Eine Reihe von Verbänden der deutschen Musikwirtschaft (von der GEMA bis zur Livekomm) habe in einem Paper aufgelistet, welche wirtschaftlichen Auswirkungen die Corona-Pandemie auf ihren Sektor hat. Es werden dabei alle Branchen detailliert aufgelistet. In Auszügen stellen wir es an hier bereit. Die Forderung lautet: Es werden schnelle staatliche, nicht rückzahlbare Soforthilfen zur Kompensation für entstandene Schäden benötigt.
Einleitung:
Die so vielseitige und identitätsstiftende Musikkultur in Deutschland befindet sich angesichts der Corona-Pandemie in einer dramatischen Situation und steht vor einer ungewissen Zukunft. Der aktuelle Shut-Down des öffentlichen Lebens ist für die durch Einzel- und Kleinstunternehmen geprägte Branche - als Partner der im Mittelpunkt stehenden Künstler*innen - existenzbedrohend. Dadurch werden zentrale Geldflüsse an die Künstler*innen und Beteiligungen am wirtschaftlichen Erfolg austrocknen und in Folge werden sich die finanziellen Probleme verschärfen.
Am 23. März 2020 beschloss die Bundesregierung ein Soforthilfepaket, bestehend aus zusätzlichen Maßnahmen mit Soforthilfen von bis zu 50 Milliarden Euro für kleine Unternehmen, Solo-Selbständige und Angehörige der Freien Berufe.
Finanzminister Scholz sagte am 23. März 2020 dazu: „Wir gehen in die Vollen, um auch den Kleinstunternehmen und Solo-Selbständigen unter die Arme zu greifen. Sie brauchen unsere besondere Unterstützung, sie werden von dieser Krise hart getroffen. Deshalb gibt es vom Bund jetzt schnell und unbürokratisch Soforthilfe. Ganz wichtig ist mir: Wir geben einen Zuschuss, es geht nicht um einen Kredit. Es muss also nichts zurückgezahlt werden. Damit erreichen wir die, die unsere Unterstützung jetzt dringend brauchen.“
Wirtschaftsminister Altmaier unterstrich: „Wir lassen niemanden allein. Es darf und wird hier keine Solidaritäts-Lücke geben. Deshalb schnüren wir ein zusätzliches umfassendes Paket im Umfang von bis zu 50 Milliarden Euro für Solo-Selbständige und Kleinstunternehmen auch mit direkten Zuschüssen, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Daneben helfen wir mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds konkret der Realwirtschaft und verhindern den Ausverkauf deutscher Wirtschafts- und Industrieinteressen. Dabei darf es keine Tabus geben. Vorübergehende und zeitlich begrenzte Staatshilfen bis hin zu Beteiligungen und Übernahmen müssen möglich sein.“
Am gleichen Tag hatte auch die Kulturstaatsministerin Grütters betont: „Wir kennen die Nöte, wir wissen um die Verzweiflung. Gerade der Kulturbereich ist durch einen hohen Anteil Selbstständiger gekennzeichnet, die jetzt existenzielle Probleme haben. Deshalb freue ich mich, sagen zu können: Die Hilfe kommt – so schnell und so unbürokratisch wie möglich! (…) Die Bundesregierung insgesamt ist sich des einzigartigen Stellenwerts unserer Kultur-, Kreativ- und Medienlandschaft bewusst. (…) Unsere demokratische Gesellschaft braucht in dieser bis vor kurzem unvorstellbaren historischen Situation ihre einzigartige und vielfältige Kultur- und Medienlandschaft!"
Wir, die zentralen Verbände der Musikwirtschaft und die beiden großen Verwertungsgesellschaften, nehmen diese Soforthilfen und Maßnahmen erfreut zur Kenntnis und begrüßen die dahinter liegende Wertschätzung der Kultur- und Kreativwirtschaft im Allgemeinen und unserer Branche im Besonderen!
Für die zahlreichen Solo-selbständigen unserer Branche sind die angekündigten Hilfsmaßnahmen eine große Erleichterung. Für viele Unternehmen der Musikwirtschaft kommen sie allerdings nicht in Frage. Die Flexibilisierung des Kurzarbeitergeldes ebenso wie steuerliche Erleichterungen sind leider für die Musikschaffenden und die Musikwirtschaft allenfalls in Ausnahmefällen geeignet, die entstandenen Schäden zu kompensieren. Auch vergleichbare Soforthilfeprogramme – wie sie für Solo-Selbständige und Kleinstunternehmen geschaffen wurden – reichen nicht annähernd aus, um bei der überwiegenden Zahl der musikwirtschaftlichen Unternehmen die erheblichen Schäden, die bereits entstanden sind und noch entstehen werden, zu kompensieren.
