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Lena Kleinschmidt und Per Ekedahl in Weikersheim. Foto: Constanze Wieczorek
Lena Kleinschmidt und Per Ekedahl in Weikersheim. Foto: Constanze Wieczorek
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„Aufbauen, stärken und befähigen, das ist unser Ziel“

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Per Ekedahl, Präsident der Jeunesses Musicales International, im Gespräch
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Nach Montevideo (Uruguay) und Dar-es-Salaam (Tansania) in den vergangenen Jahren fand die Weltkonferenz der Jeunesses Musicales International (JMI) in diesem Jahr vom 24. bis 30. Juli in Weikersheim, dem Sitz der deutschen Sektion der JMI, statt. Vertreter aus über 30 Nationen nahmen daran teil. Die Jeunesses Musicales Deutschland ist bereits zum vierten Mal Gastgeber der Veranstaltung: 1960 fand sie in Berlin statt, 1972 in Augsburg. 1996 war Weikersheim erstmals Austragungsort der Weltkonferenz. Für die neue musikzeitung sprachen Lena Kleinschmidt und Andreas Kolb im Vorfeld der Konferenz 2012 mit Per Ekedahl, dem Präsidenten der JMI.

 

Andreas Kolb: Was steht auf Ihrer persönlichen Agenda für die 67. Weltkonferenz der JMI?

Per Ekedahl: Abgesehen von Formalia wie die Eröffnung, die Verabschiedung und so weiter ist dies auch eine willkommene Gelegenheit für eine Menge formelle und informelle Treffen abseits der Vollversammlung. Unsere Denkfabrik läuft rund um die Uhr: Viele Leute wollen mit mir sprechen. Für mich ist das auch ein Weg, auf den aktuellen Stand zu kommen über das, was im Verband vor sich geht.

Kolb: 2012 wird ein neuer Vorstand gewählt. Wie viele Mitglieder hat er?

Ekedahl: Mit elf Mitgliedern ist es ein recht großer Vorstand, denn unser Ziel ist es, eine globale Organisation zu sein, und in diesem Sinne sollte Platz für viele Menschen sein. Es ist auch schön, einen lateinamerikanischen oder chinesischen Vertreter zu haben, wenn wir die jeweiligen Ländergrenzen überschreiten möchten. Auch wenn es teuer ist, das zu organisieren.

Lena Kleinschmidt: Haben Sie Lieblingsereignisse während der Konferenzwoche?

Ekedahl: Mein Lieblingsmoment während der Jahresvollversammlung ist der Moment, in dem wir alle Beschlüsse verlesen – in unseren drei offiziellen Sprachen: Englisch, Französisch und Spanisch. Was diesmal neu ist, ist das mu:v-Camp. Das interessiert mich und deshalb bin ich schon etwas früher nach Weikersheim gekommen.

Kleinschmidt: Denken Sie, dass m:uv einzigartig ist, oder kennen Sie ähnliche Projekte von anderen Verbänden?

Ekedahl: Ich denke, es ist ziemlich einzigartig – zumindest in diesem Format. Das Konzept, über das in der JMI zurzeit sehr viel gesprochen wird, beinhaltet, junge Menschen durch Musik zu stärken. Da gibt es ein wunderbares englisches Wort: „to empower“, leider lässt es sich nicht gut übersetzen. Es geht uns nicht darum, zu erziehen, sondern zu stärken, zu befähigen, Sie wissen, was ich meine? Das ist ein Ziel für das ganze Jeunesses-Netzwerk.

Kolb: Das Motto der Generalversammlung ist: „Magic Places for Music“. Könnten Sie uns das verdeutlichen?

Ekedahl: Natürlich. Wir haben seit ein paar Jahren zwei „World Meeting Centers“: dieses hier in Weikersheim und Groznjan in Kroatien. Die beiden Orte sind sehr unterschiedlich und gleichzeitig besitzen sie eine Gemeinsamkeit: Beide haben eine gewisse Magie. So viele Menschen sprechen davon: „Ich bin nach Groznjan gefahren, ich war in Weikersheim, und es war fantastisch, es hat mein Leben verändert.“ Diese Veranstaltungsorte können wirklich Einfluss auf junge Menschen nehmen.

Kleinschmidt: Waren Sie vorher schon mal in Weikersheim?

Ekedahl: Ja, viele Male. Ich liebe es.

