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Praxisübung „Gamification“. Foto: Bettina Fürst-Fastré
Praxisübung „Gamification“. Foto: Bettina Fürst-Fastré
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Auf der Suche nach dem digitalen Jungbrunnen

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„Die wollen nur spielen!“ Eindrücke vom 14. Orchestertag 2016 in Dresden
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Bereits zum 14. Mal fand der Deutsche Orchestertag statt. Längst ist er eine Institution auf dem Feld der Fachtagungen im Orchestermanagement-Bereich geworden. Einmal im Jahr treffen sich hier vornehmlich Entscheider aus Intendanzen und der Verwaltung, um Kontakte zu knüpfen und zu pflegen, um Erfahrungen auszutauschen und natürlich auch, um neue Denkanstöße aus den Vorträgen und Workshops mit ins heimische Orchester zu nehmen. Die jüngste Ausgabe der Konferenz, die Mitte November in Berlin stattfand, widmete sich unter dem Motto „Die wollen nur spielen!“ der Digitalisierung und der sogenannten Generation Y.

Digitale Erfahrung ist ­­die ­verlangte Qualifikation

Dazu gab es einen eröffnenden Impuls von Philipp Riederle (Qualifikation: 22, Buchautor und damit „Sprachrohr der Generation Y“), der darauf ein­ging, dass es für die zwischen 1980 und 1999 geborenen weit mehr Wahlmöglichkeiten gibt als früher. In der freien Wirtschaft können sie sich oftmals ihre Jobs aussuchen. Außerdem wird im Beruf viel mehr Wert darauf gelegt, das die sogenannte „Work-Life-Balance“ stimmt.

In der anschließenden Podiumsdiskussion zeigte sich, dass viele von Riederles Ansätzen entweder nicht übertragbar sind auf die Arbeitsrealität von Orchestermusikern oder auf der anderen Seite schon längst Faktum sind. Doch auch dazu sind Konferenzen da: um Ist-Zustände zu reflektieren und sie auch für up to date befinden zu dürfen.

Netzwerken ohne Netz-Erfahrung

Nach weiteren Diskussionen in Kleingruppen wurde abends in der Praxis getestet, ob und wie sich ein Konzertbesuch durch Digitales anreichern und damit interessanter für jüngere Zielgruppen gestalten lässt: Nachdem sich alle Interessierten eine App auf das eigene Smartphone geladen hatten, galt es, damit allein oder in Zweiergruppen verschiedene Aufgaben zu lösen, die sich hinter üppig in der Tagungsstätte verteilten QR-Codes befanden. Demonstriert wurde das Prinzip Gamification, also das Verpacken von Inhalten in einen spielerischen Kontext und die Möglichkeiten, dadurch anderes oder neues Publikum für die eigene Kulturinstitution anzusprechen. Eine Entscheidung, die nicht in den Öffentlichkeitsarbeitsabteilungen gefällt werden kann, sondern in den Chefetagen und die von der dortigen Begeisterung getragen werden müsste. Ein zentraler Tagesordnungspunkt, bei dem die Chance leider vertan wurde, das Prinzip Gamification überzeugend vorzustellen. Das Praxisbeispiel war eher kontraproduktiv, da das Gesamterlebnis sehr unrund war: Das WLAN war mit dem x-fach gleichzeitigen Appdownload überfordert, die kurzfristig programmierte App leider „buggy“ und das zugrunde gelegte Spielprinzip hatte wenig mit der Zeitkunst Musik zu tun, sondern war eher auf die Zielgruppe Museen zugeschnitten. Digitalkritiker konnten sich bestätigt fühlen.

Den zweiten Konferenztag eröffnete Rolf Bolwin mit Einblicken in Verhandlungsstände zum und Ausblicken auf anstehende Herausforderungen beim TV-K und anderen Tarifverhandlungen. Es war sein letzter Vortrag in seiner 25-jährigen Funktion als geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins. Bolwin ist inzwischen zum Jahresende in den Ruhestand gegangen  und hat die Geschäfte zum 1. Januar 2017 an den Volljuristen und Politikwissenschaftler Marc Grandmontagne übergeben.

Big Data und Musikstreaming

Im Anschluss durfte man sich in drei Zeitslots zwischen fünf Workshop-Themen entscheiden. Wie im Vorjahr war mit StillArt erneut ein hochspannendes, da kontroverses Thema im Angebot, besonders im Datenschutzland Deutschland: Wie nutze ich das Wissen über meine bereits vorhandenen Kunden? (Wie weit) bin ich bereit, externe en masse gesammelte Daten zu verwenden, um über sogenannte Datenzwillinge und personalisierte Werbung deutlich gezielter potenzielle Kartenkäufer anzusprechen und Abonnenten im Besonderen „kalt zu akquirieren“? Die wachsende Zahl der damit arbeitenden Orchester und deren Erfolg beim Publikumsgewinn zeigen, dass der Druck, diese moralische Grenze zu überschreiten, bald zu einer unumkehrbaren Lawine werden könnte. Der Musikstreamingdienst Idagio (siehe nmz 2/2017, Seite 21 ff.) präsentierte sein Modell, das ganz auf Klassik zugeschnitten ist. Händisch zusammengestellte Playlists nach Themen und Stimmungen sind Teil des Kerngeschäfts, die Anbindung an Orchester-Webseiten ein neues Feature, das aufhorchen lässt. Die in Deutschland gestartete Plattform hat Investorengeld eingesammelt und ist weltweit auf Wachstumskurs.

Der Deutsche Orchestertag legte beim Thema Digitalisierung den Fokus vor allem auf „nach außen“: Marketing, Ticketing, Publikumsgewinnung – das ist vertretbar, aber auch ein wenig schade, denn der visionäre Blick auf einen seit über 100 Jahren kaum veränderten Prozess, den Proben- und Konzertalltag, wäre sicherlich auch einen Digitalisierungsgedanken mehr Wert gewesen.

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