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Experten für Rock, Rap und Recht: die Juristen Mustafa Oglakcioglu, Wolfgang Schild, Markus Hirte, Christian Rückert und Florian Knauer. Foto: Sensation RED Photography
Experten für Rock, Rap und Recht: die Juristen Mustafa Oglakcioglu, Wolfgang Schild, Markus Hirte, Christian Rückert und Florian Knauer. Foto: Sensation RED Photography
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Alles, was Recht ist – und das auch beim Gangsta Rap

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Symposium des Kriminalmuseums in Rothenburg ob der Tauber untersuchte Schnittstellen zwischen Musik und Recht
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Unter dem Titel „Rock, Rap, Recht“ fanden sich am 11. August 2018 Juristen wie Musikbegeisterte in Rothenburg ob der Tauber ein, um über Wechselwirkungen zwischen Musik und Recht zu diskutieren. Dabei sezierten die Referenten teils auch vulgäre Beleidigungen des Gangsta Raps.

Samstagnachmittag: Während rund 20.000 Fans beim Taubertal-Festival den Auftritten von In Flames und Kraftklub entgegenfiebern, erhitzt unweit entfernt eine Diskussion um musikalische Zensur die Gemüter – und das nicht nur aufgrund der Wärmeentwicklung im hölzernen Dachboden des Kriminalmuseums. „Ist Gangsta Rap strafbare Kunst?“, fragen Dr. Christian Rückert und Dr. Mustafa Oglakcioglu, beide Strafrechtler der Universität Erlangen-Nürnberg. Sie möchten in ihrem Vortrag anhand einiger Beispiele zeigen, wie strafrechtliche Entscheidungen über Zensur bei Musik gefällt werden. Angesichts des jüngsten Echo-Skandals um antisemitische Zeilen von Farid Bang und Kollegah ein Thema, das kaum aktueller sein könnte.

Kunstfreiheit versus Persönlichkeitsrecht

Doch der Reihe nach. Egal, ob Grundrecht, Strafrecht oder Völkerrecht – Recht besteht aus Gesetzen, Gesetze aus Sätzen und diese basieren wiederum auf Begriffen. Im Grundgesetz ist so die Kunstfreiheit fest verankert. Doch welche Bedeutungen trägt der Kunstbegriff im strafrechtlichen Sinne? Wie die beiden Referenten kompetent und zugleich publikumsnah aufzeigten, muss Kunst eine individuelle Erfahrung ausdrücken, die einen variablen und interpretativen Aussagegehalt impliziert. Und das in einer typologischen Kunstgattung wie etwa Musik verpackt. Der Gangsta Rap erfüllt diese Kriterien und genießt daher den Schutz der Kunstfreiheit.

So weit, so gut. Problematisch – und interessant! – wird es immer, wenn nun das Recht der Kunstfreiheit mit anderen Gütern, die die Verfassung schützt (wie das Persönlichkeitsrecht), kollidiert. Dieser Konflikt entsteht, wenn etwa in einem Rapsong Personen des öffentlichen Lebens oder deren Angehörige beleidigt werden. Was darf sich die Kunst erlauben, wann ist das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen beschnitten? Diese diffizile Abwägung obliegt dem Richter.

Etwas mehr Verständnis, bitte!

Wie die beiden Rap-Fans aus Mittelfranken anschaulich präsentierten, meint im Strafrecht eine Beleidigung die Missachtung einer Person, die dadurch in ihrer Ehre verletzt ist. Dabei unterliegt der Ehrbegriff als sozialer wie kultureller Geltungswert letztlich einer gewissen Dynamik. Präzise ist anders. Dass ein Richter überhaupt über den Schärfegrad einer Beleidigung in einem Rapsong entscheiden muss, liegt in der Popularität des Musikers begründet, der aufgrund seiner Tragweite ein großes Publikum erreicht. Rückert betonte dabei stets, dass die entsprechende Textzeile nicht dem Betroffenen, sondern einem vernünftigen, objektiven Empfänger ausgelegt werden muss. Will heißen: Wie wirkt der Absatz auf jemanden, der mit Gangsta Rap vertraut ist? In den richtigen Kontext gesetzt verlieren typische Merkmale wie Polemik, Verzerrung, Übertreibung und ein vulgärer Sprachduktus so bald an Schlagkraft.

Ein hartes Praxisbeispiel

„Kay, du Bastard bist jetzt vogelfrei / Du wirst in Berlin in deinen Arsch gefickt wie Wowereit.“ Skandalrapper Bushido veröffentlichte diese brutalen Zeilen 2013 in seinem Track „Stress ohne Grund“ mit Kollege Shindy. Provokant, vulgär, beleidigend – vieles trifft auf diese Passage zu. Das befand auch Klaus Wowereit, der Klage wegen schwulenfeindlicher Beschimpfungen gegen Bushido einreichte. Wie ging das Gericht nun vor?

