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Alles Theater

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Man kann, darf und muss selbstverständlich dankbar sein über die Sensibilität der avancierten Komponisten und Regisseure. Womit man allerdings nicht zufrieden sein darf: dass dieses Verhalten nur sehr selten zu einer gebündelten Kraft zusammenschießt, die in eine aktive Politik vor dem Theater mündet. Da macht jeder sein aufgeklärtes Theater mal mit mehr, mal mit weniger Wehleidigkeit, und es bleibt einfach „im“ Theater. Auf der Insel der Theater-Seligen restaurieren sich abgeschottete Kunst-Treibhäuser, wo die Lotusblüten so schön blühen und verblühen.

Dass unsere gegenwärtigen Komponisten unsensibel wären, das kann man nicht behaupten. Wenn man das Dossier der letzten neuen musikzeitung zum „Neuen Musiktheater“ gelesen hat, so werden dort gesellschaftlich relevante Problemfelder der Gegenwart durchaus im großen Stil behandelt. Es werden Individuen auf der Flucht, Individuen mit Identitäts- und Kommunikationsproblemen gezeigt und musikalisch in Form gegossen oder aus dieser herausgerissen. Dass die Welt ein großer Jammer ist, das wird allenthalben vorgeführt – von Theater zu Theater. Man kann, darf und muss selbstverständlich dankbar sein über die Sensibilität der avancierten Komponisten und Regisseure. Womit man allerdings nicht zufrieden sein darf: dass dieses Verhalten nur sehr selten zu einer gebündelten Kraft zusammenschießt, die in eine aktive Politik vor dem Theater mündet. Da macht jeder sein aufgeklärtes Theater mal mit mehr, mal mit weniger Wehleidigkeit, und es bleibt einfach „im“ Theater. Auf der Insel der Theater-Seligen restaurieren sich abgeschottete Kunst-Treibhäuser, wo die Lotusblüten so schön blühen und verblühen.

Wird aber nicht dadurch die Welt „bloß“ neu interpretiert, wo es doch nach Marxens Wort „drauf ankömmt“, sie zu verändern? „Tom Stoppard sagte einmal, wenn man vom Fenster aus sehe, wie ein Unrecht geschehe, dann sei es das Nutzloseste, was man tun könne, ein Stück darüber zu schreiben,“ heißt es in Arthur C. Dantos Buch „Die Verklärung des Gewöhnlichen“ und Danto ergänzt: „Ich würde noch weiter gehen und sagen, dass etwas falsch daran ist, Stücke über die Art Unrecht zu schreiben, bei der wir eine Pflicht zum Eingreifen haben, da dies das Publikum genau in jene Art von Distanz versetzt, die der Begriff psychische Distanz beschreibt.“ Quasi wie unter dieser Maxime betritt Chris-toph Schlingensief in seinem Container-Theaterstück vor (!) der Wiener Staatsoper das Terrain der Kunst. Mit Asylantragsbewerbern wurde dort ein makaberes Schauspiel geboten, das offenbar Öffentlichkeit produzierte.

Nach Big-Brother-Vorbild sperrte Schlingensief zehn Asylbewerber in einen Container und setzte sie der Außenwelt aus. Diese konnte per Telefon entscheiden, welcher Ausländer raus musste. Waren beim Einzug der Asylbewerber höchstens 200 Menschen anwesend, so stieg im Laufe der Produktion das öffentliche Interesse und kulminierte in der Befreiung der Asylanten aus dem Container – und zwar nicht durch Einsatz der staatlichen Organe, sondern durch die Donnerstagsdemonstranten gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ. Diese Form der Aktivierung unterscheidet sich vom medialen Big-Brother-Zwitter. Anstelle einer sich selbst simulierenden Medienshow werden politische Scheinbilder quasi de-simuliert. Dadurch wird das Theater vom Kopf auf die Füße gestellt.

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