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Barroso bringt Frankreichs Kulturschaffende auf die Barrikaden

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Seit EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso Frankreichs Kulturprotektionismus als reaktionär bezeichnet hat, stehen bei den Franzosen die Zeichen auf Sturm. War die Einigung, die Kultur bei den kommenden Verhandlungen zum Freihandelsabkommen nicht auf den Verhandlungstisch zu legen, nur ein Schein-Etappensieg?

 

Paris - Die Freude über den Sieg war von kurzer Dauer. Noch vor wenigen Tagen feierten Frankreichs Kulturschaffende die Entscheidung der EU-Mitgliedstaaten, die Kultur nicht auf den Verhandlungstisch zu legen, wenn die EU und die USA Anfang Juli über ihr angestrebtes Freihandelsabkommen diskutieren. Auch der deutsche Kulturrat hatte das interne Übereinkommen als Etappensieg gefeiert. Die jüngste Kritik des EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso am Staatsprotektionismus lässt jedoch Zweifel auftauchen. Haben sich Frankreich und die Kulturschaffenden zu früh gefreut?

Barroso hatte in einem Interview mit der «International Herald Tribune» die Forderung Frankreichs nach einer Ausklammerung des audiovisuellen Bereichs aus den Handelsvereinbarungen als überholt kritisiert. «Manche sagen, sie gehören der Linken an, aber in Wirklichkeit sind sie kulturell sehr reaktionär.»

Auch Kulturstaatsminister Bernd Neumann hatte die Einigung, am Status quo der Sonderstellung von Kulturgütern festzuhalten, begrüßt. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk zeigte er sich optimistisch. Das Europäische Parlament stehe dahinter sowie die wichtigen großen Länder, erklärte er. Nur: Festgelegt hat man in Brüssel den Status nicht.

Frankreichs Kulturschaffende sind wütend auf Barroso. Er sei ein Unfall der Geschichte. Man werde sich an große Künstler wie Pink Floyd, Serge Gainsbourg, Pedro Almodóvar, Costa-Gavras und Wim Wenders erinnern, während sich an seinen Namen niemand mehr erinnern werde, schimpfte der Sänger Jean Michel Jarre im Radio. Michel Hazanavicius, der Regisseur des Erfolgfilms «The Artist», zeigte sich bestürzt. Das sage viel über diese Personen aus, die nicht gewählt würden, sondern Europa mit viel Arroganz und Selbstzufriedenheit regierten.

Man werde auf der Hut bleiben und den Kampf fortsetzen, warnte am Mittwoch auch die Kulturministerin Aurélie Filippetti. Frankreich sei nicht altmodisch, sondern extrem fortschrittlich, ging sie weiter in die Offensive. Barroso hat mit seiner Äußerung eine Welle der Empörung ausgelöst, die nicht enden will. Sein Gespräch mit Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande am Rande des G8-Gipfels in Nordirland hat die Wogen nicht geglättet. Ganz im Gegenteil. Wie ein Kommissionssprecher sagte, habe er in dem Tête-à-Tête erklärt, mit seiner Bemerkung habe er nicht die französischen Behörden gemeint und noch weniger Frankreich als Mitgliedstaat, dennoch sei er der Überzeugung, dass jene, die sich nicht der Globalisierung anpassen, reaktionär seien.

In Frankreich stehen die Zeichen auf Sturm. Die Haltung innerhalb der Europäischen Kommission zeigt, dass es einen klaren Willen gebe, gegen eine bestimmte Vorstellung von Kultur in Europa anzugehen und die Subventionen des europäischen Kinos abzubauen, erklärte Filippetti. Würde die Kultur behandelt werden wie die Automobilindustrie, könnten Buchpreisbindung und Filmförderungen unterlaufen werden.

Sabine Glaubitz

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