Kultur und länderspezifische Hilfsprogramme auf der anderen: Freiberufliche Musikerinnen und Musiker in Deutschland haben zum Teil aufreibende Wochen und Monate hinter sich. In der Pandemie-Krise kamen staatliche und Landeshilfen mit Verzögerung und zu Beginn – angesichts Vielfalt der freien Musikberufe – oft auch nicht praxisgerecht. Wie haben Musikerinnen und Musiker im Deutschen Tonkünstlerverband auf die Situation reagiert?
Die vier Fallbeispiele im Folgenden zeigen, wie fragil die vielgelobte und international angesehen Musikszene – die für die Außenwirkung gerne herangezogen wird – in Wahrheit ist. Dass immer mehr Künstlerinnen und Künstler sich auf dem freien Markt behaupten müssen, bedingt auch, dass sich in Zeiten von – notwendiger – beruflicher Einschränkungen Bund und Länder ihrer künstlerischen Aushängeschilder annehmen. Der Neustart Kultur, von dem auch der im Folgenden genannte Musikfonds profitiert, gehört zu den notwendigen Maßnahmen. Die Einschätzungen und Vorschläge von unmittelbar Betroffenen sollten aber auch dann noch in Erinnerung bleiben, wenn die größte Not vergangen scheint.
Die Patchworkerin
Birgit Bergk unterrichtet Elementare Musikpädagogik, Musikalische Früherziehung, Quer- und Blockflöte. Sie arbeitet teilzeitangestellt in der Musikschule Düren und als Honorarkraft in den Musikschulen Jülich und Aldenhoven.
Der Lockdown brachte auch für Birgit Bergk den Totalausfall: Der Unterricht fiel erst einmal aus. Wie viele andere begann sie, auch auf Anregung ihrer Musikschule, per Skype zu unterrichten: „Es kam bei Schülern und Eltern sehr gut an, dass wir Unterricht über Skype angeboten haben. Zwei Schüler hatten nicht die erforderliche technische Ausrüstung, da lief der Unterricht übers Telefon, und sogar das hat funktioniert.“ Was vielen anderen Musikpädagogen zu schaffen macht, die finanziellen Einbußen, blieb Birgit Bergk allerdings erspart. Nicht nur in ihrer Festanstellung bekam sie ihr Gehalt weiterbezahlt, sondern auch auf ihren Honorarstellen: „Da hatte ich wirklich Glück. Die Musikschule Jülich war sehr kulant und hat auch ihre Honorarkräfte weiterbezahlt. Die Mittel dafür kamen von der Stadt; vorgegeben war nur, dass wir nach Möglichkeit wenigstens einen Teil des Unterrichts nachholen sollten. „Für mich und auch für die meisten meiner Kollegen war es selbstverständlich, so viele Unterrichtsstunden wie möglich nachzuholen.“
Die Pianistin und Künstlerin
Auch die Pianistin Aylin Aykan ist Musikpädagogin, unterrichtet allerdings ausschließlich privat in ihrem Münchner Studio. Aykan konnte der Situation zunächst auch positive Aspekte abgewinnen: „Das Hamsterrad des Alltags stand plötzlich still, und ich konnte über meine Wünsche und Vorstellungen nachdenken.“ Seither ist sie als Fotografin in Künstlerkreisen auf Instagram aktiv. Doch sie spürt die Flaute auf dem Konto: „Ein paar Schüler sind gegangen, weil sie selbst finanziell in einem Engpass steckten und der private Klavierunterricht zum Luxus geworden war.“
Der Antrag auf Soforthilfe vom Bund wurde nach acht Wochen beantwortet. „Dann hieß es, ich dürfe nur berufliche Ausgaben geltend machen. Ich konnte meine Studiomiete für zweieinhalb Monate und einen Teil der Telefonkosten einsetzen. Außerdem hatte ich eine Klavierstimmung angegeben, aber dieser Posten wurde gestrichen.“
Den Antrag auf Arbeitslosengeld II hat Aylin Aykan nicht gestellt. Sie sei nicht arbeitslos, sagt sie. Stattdessen hat sie beim Musikfonds ein Kompositionskonzept eingereicht und zwei neue Schüler gewonnen.
