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Kunst und Kasse, das paßt irgendwie nicht zusammen. So könnte das Fazit der Vorgänge um das Baden-Badener Festspielhaus lauten. Erinnern wir uns: jenes gigantomanische Projekt, das seine Macher, allesamt der „Spätzle-connection“ um den ehemaligen baden-württembergischen Landesvater Lothar Späth angehörig, vollmundig als die künftige größte und schönste, vor allem aber gewinnträchtigste Festspielstätte Europas anpriesen, Wiederbelebung der kurstädtischen „belle époque“ mit den illustren Gästen Turgeniew und Dostojewsky, Brahms und Clara Schumann, wirtschaftliche Rettung der in der Flaute der Gesundheitsreform dahindümpelnden Region, Konkurrenz für Bayreuth und Salzburg. Das alles rein privatwirtschaftlich, ganz ohne Subventionen der öffentlichen Hand, ein Novum in der Geschichte unserer von Sparwut paralysierten Kulturpolitik. Den willkommenen Anlaß bot die Vergabe der „Herbert-von-Karajan-Pfingstkonzerte“ vom unpassend modern gewordenen Salzburg an die idyllische Oos durch Witwe Eliette; der 80jährige Millionär und „einzige echte Benjamino-Gigli-Schüler“ Ermano Sens-Großholz heckte das erste Konzept konservativer Wagner-Festspiele aus.Ein Operetten-Libretto also, mit echten Operettenfiguren; die Rolle des „Zigeunerbarons“ übernahm der Baden-Badener Oberbürgermeister Ulrich Wendt. Er peitschte das Projekt gegen alle Warnungen der Gemeinderats-Opposition durch, nahm auch das tiefe Mißtrauen der Bevölkerung, ja sogar ihre Polarisierung in Kauf – in betuchte und event-hungrige Befürworter einerseits, in kunstinteressierte, selbst als „Mittelschichtler“ vor den horrenden Kartenpreisen kapitulierende „Miesmacher“ andererseits. In nur eineinhalb Jahren wurde unter der Regie von Walter Veyhle, der sich bereits mit den Event-Containern à la „Miss Saigon“ für den Stuttgarter Musical-Mogul Rolf Deyhle hervorgetan hatte, ein 120-Millionen-Bau hochgezogen, eine klobig-kastenförmige Ergänzung des zierlich im Neorenaissance-Stil historisierenden alten Bahnhofs, deren Fassade aus Glas, Stahl und Beton dem glamour-süchtigen Besucher schon von weitem drohend zuzurufen scheint: Hier wird gespart! Knickrig geht es auch im Innenraum zu: der schmale glasüberdachte Durchgang zwischen Alt und Neu ist schon alles an Parkettfoyer für maximal 2.600 Festivalgäste, die sich auf den Treppen drängeln und im Saal mit beklemmend engen Sitzen und der Winzigkeit einer einzigen Armlehne vorlieb nehmen müssen.
Anmaßende Klassenschranke
Lediglich die VIP-Lounge im ersten Rang, wo die Mitglieder eines „Club 300“ für 15.000 Mark ein Dauerrecht mit namentlich gekennzeichnetem Platz erwerben können, ist großzügiger ausgestattet. Schmal jedoch auch die mit rotem Teppich ausgeschlagene, scharf vor Unbefugten bewachte Wendeltreppe ins Allerheiligste.
