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Beatmusik und Bruce Springsteen - Jugendradio DT64 ging vor 50 Jahren auf Sendung

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Berlin - Ob Michael Jackson oder Bruce Springsteen: «Duett - Musik für den Rekorder» bot DDR-Musikliebhabern die Chance, Hits vom Klassenfeind auf Kassette zu bannen. In der Sendung von Jugendradio DT64 wurde je ein Album aus der DDR und aus dem sogenannten kapitalistischen Ausland präsentiert. Damit die Hörer die Musik aufnehmen können, blieben die Moderatoren vorher und nachher kurz still - während die Kollegen etwa bei RIAS und beim SFB im Westteil Deutschlands auch die Musik unterbrachen. Vor 50 Jahren, zu Pfingsten 1964, war die Geburtsstunde des DDR-Jugendsenders, der kurz nach dem Mauerfall trotz großer Proteste abgeschafft wurde.

 
 
Ost-Berlin 1964: Vom 16. bis zum 18. Mai treffen sich in der Hauptstadt der DDR Hunderttausende Jugendliche aus beiden Teilen Deutschlands. Auf dem «Deutschlandtreffen» bietet ihnen die Jugendorganisation FDJ etwa Lesungen und Konzerte - und im Radio läuft ein 99-stündiges Sonderprogramm aus dem «Sonderstudio DT64». Wolf Biermann liest dort - und erstmals wird im DDR-Rundfunk englische Beatmusik gespielt.
 
Ende Juni 1964 wird DT64 dann ein ständiges Nachmittagsprogramm des Berliner Rundfunks. «Wir spielten weiter moderne, also auch westliche Musik», blickt der damalige DT64-Chef Siegmar Krause in der MDR-Dokumentation «DT64 - Rock'n' Roll und FDJ», die am 11. Mai ausgestrahlt wurde, zurück. Doch schon im Jahr darauf wirft SED- und Staatschef Erich Honecker den Programmmachern vor, einseitig Beatmusik zu propagieren. «Es ist übersehen worden, dass der Gegner diese Art Musik ausnutzt, um durch die Übersteigerung der Beatrhythmen Jugendliche zu Exzessen aufzuputschen», sagt Honecker.
 
«Wir haben dann mehr DDR-Musik gespielt. Aber damit allein konnten wir nicht das Programm füllen», blickt Krause zurück. Hinzu kam, dass die Radiosender westlich der Mauer, die auch in der DDR gehört werden konnten, ihr Angebot für junge Hörer ausbauten. Also hatten die Macher des DDR-Jugendsenders weiterhin so einige Freiheiten - und durften auch Hits vom Klassenfeind spielen.
 
«Kein Mensch hat sich die Frage gestellt, wo wir die Musik her hatten», sagt der damalige Moderator und spätere Chefredakteur Michael Schiewack in der MDR-Dokumentation. Die DT64-Macher hätten auch manchmal bei RIAS-Kollegen angerufen, sich einen speziellen Titel gewünscht - und darum gebeten, dass nicht draufgesprochen wird. «Das nannte man Luftmitschnitt», so Schiewack.
 
Auch in den Nachrichten des Senders, der seit 1986 auf einer eigenen UKW-Frequenz von 13 bis 24 Uhr zu hören war, ging es etwas lockerer zu: Da sie nur drei Minuten lang waren, konnte manch offizieller Titel der DDR-Politfunktionäre weggelassen werden. Ein Tabu gab es aber für die Radio-Macher: Ging ein DDR-Musiker in den Westen, durfte seine Musik nicht mehr gespielt werden.
 
Mit dem Fall der Mauer brachen alle Verbote - doch lange konnten die Moderatoren die neue Freiheit nicht genießen: Im September 1990 verschwand das Programm über Nacht Punkt 24 Uhr plötzlich von allen Frequenzen außerhalb Berlins - und RIAS ertönte. In einer in der Rundfunkgeschichte wohl einmaligen Protestwelle traten Tausende DT64-Fans in Hungerstreiks und blockierten Straßen, um ihren Sender weiter hören zu können. Nach 18 Stunden war der lang geplante Coup vorbei - doch lange währte die Freude darüber nicht.
 
Eine Privatisierung des Senders gelang nicht. Zudem missfiel das DDR-Relikt so manchem Politiker. «Hier wächst eine Jugend heran, die schafft den Übergang auch ohne DT64», sagte etwa der damalige Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Berndt Seite (CDU).
 
Ende 1991 wurden die Frequenzen in Mecklenburg-Vorppmmern abgeschaltet. Ab 1992 wurde der Sender dann in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen übergangsweise auf Mittelwelle ausgestrahlt; die UKW-Frequenzen bekamen Privatsender. Berlin und Brandenburg ließen DT64 im neuen Jugendprogramm Fritz aufgehen. Der MDR gründete am 1. Mai 1993 das Jugendradio Sputnik - das aber erst nach jahrelangem Rechtsstreit eine UKW-Frequenz bekam.
 
Sophia-Caroline Kosel
 
Die Chronologie des Wandels:
 
16. Mai 1964 - Zum «Deutschlandtreffen der FDJ» bietet der Rundfunk der DDR ein 99-Stunden-Programm für die jungen Leute - «Sonderstudio DT64»
 
7. März 1986 - DT64 wird eine eigenständiger Sender auf UKW
 
1. April 1990: DT64 sendet rund um die Uhr als «parteipolitisch ungebundenes Medium für die Jugend», finanziert mit Gebühren und Werbung.
 
8. September 1990: Die einen Tag zuvor verfügte Übergabe von zwölf der 18 Frequenzen von DT64 an RIAS Berlin wird nach massiven Protesten rückgängig gemacht.
 
31. Dezember 1991: Der DDR-Hörfunk wird abgeschafft. DT64 bleibt, weil der MDR den Sendebetrieb sichert - zumindest in seinem Verbreitungsgebiet.
 
18. Januar 1992: In Mecklenburg-Vorpommern, das nun kein DT64 mehr empfangen kann, ebbt die Welle der Demonstrationen für eine Wiederzulassung nicht ab. Tausende Jugendliche gehen auf die Straße, es folgen Hungerstreiks.
 
1. Juli 1992: DT64 räumt zehn UKW-Frequenzen und wird nun über Mittelwelle ausgestrahlt.
 
30. November 1992: Der Rundfunkrat billigt die Pläne zum Erhalt des Senders und der Ausstrahlung per Satellit.
 
März 1993: DT64 wird im Testlauf via Satellit ausgestrahlt.
 
1. Mai 1993: DT64 wird zu MDR Sputnik. Die Jugendwelle des MDR ist nun im Dauerbetrieb über Satellit zu empfangen.
 
5. November 1993: Umschalten von Berlin nach Halle. MDR Sputnik sendet aus einem neuen Studio.
 
12. Februar 1997: Der Landtagsausschuss für Kultur und Medien in Magdeburg beschließt, dem werbefreien Jugendsender eine UKW-Frequenz am Sendeort zu geben.
 
16. September 1997: Fünf Privatsender klagen gegen die Ausstrahlung von MDR Sputnik. Ihr Argument: Das Jugendprogramm sei nicht Bestandteil des MDR-Staatsvertrages. Die Klage wird 1995 auch in zweiter Instanz abgewiesen. 
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