Kolb: Haben Sie einen „Magic Place“ hier in Weikersheim, im Garten, an der nächsten Kaffee-Bar oder in der Weinschenke? (lacht)

Ekedahl: Ja, der Wein! Nein, ich mag vor allem den Marktplatz. Ich denke, das ist die Manifestation der Stadt.

Kolb: Sie sind Dirigent, Professor und Konzertveranstalter. Wie hat die Jeunesses Ihr Leben verändert und wie und wann haben Sie begonnen, als ehrenamtlicher Mitarbeiter für die Jeunesses zu arbeiten?

Ekedahl: Ich habe nicht als ehrenamtlicher Mitarbeiter begonnen. Ich bin direkt in den professionellen Weg hineingeschlüpft. Das ist auch eine Tendenz innerhalb der Jeunesses Musicales-Bewegung: Es hat eine Professionalisierung stattgefunden. Wenn man heutzutage einen Kulturbetrieb führen will, muss man professionell sein. Allein um Anträge zu schreiben, sich um das Wirtschaftliche zu kümmern und Veranstaltungen zu organisieren. Außerdem habe ich eine persönliche Verbindung zu allen Betätigungsfeldern der JMI: Ich bin seit jeher Chorsänger und -leiter, die Chorwelt trifft mich also direkt ins Herz. Ich habe in diversen Orchestern Violine gespielt, und ich habe mich in allerlei anderen Musikgenres „durchgemogelt“.

Kleinschmidt: Sie sind nun seit 2008 Präsident. Was möchten Sie ändern?

Ekedahl: Veränderung kommt, unabhängig vom Präsidenten. Die Welt verändert sich jeden Tag. Wir müssen uns verändern, sonst bewegen wir uns nicht vorwärts, sondern rückwärts.Eine meiner Ambitionen ist es, mehr auf einer Linie zu sein mit dem, was in den Jugendkulturen weltweit an Veränderungen passiert. Damit wir nicht in einer veraltenden Struktur hängen bleiben.

Kolb: Werden die internationalen Projekte der JMI von einzelnen Mitgliedern übernommen, oder werden sie von der JMI eingeführt?

Ekedahl: Beides. Zum Beispiel gibt es da das Projekt „Ethno“, welches in einem Land entstanden ist und sich ausgedehnt hat: von Schweden nach Belgien nach Slowenien und dann fast nach ganz Europa. Heute gibt es sogar zwei Projekte in Afrika und eines in Australien. Außerdem besteht eine starke Verbindung zu Indien. Bei diesem Projekt geht es um ein „peer to peer“-Lernen. Ich nenne es „horizontales Lernen“. Es geht um den Austausch von Ideen, es geht darum, alle Grenzen zu überwinden – ethnische, geographische und andere.

Kolb: Verbreitung von Projekten heißt auch immer Wachstum. Gibt es Grenzen des Wachstums?

Ekedahl: Wir bekommen neue Mitglieder und wir verlieren alte. Zur Zeit sind wir wieder in einer Phase des leichten Wachstums. Manche der alten JM-Organisationen tendieren dazu, einzuschlafen. Heute ist es schwieriger geworden, neue starke nationale Jeunesses-Sektionen zu gründen – ich denke da insbesondere an Länder wie USA oder Brasilien. Wir bekommen im Gegenzug aber immer mehr assoziierte Mitglieder. Sie sind an einer internationalen Zusammenarbeit interessiert, und wir sind ihr Netzwerk.

Kleinschmidt: Sie haben Ihren gemeinsamen Kern in Belgien, wo die Organisation 1945 gegründet wurde. Heute gibt es viele unterschiedlich aufgestellte nationale Sektionen. Worin liegen die Unterschiede und was haben sie gemeinsam?

Ekedahl: In Belgien entstand die Jeunesses Musicales-Bewegung bereits 1940. Es begann als Reaktion auf die Hitlerjugend. Die hieß in Belgien „Jeunesses Hitlériennes“ und man sagte: „Wir wollen nicht diese Art von Menschen für unsere Jugend, wir wollen etwas Humanistischeres, Toleranteres, Globaleres. Also: Jeunesses Musicales.“ Doch es stimmt, dass die internationale Organisation fünf Jahre später gegründet wurde.

Kolb: Kann man sagen, Widerstand im Gewand von Kultur und Kunst?

Ekedahl: Ja, genau. Wenn ich den Kern der Jeunesses Musicales erklären muss, erzähle ich diese Geschichte. Denn die Jeunesses steht noch immer für diese Werte. Wir gehören keiner politischen Partei und keiner Religionsgemeinschaft an. Wir stehen darüber.