„Die rote Treppe würde ich vielleicht nicht so gebaut haben“, lautet dazu der lapidare Kommentar von Andreas Mölich-Zebhauser. Dem 46jährigen Musikwissenschaftler und erfolgreichen ehemaligen Geschäftsführer des renommierten „ensemble modern“ wurden Anfang Juli die Geschicke des Hauses anvertraut, nachdem die alte Führungscrew nur drei Monate nach pompös gemeinter, aber doch reichlich provinzieller Eröffnung mit Schimpf und Schande verjagt worden war. Mit deren Feudalgebaren hat er nichts im Sinn. Mit dem Gedanken eines maßvoll hofierten Mäzenatentums jedoch kann er sich anfreunden. Und er muß es wohl auch – die „Club 300“-Mitgliedschaft soll jetzt für eine dreimonatige Probezeit zu 3.000 Mark angeboten werden – denn er tritt ein schweres Erbe an. Die „Macher“ – allen voran der von der Betreibergesellschaft „Dekra“ eingesetzte Geschäftsführer Rainer R. Vögele, dem um ein Haar auch noch das derzeit geschlossene Berliner Metropol-Theater zur Sanierung zugeschustert worden wäre – hinterließen ihm ein Defizit von stolzen zehn Millionen Mark.
Warum nicht das Haus schließen und Konkurs anmelden? Gerade der Stadt, in der jetzt viele Lieferanten und Handwerker auf ihr Geld warten müssen, hätte das wenig genützt. Ohnehin ist sie die Hauptgeschädigte. Denn ein raffinierter, eine „Mischfinanzierung“ vorsehender Vertrag bürdet ihr den Löwenanteil des finanziellen Risikos auf: die durch einen Immobilienfonds der Südwestdeutschen Landesbank vorfinanzierten Baukosten sollen durch eine Jahresmiete von zirka acht Millionen Mark, zu zahlen von den Betreibern, zurückfließen. Neben einer „Strukturhilfe“ des Landes von etwa fünf Millionen Mark steht die Stadt mit einer „Mietausfallbürgschaft“ für den Restbetrag ein, falls der nicht im Spielbetrieb erwirtschaftet werden kann. Nachdem die geschockte Dekra, die ihr Geschäft technischer Fahrzeugprüfungen so gern mit der teuer verkauften Ware Kunstgenuß aufgebessert hätte, sich aus allen kulturellen Aktivitäten und damit auch aus allen Verbindlichkeiten zurückgezogen hatte, kaufte ihr die Gemeinde die Anteile von zirka 80 Prozent für eine Mark ab und steht nun umso mehr in der Pflicht. Mölich-Zebhauser verspricht nun, alles zu tun, um es nicht zu einem kommunalen Verlustausgleich kommen zu lassen, und zunächst einmal „solide Entwicklungsarbeit“ zu leisten. Noch zum Jahresende will er einen neuen privaten Betreiber gefunden haben. Ansonsten müßte die Stadt von den fünf bis sechs Millionen, die als Zuschußbedarf für 1999 kalkuliert wurden, 80 Prozent übernehmen. Der Dekra konnte über schon bezahlte drei Millionen Mark hinaus ihre Bürgschaft in Höhe von zwei Millionen abgerungen werden. Erst danach gab der Gemeinderat grünes Licht für die Freigabe beim Bau eingesparter drei Millionen. Mit einer spektakulären „Werbeaktion“ lockte der Intendant 16.000 Besucher aus der Region bei freiem Eintritt in die sommerliche Aufführungsstaffel des Petersburger Mariinsky-Theaters und konnte für die folgenden vier Konzerte 6.000 Karten verkaufen. Zumindest der gröbste Image-Schaden war damit geflickt. Spenden und Sponsorengelder konnten aktiviert, das letzte Finanzloch vom „Freundeskreis“, den noch Lothar Späth initiiert hatte, mit 930.000 Mark gestopft werden. Die Verbindlichkeiten der Gläubiger ließen sich um 20 Prozent herunterhandeln – ob auch das Finanzamt mit seiner Forderung von 1,7 Millionen Mark Künstlersteuer dabei ist, die die Vorgänger „vergessen“ hatten zu bezahlen, steht allerdings noch in den Sternen.