Mit den Schutzmaßnahmen ist sie völlig einverstanden: „Ich finde dieses vorsichtige Ausprobieren in kleinen Schritten vor und zurück absolut vernünftig. Verglichen mit anderen Ländern leben wir im Luxus, wobei mir bewusst ist, dass es auch hier vielen schlechter geht als mir.“
Der Pianist und Cembalist
Den Münchner Pianistenkollegen Andreas Skouras hat es noch plötzlicher getroffen: Er ist ausschließlich freiberuflich als konzertierender Musiker tätig. Bis März reiste Skouras zu Festivals und ins Ausland – zehn Konzerte im Monat waren der Schnitt. „Es gibt wieder einige wenige Konzerte. Aber vor allem private Veranstalter tun sich schwer. Es lohnt sich nicht, einen großen Saal zu mieten, wenn nur ein Bruchteil der Plätze verkauft werden kann.“ Seine Reserven, gedacht für den Krankheitsfall, sind aufgebraucht.
„Ich habe während des Lockdowns zwei Live-Streamings auf dem Klavier gespielt. Das waren zwar Liebesbotschaften an meine zukünftige Frau. Aber wenn ich das Persönliche ausklammere, bleibt als Fazit, dass finanziell nichts dabei herauskam. Und das ist bitter, weil sich auf diese Weise schnell ein Bewusstsein bildet, dass Künstlerinnen und Künstler das Musikmachen als Selbstzweck betreiben und nicht, um damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen.“
Die Soforthilfe des Landes Bayern bekam Skouras schnell und unbürokratisch. Allerdings versteht er nicht, warum sie erst so spät kam. Und auch die Unterstützung von Unternehmen sieht er teilweise kritisch: „Es haben auch Firmen Hilfe bekommen, bei denen man sich schon fragen muss, ob die Hilfestellung seitens der Politik wirklich in diesem Maß notwendig ist oder ob nicht eher der ein oder andere die Möglichkeit genutzt hat, die eigenen Finanzen wieder etwas aufzubessern.“
Der Experte für zeitgenössische Musik
Ähnlich empfindet Sebastian Berweck, promovierter Musikwissenschaftler, Pianist und Performer für experimentelle zeitgenössische Musik in Berlin: „Wenn ich mich mit Menschen in Kurzarbeit vergleiche, ärgere ich mich; aber wenn ich mich mit Menschen vergleiche, die dem Kulturbetrieb zuarbeiten wie etwa freiberufliche Beleuchter oder Bühnenbildner, ist mir bewusst, dass es ihnen noch viel schlechter geht.“
Anfang März war Sebastian Berweck mit dem kompletten Konzertstopp konfrontiert. Ihm kam das Berliner Hilfspaket von 5.000 Euro pro Künstler zugute, und er konnte Konzerte vom Frühjahr nachholen. Nun hat er sich um Förderung aus dem Musikfonds oder dem Hauptstadtkulturfonds beworben.
Die Einkommenssituation in der Branche sieht er kritisch: „Was notwendig wäre, ist eine Gebührenordnung, wie sie andere Freischaffende auch haben, etwa Architekten oder Anwälte. Mit einer solchen Gebührenordnung gäbe es vielleicht weniger Musikerinnen und Musiker, aber sie würden dann auch nicht mehr zum Prekariat gehören.“
Auch Sebastian Berweck kann sich nicht vorstellen, Arbeitslosengeld II zu beantragen. „Von der Förderung muss ich zwar meine Miete und andere Ausgaben bezahlen, und im Endeffekt bleibt mir nicht so viel mehr, als wenn ich ALG II beziehen müsste und mir Miete, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge bezahlt würden. Aber es ist trotzdem etwas ganz Anderes. Als ALG II-Bezieher würde ich mich missachtet fühlen.“
- Informationen zu Corona: http://dtkv.net/ORG/