Kleinschmidt: Was aber haben die nationalen Mitgliedsverbände gemeinsam und was sind Unterschiede?

Ekedahl: Das ist leicht und kompliziert. Leicht ist: es geht um Musik und Jugend. Das haben wir alle gemeinsam. Da wir wachsen und in mehr Kontinente und Länder eindringen möchten, und indem immer mehr Länder hinzukommen, gibt es immer mehr Unterschiede. Die Vielfalt ist fantastisch, doch dadurch wird es schwierig zu sagen: „Das ist Jeunesses Musicales“. 

Kolb: Liegen die Unterschiede auch in der Musik?

Ekedahl: Auf gewisse Weise war es in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren etwas einfacher, denn es ging fast nur um westliche klassische Musik. Doch das ist auch einer der Gründe, warum einige der alten Organisationen, die es hier gab, kaputtgingen: Sie blieben stecken, sie bewegten sich nicht. Heute sind wir klassische Musik, doch wir sind auch Folk, wir sind Jazz, wir sind moderne Pop/Rock-Musik, was auch immer. Es ist ein Weg des Umarmens, was meiner Meinung nach der einzig mögliche Weg ist. Das „empowering“-Thema wird immer mehr der Kern unserer Sache. Wenn man zum Beispiel nach Lateinamerika schaut, da gibt es Mitglieder wie „El Sistema“ in Venezuela (das ist interessanterweise die Jeunesses Musicales Venezuela) oder Neojiba, eine ähnliche Organisation in Brasilien. Die nutzen das klassische Orchester, um junge Menschen aufzubauen, zu stärken. Das ist es, worin die unterschiedlichen Mitgliedsorganisationen mehr und mehr übereinstimmen. Das ist unser Weg.

Kolb: Wie finanzieren Sie sich, denn Sie haben kein Weltkulturministerium, das Ihnen eine Menge Geld gibt?

Ekedahl: Nein, unglücklicherweise nicht. Die Struktur ist eigentlich klar: Jede nationale Abteilung muss ihr Geschäft führen. Wenn Sie im nordamerikanischen Raum sind, spricht jeder von „corporate funding“ und von Spenden, das ist eine andere Kultur. Wenn die hierher kommen, sagen sie, „Oh, ihr habt eine Regierung, die euch Geld gibt?“ Es ist sehr, sehr unterschiedlich. Und die Tendenz heutzutage ist leider, dass jeder über Globalisierung, Internationalisierung und Austausch spricht, doch immer weniger Geld dafür zur Verfügung steht.  Wir bewegen uns in Richtung einer „Projektifizierung“ von allem, und das ist eine globale Tendenz, die immer stärker wird. Auf gewisse Weise macht das Sinn. Denn man bekommt Geld für das, was man auch wirklich tut. Ich persönlich habe kein Problem damit. Diese Entwicklung kann aber ganze Organisationen gefährden, denn wenn es keine Planungssicherheit bezüglich des Personals gibt, das diese Projekte durchführen soll, dann sind diese mitsamt ihrer Finanzierung in Frage gestellt. Mit dieser paradoxen Situation sind, werden wir in Zukunft immer häufiger konfrontiert werden. 

Kolb: Wie groß ist das Büro im „Hauptquartier“ in Brüssel?

Ekedahl: Die Zahl der Angestellten variiert – etwa fünf bis sieben. Das hat mit den Projekten zu tun.

Kleinschmidt: Wo wird die nächste Weltkonferenz stattfinden?

Ekedahl: Die nächste Versammlung wird nächstes Jahr Mitte Mai in Kanada stattfinden. Ich bin glücklich darüber, dass wir seit einigen Jahren auf unterschiedliche Kontinente gehen. Wir waren in China, wir waren in Bali, wir waren in Montevideo, jetzt sind wir Europa und dann werden wir in Kanada sein. Es ist symbolisch sehr wichtig, dass wir in verschiedenen Teilen der Erde wirklich präsent sind. Leider ist es teuer.

Kolb: Wie viele Delegierte erwarten Sie?

Ekedahl: Wir haben ungefähr 70 Mitglieder und etwas mehr als die Hälfte kommt zu den Vollversammlungen. Es hängt davon ab, wo auf der Welt wir sind und wo die Leute gerne hingehen möchten. (lacht)

Kolb: Wir bedanken uns für das Gespräch. 

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