Wendung ins Positive
Man merkt dem findigen Retter in letzter Sekunde an, daß er auf diese Leistung ein wenig stolz ist. Was unter seinen Vorgängern immer wieder Anlaß zu teils hämischer Kritik gab, vermag er ins Positive zu wenden. Das Haus und seine Möglichkeiten – die nach seinem Dafürhalten hervorragende Akustik, die Eignung für Oper und Konzert gleichermaßen, das durch einfache Technik variable Platzangebot von 2.500 bis zu „intimen“ 1.000 Sitzen – begeistern ihn uneingeschränkt. Nun geht es darum, die „eigene Handschrift“ zu entwickeln, finanziell wie künstlerisch. Vordringlich ist es, das Haus „in der Region zu verankern“ und zu einer gesunden Mischung von einheimischen und auswärtigen Besucheranteilen – letztere gegenwärtig etwa 20 Prozent – zu gelangen. Dafür wurde das Preisniveau bereits um 40 Prozent gesenkt und soll auch in seinen Kategorien völlig neu durchgestuft werden, „damit sich nicht bei leerem Parkett die Besucher auf dem zweiten Rang drängeln“.
Die Künstler erhalten „ganz normale Gagen“, nicht die „Mondpreise“ des Anfangs. Das recht konservative, um mehr oder weniger gepflegte Langeweile versprechende „Stars“ des Klassikbetriebs gruppierte Allerweltsprogramm, mit dem Wolfgang Gönnenwein kein Festivalpublikum anlocken konnte, wird behutsam ausgeweitet, auf längere Festivalblocks, in denen auch die Neue Musik eine zunehmend bedeutende Rolle spielen soll. Die historischen Verbindungen der Kurstadt nach Frankreich und Rußland, die sich bisher in der Zusammenarbeit mit dem Mariinsky-Theater ausdrückten, sollen inhaltlich stärker einbezogen werden. Gleichzeitig soll es eine Achse Petersburg – Baden-Baden – USA geben, auf der Inszenierungen hin- und hergeschickt werden. Die Kombination unterschiedlicher Genres könnten Opernproduktionen oder Konzert-Highlights in ein „neues Beziehungsgeflecht“ stellen.
All das ist noch nicht fertig ausgearbeitet – „die Entwicklung einer Identität ist ein praktischer Prozeß, der auch mit Publikumsreaktionen zu tun hat“ – und müßte auch, da „zweifellos defizitär“, mit leichter Muse „gegenfinanziert“ werden. Doch selbst das muß kein hirnloses Abfüttern von Senioren-Busladungen mit „Schwarzwaldmädel“ (inzwischen gestrichen) oder „Bettelstudent“ (noch im Programm) sein, kann sogar durch niveauvolle Inszenierungen etwa einer „West Side Story“ „Grenzen zwischen U und E einreißen“, so daß insgesamt im Programm „der Genußaspekt und die intellektuelle Herausforderung zu angemessener Balance gelangen“.
Optimistische Pläne, bei denen trotz ihrer Attraktivität bezweifelt werden muß, ob sie ein der Größe des Hauses entsprechendes Publikum finden werden. Auch Mölich-Zebhauser ist davon überzeugt, daß anspruchsvolle Kultur auch heute noch staatlich subventioniert werden muß. Doch bei der jetzigen Struktur seines Betriebs glaubt er, es schaffen zu können: 40 feste hochmotivierte Mitarbeiter, die weitere freie Kräfte etwa für Bühnendekoration nach Bedarf verantwortlich einsetzen – „keine Bühnenarbeiter, die elf Monate im Jahr lang Däumchen drehen und deshalb gar nicht motiviert sein können, sondern von überall nur die besten Leute“. Kein ganz ungefährliches, aber wohl im Trend der Zeit liegendes Modell, das vielleicht auch manchen Staatsbetrieb entlasten und doch andererseits auch der Gesichtslosigkeit der in ihren Ensembles sich auflösenden Häusern Vorschub leisten könnte. Wenn auch noch nicht alle Finanzklippen umschifft sind, die Tauglichkeit der Rezepte noch nicht erwiesen ist, so hält der geschäftsführende Intendant doch eine Balance zwischen Kosten und Einnahmen für herstellbar – „der Rest ist Entwicklung“.