In den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts erlebten die Menschen im Westen der deutschen Republik die wirtschaftliche Entwicklung wie ein Wunder. Vielleicht erblickten die Bürger und die politische CDU-Mehrheit im Rathaus der Ruhrgebietsstadt Essen etwas vom Elan dieser Zeit im denkmalgeschützten Saalbau. Als multifunktionaler Veranstaltungsort und Stätte gepflegten Musizierens erfreut er sich in Essen jedenfalls ungeteilter Sympathie. Nur: der verkümmerte Zustand des Saalbaus bereitete Sorgen. Die Alternativen waren: Neubau oder Sanierung. Im Kommunalwahljahr 1999 fiel die Entscheidung für ein Konzept „nachhaltiges Bauen im Bestand“, die alte Hülle sollte also neu gefüllt werden.
Von allen Bewerbern um diesen Auftrag konnte sich das renommierte Architektenbüro Busmann + Haberer GmbH aus Köln, bekannt durch Entwurf und Bau der Kölner Philharmonie, durchsetzen. Kai Büder, der das Projekt „Philharmonie Essen“ (vormals Saalbau) bei Busmann + Haberer leitet, erläutert die architektonischen Überlegungen für die neue Gestaltung:
„Die Stadt Essen möchte in Zukunft regional, national und auch international eine starke Position in der klassischen Musikszene erlangen. Deshalb ist das Ziel, einen Konzertsaal allerhöchster Güte entstehen zu lassen. Indem der bestehende Saal um die untere Ebene (das Kellergeschoss) vergrößert wurde, war zwanglos die geometrische Grundlage für ein optimales Volumen geschaffen, das somit durch einen inneren Neubau realisiert wird. So wurde Platz für die Belüftungs- und auch für die Hubtechnik zur Veränderung der Grundfläche des Saales geschaffen. Innerhalb weniger Minuten kann das Parkett mit ansteigenden Sitzreihen auf die horizontale Foyerebene gefahren werden, so dass Mehrfachnutzungen (etwa für Kongresse oder Tanzveranstaltungen) zu allen Tageszeiten ohne logistische Kraftakte möglich sind.“
Rechtwinklig zum Saalbau mit seinem original grünen Kuppeldach ist der flache, so genannte Mitteltrakt, dessen Foyerhalle und Bürgersäle im Stil der 50er-Jahre wieder hergestellt werden. Hier war bisher der einzige Eingang mit Weg zum Konzertsaal. Oberlichter mit opaken Glasflächen und ein neuer Glaspavillon für Ausstellungen sowie Matineen und Jazzkonzerte ergänzen und erhellen den zuvor tristen Trakt und unterstützen die Entwurfsidee der Foyererweiterung, so dass sämtliche Räumlichkeiten eigenständig bespielt werden können. Der Konzertsaal wiederum erlangt mehr Aufmerksamkeit mit einem neuen Entree auf der Seite zum Stadtpark, in direkter Nachbarschaft zum für Drama und Oper zuständigen Aalto-Theater und Anbindung an den Kulturpfad Essen. „Auf diese Weise verändern sich die Wege- und Blickbeziehungen insgesamt, kurz, das Erscheinungsbild und Erlebnispotenzial des Baus und seiner Umgebung werden gesteigert.“ Helles Licht, sowohl nach innen als auch nach außen leuchtend, verstärkt dieses festliche Ambiente. Wechsel von geschlossenen Holzvertäfelungen aus Birke und Feldern aus opakem Glas geben der inneren Fassade des Saals einen Rhythmus, der vom Kontrast der erdfarbenen Sitzplätze zum blauen Deckenhimmel unterstützt wird.
Wegen der geometrischen Grundlage der Rechteckfigur (die so genannte traditionelle Schuhschachtel) bieten die Abmessungen des Raumes „beste Voraussetzungen für eine hervorragende Akustik. Diese Voraussetzungen werden für die Gestaltungen der Wandoberflächen mit ihren Faltungen und einer architektonischen Deckenskulptur genutzt, die einerseits das Deckensegel (zur akustischen Wahrnehmung der Orchestermusiker untereinander) beinhaltet, und andererseits ist es notwendig, um technische Raffinessen in der Decke unterzubringen. Über die TUP (=Theater- und Philharmonie GmbH) waren die Musiker an der Ausgestaltung der Akustik beteiligt, die der erfahrene Akustiker Karlheinz Müller von Müller BBM aus München leitet. Er hatte großen Einfluss darauf, dass die akustischen Anforderungen entsprechend den Grenzkurven 15 dB und 20 dB realisiert werden, um eine akustische Qualität zu erreichen, die auch CD-Aufnahmen im leeren Raum zulässt. Zugleich unterstützt die zeitgemäße Gestaltung mit viel Tageslicht das festliche Ambiente im ganzen Haus. Das haben wir geschafft“, meint Kai Büder zufrieden.
Darüber hinaus sieht dieser Umbau zur Philharmonie Essen, dessen Konzept „auf dem Dialog der tradierten Elemente mit den neu geschaffenen Einbauten, Materialien und Farben“ beruht, außer Garderoben auch Foyers für die Künstler vor, die sich über diesen seltenen Service freuen werden. Auch die Finanzierung des Projekts ist durch langfristige Festpreise und die Objektgesellschaft gesichert, das die TUP, den Intendanten Michael Kaufmann und die Stadt Essen über 20 Jahre als Partner verbindet. Aber die kommerzielle Bewirtschaftung des Gebäudekomplexes ist noch nicht endgültig geklärt, da es noch keine(n) Pächter für die vorhandenen Gastronomieflächen gibt.
„Aus meiner Sicht hat das Projekt Philharmonie Essen optimale Bedingungen für einen Erfolg. Denn die Stilistik der 50er-Jahre konnte ohne Nostalgie wieder entdeckt werden, so dass Denkmalschutz und moderne Technik- und Sicherheitsstandards sich nicht blockieren. Mit einer Auffrischung durch eine eigenständige Architektursprache ist ein neues Ensemble entstanden.“
Wenn im Kommunalwahljahr 2004 das sanierte Gebäude mit einem Konzert der Essener Philharmoniker unter der Leitung von Stefan Soltesz eröffnet wird, dann könnten alle etwa 2000 Plätze ausverkauft sein. Dieser Trend könnte sich fortsetzen, zumal die Berliner Philharmoniker ihren Besuch schon bald danach angekündigt haben. Dann wird sich zeigen, ob die Philharmonie Essen den erwartet hohen Kommunikationswert hat und zu einem beachtlichen Kulturknotenpunkt in Essen und im Ruhrgebiet wird.
Alle Zitate entstammen dem Interview mit Kai Büder, Architekt BDA.