Der durch gesundheitspolitische Entscheidungen entstandene Ausfall kann auch nicht sinnvoll alleine über flexiblere Kreditvergaben und vergleichbare Angebote abgefangen werden. Zum einen verfügen Klein- und Kleinstunternehmer*innen selten über notwendige Sicherheiten, zum anderen können diese Ausfälle in der Regel nicht einfach nachgeholt werden, um die Kredite zu bedienen.
Dringend benötigt werden daher schnelle staatliche Soforthilfen beispielsweise für Mietzahlungen und Lohnkosten. Diese sollten unbürokratisch und schnell zur Verfügung gestellt werden und nicht an einschränkende Bedingungen wie unmittelbare Betroffenheit von gesundheitspolitischen Maßnahmen abhängen.
Im Folgenden erläutern wir die Effekte der gesundheitspolitischen Maßnahmen auf die einzelnen Teilbereiche der Musikwirtschaft und skizzieren die aktuell zu erwartenden Umsatzeinbußen für einen Zeitraum von sechs Monaten.
Ferner sind alle Unterzeichner bereit, bei der unmittelbaren Umsetzung zu helfen. Denn eines ist klar: Wenn es keine entsprechende Hilfe für die Musikwirtschaft gibt, werden an Weihnachten 2020 weder neue Tonträger, Noten, Instrumente noch Konzertkarten unter dem Weihnachtsbaum liegen. Dann ist ein Wirtschaftszweig, der wie kein anderer für die kulturelle Vielfalt steht, verschwunden.
Zur Musikwirtschaft – Überblick
Der musikwirtschaftliche Gesamtmarkt mit seinen Teilsektoren wurde erstmals 2015 in der Studie „Musikwirtschaft in Deutschland“ dargestellt. Auftraggeber waren in Kooperation die wichtigsten Verbände der Musikwirtschaft, Förderer die Stadt Hamburg und des BMWi. Der Studie zufolge setzte die Branche im Jahr 2014 insgesamt 11 Mrd. Euro um, zählte 127.000 Selbständige und Arbeitnehmer*innen und erreichte eine Bruttowertschöpfung von rund 3,9 Milliarden Euro. Innerhalb der sieben Teilbranchen der Musikwirtschaft wiederum hatten die „Musikveranstaltungen“ (27 %) und „Musikaufnahmen“ (22 %) die höchste Bruttowertschöpfung, gefolgt von den Bereichen „Musikinstrumente“ (19 %), „Kreative“ (15 %), „Musikunterricht“ (10 %), „Musikverlage“ (5 %) und „Verwertungsgesellschaften“ (2 %). Für 2020 ist eine Neuauflage der Studie in Planung, die den Status der Branche 2019 abbildet.
Den Kern der Musikwirtschaft bilden die Musiker*innen aller Genres. Ihre Liveauftritte (Clubs, Konzerte, Festivals, Business-Events und Auftritte im Bereich Messen, Kongresse, Partys, Galas), werden derzeit alle abgesagt; damit bricht die wichtigste Einnahmequelle für die Künstler*innen weg. Aber auch Nebenjobs als Instrumentallehrende, Studiomusizierende, Produzierende, Vermietende u.v.m. fallen in diesen Tagen weitestgehend aus. Fakt ist, dass die Musiker*innen zum jetzigen Zeitpunkt kaum noch Einkommensquellen haben. Mit dem langfristigen Ausfall ist sowohl in den Metropolen als auch im ländlichen Raum, nicht nur die künstlerische Entwicklung und der musikalische Nachwuchs in Gefahr, sondern die gesamte Branche kann ohne Künstler*innen nicht existieren.
Allein für über 50.000 Musiker*innen belaufen sich bei einer Dauer der Maßnahmen von sechs Monaten – bei einem von der Künstlersozialkasse veröffentlichten durchschnittlichen Jahreseinkommen von lediglich 13.000 Euro – nach aktuellen Schätzungen die zu erwartenden direkten Umsatzeinbußen auf ca. 325 Mio. Euro.