Generell lassen sich literarische Kunstwerke in ihre allgemeine Aussage und in deren künstlerische Einkleidung aufteilen. Insbesondere in Letzterer liegt die Kunstfreiheit begründet. Das bedeutet, der Rapper besitzt im Rahmen seiner Stilmittel wie Anapher, Metapher, Vergleich („die im Rap nur cooler heißen müssen“) einen größeren rechtlichen Spielraum, als er bei „normaler“, alltäglicher Kommunikation besteht. Ganz sachlich erläuterten nun Rückert und Oglakcioglu, worin Aussage und Stilmittel in Bushidos Versen bestehen. Dabei stellte sich heraus, dass die Beleidigung eindeutig auf Rapperkollegen Kay One abzielt, während der Name Wowereits im Stilmittel des Vergleichs auftritt. Außerdem dürfte weder die Bezeichnung als Homosexueller, noch der Vollzug des passiven Akts des Analverkehrs als Ehrverletzung aufgefasst werden. Dass dieser in höchst vulgärem Sprachduktus beschrieben wird, stellt ebenfalls ein typisches Stilmittel des Gangsta Raps dar. „Wer von Ihnen weiß, wer mit ‚Kay‘ gemeint ist?“, fragte Rückert zwischendurch mit einem Grinsen ins Publikum. Lediglich eine Handvoll der Anwesenden meldete sich.

Der Großteil der Besucher war demnach ungeeignet, die Textzeile als ein mit der Rapkunst und -szene vertrauter Empfänger objektiv strafrechtlich zu beurteilen. Denn der Sprache wohnt nun mal von Grund auf eine Interpretationsbedürftigkeit inne. Im Fall Wowereit versus Bushido wurde die Klage auch in zweiter Instanz abgewiesen.

Die Anziehungskraft des (fast) Verbotenen

Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass ein Großteil solcher Rechts-Entscheidungen (bis jetzt?) für die Kunstfreiheit ausgefallen ist – was aber nicht Indizierungen und Altersfreigaben durch die Bundesprüfstelle einschließt. Bleibt die Frage, wie die große Popularität des Gangsta Rap nicht nur unter Jugendlichen zu erklären ist: „Platin war gestern“, das neue Album von Kollegah und Farid Bang, erstürmte nach seiner Veröffentlichung im August prompt die Spitze der deutschen Charts. Den Hype um immer härtere Raps erklärten die beiden Referenten sowohl mit der Skandalisierung und Kontextualisierung in den Medien als auch mit der Verschiebung der Reizschwelle der Jugendlichen. Angesprochen auf die viel diskutierte „Auschwitz“-Line von Farid Bang und Kollegah erklärte Oglakcioglu im anschließenden Gespräch, dass sie für ihn im Gesamtkontext strafrechtlich unproblematisch erscheine. Vor dem gesellschaftlichen Hintergrund und der hitzigen Debatte der letzten Wochen seien solche Entscheidungen allerdings immer etwas heikel, berichtete der Experte. Nachdem Farid Bang und Kollegah trotz antisemitischer Texte mit dem Echo ausgezeichnet worden waren, hagelte es heftige Kritik, die in der Einstampfung des Musikpreises kulminierte. Das Rap-Duo zeigt sich allerdings auch weiterhin uneinsichtig. Interessanterweise hatte Farid bereits 2008 die geschmacklose Zeile „Atemlos wie in Gaskammern“ veröffentlicht, die mangels Popularität sowie Verbreitung allerdings keinerlei juristische Beurteilung fand.

Weitere Vorträge des mehrstündigen Symposiums befassten sich mit den Darstellungen von Gewalt in musikalischen Werken. So stellte Museumsdirektor und Initiator der Veranstaltung Dr. Markus Hirte unter dem Titel „Mordballaden“ ebenso die historische Gattung Moritat vor, wie Musik von Nick Cave und Rammstein, die Verbrechen dokumentieren. Angesichts der langen Geschichte solcher „bösen“ Musik plädierte der 41-Jährige heute für mehr Gelassenheit.

Außerdem referierte Bassist und Strafrechtler Prof. Dr. Florian Knauer über das ambivalente Verhältnis von Musik und Völkerstrafrecht: Zum einen in der Causa des ruandischen Sängers Simon Bikindi, der wegen drei mutmaßlich volksverhetzender Lieder angeklagt wurde, zum anderen der Fall von Serj Tankian, der in den Songs seiner Metal-Band System Of A Down den armenischen Völkermord gewissermaßen autobiographisch aufarbeitet. Schließlich rundete ein Vortrag von Prof. Dr. Wolfgang Schild über die zahlreichen Varianten des musikalischen Hexensabbath die Veranstaltung ab.

In Zusammenarbeit mit dem Taubertalfestival fand das Symposium „Rock, Rap, Recht“ zum ersten Mal im Mittelalterlichen Kriminalmuseum statt. Die Ausstellungsstätte mit zahlreichen Exponaten der deutschen und europäischen Rechtsgeschichte geht auf die private Sammlung „Rothenburger Folterkammer“ um 1900 zurück.

Nach Vergrößerung der Ausstellungsfläche und musealer Aufbereitung in den 1950er-Jahren wurden die Ausstellungsstücke 1993 in eine Stiftung öffentlichen Rechts mit Sitz in Rothenburg ob der Tauber überführt. Zweck der Stiftung ist neben dem Betrieb des Museums die Wissenschaftsförderung und Forschung. Das Museum versteht es ferner als seine Aufgabe, nicht nur die Historie des Verbrechens zu präsentieren, sondern auch aktuelle Rechts-Debatten aufzugreifen. Mit dem nahegelegenen Festival war die Verbindung zwischen Musik und Recht schnell erstellt. Dass ein Besucher des Musikfests einem anderen Fan ein Stück seiner Nase abgebissen hat, erscheint in diesem Zusammenhang geradezu skurril.

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