Die existenzbedrohenden Einschnitte der gesundheitspolitischen Maßnahmen sind im Live-Bereich zuerst sichtbar geworden und treffen Künstler*innen wie Veranstalter*innen direkt. Die Schließung sämtlicher Spielstätten, Clubs und anderer Räume, in denen Musik gespielt wird, legen die Einkommensquellen aller Unternehmen der Musikwirtschaft ebenso lahm wie die Drosselung (bspw. Amazon) und teilweise Aussetzung (bspw. Plattenläden, Elektronikfachhandel) des Musikfachhandels.
Die kreativen Leistungen von Künstler*innen können so derzeit weder über den Live-Bereich, noch über den physischen Verkauf am Markt platziert werden.
Zur Musikwirtschaft zählen sehr unterschiedliche Branchen, die durch Verwertungsketten miteinander verbunden sind. Daher ist es wesentlich, alle Teilbereiche mit ihren durch die Krise bedingten spezifischen Problemen zu berücksichtigen, um Ketteneffekte zu verhindern – darunter: Künstler*innen, Komponist*innen, Textdichter*innen, Veranstalter*innen, Veranstaltungszentren, Label, Verlage, Künstlermanager*innen, Künstlervermittler*innen, Clubbetreiber*innen, Tonstudios, Presswerke, Vertriebe, Merchandise und Verwertungsgesellschaften sowie die Herstellung und der Handel mit Musikinstrumenten, -equipment und Noten.
(…)
Fazit
Da die Musikwirtschaft als Branche kleinteilig und durch Verwertungsketten sehr eng verwoben ist, verlagern sich wirtschaftliche Probleme eines Sektors schnell und in zeitlichen Wellen auf die übrigen Partner*innen. Gemeinsam ist allen Akteur*innen dieser heterogenen Branche, dass sie in gegenseitiger Abhängigkeit von der Solvenz der jeweiligen Partner*innen in der Verwertung und der Werknutzung sind. Es ist also notwendig, flächendeckend zu agieren, um die negativen Effekte auf die Wertschöpfungsketten abzumildern.
Wie eingangs erwähnt, werden jetzt schnelle staatliche, nicht rückzahlbare Soforthilfen zur Kompensation für entstandene Schäden benötigt. Diese sollten unbürokratisch und schnell zur Verfügung gestellt werden und nicht an einschränkende Bedingungen wie unmittelbare Betroffenheit von gesundheitspolitischen Maßnahmen abhängen.
Aus Sicht der Branche ist es geboten, die nachgelagerten Effekte mitzudenken und diesen auch längerfristig entgegenwirken zu wollen.
Die gerundete Gesamtsumme der bei einer 6-monatigen Dauer der Maßnahmen erwarteten
Umsatzeinbußen beläuft sich nach unseren aktuellen Schätzungen auf:
Clubs und kleine Musikbühnen |
206 Mio. Euro |
Konzert- und Tourneeveranstalter*innen und Künstlervermittler*innen |
3.653 Mio. Euro |
Kleine und mittlere Festivals |
233 Mio. Euro |
Große Festivals |
451 Mio. Euro |
Musikverlage/Urheber*innen/GEMA |
363 Mio. Euro |
Tonträgerhersteller/Künstler*innen/GVL |
250 Mio. Euro |
Musikinstrumente |
300 Mio. Euro |
Summe |
5.456 Mio. Euro |
Das vorliegende Papier ist eine Schadensmeldung verschiedener Sektoren der Musikwirtschaft. Sie beruht auf Schätzungen entstandener und entstehender Schäden bei einer angenommenen Dauer der notwendigen gesundheitspolitischen Maßnahmen von insgesamt sechs Monaten. Diese Berechnungen enthalten zum Teil Vergütungen für Künstler*innen (beispielsweise Gagen oder Lizenzeinnahmen) sowie Kosten, die teilweise ausfallbedingt nicht oder nicht in voller Höhe anfallen.
Der komplette Bericht zum Nachlesen (pdf).
- BDKV – Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft e.V. BVMI – Bundesverband der Musikindustrie e.V.
- BV POP – Bundesverband Popularmusik e.V.
- DMV – Deutscher Musikverleger-Verband e.V.
- EVVC – Europäischer Verband der Veranstaltungs-Centren e.V. GVL – Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten
- GEMA – Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte
- LIVEKOMM – Verband der Musikspielstätten in Deutschland e.V. SOMM – Society Of Music Merchants e. V.
- VUT – Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen e.V.