Berlin- Berlins Kultursenator Joe Chialo will noch in diesem Jahr eine Nachfolge für Daniel Barenboim als Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden finden. Der 80-Jährige hatte den Posten zu Jahresbeginn krankheitsbedingt aufgegeben.
«Wir sind mit Hochdruck dran», sagt der CDU-Politiker. «Es geht darum, das Haus in seiner Exzellenz und Tradition zu bewahren und trotzdem Türen für eine moderne Zukunft aufzumachen.» Für Chialo ist klar: «Wenn ich eine gleichwertige Exzellenz bei zwei Kandidaten habe, würde ich immer eine Frau bevorzugen. Und wenn wir eine Frau mit Migrationshintergrund finden würden, dann wäre es natürlich noch toller.»
Es müsse geschaut werden, was der Markt hergebe. «Die guten Leute warten nicht zu Hause, dass der Senator aus Berlin anruft. Entweder sind sie bereits in Häusern oder sie sind auf dem Weg zu Häusern. Das ist nicht unterkomplex», sagte Chialo.
Er habe sich mehrmals mit der künftigen Intendantin Elisabeth Sobotka getroffen. «Wir sind in einem vorgegebenen Prozess. Alle schauen dabei immer nur auf das Dirigentenpult.» Die Intendantin sei aber mit ihrer Wirkmacht wichtig, um Betrieb, Programm und Klima im Haus weiterzuentwickeln.
Berlins Kultursenator Chialo
Berlins Kultursenator Joe Chialo hat seinen Job als erfolgreicher Musikmanager für den Senatsposten in der Regierung von CDU und SPD aufgegeben. Damit sind für den CDU-Politiker viele Bereiche der Kulturszene noch politisches Neuland. Im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur äußert sich der 52-Jährige zu persönlichen Dingen und anstehenden Themen:
Rassismus
Chialo, als Kind einer tansanischen Diplomatenfamilie in Bonn geboren, ist mit Rassismus aufgewachsen. Auch sein Erfolg änderte daran nichts. «Rassismus, in vielen Formen, gibt es immer. Manchmal offensichtlich, manchmal subtil», berichtet er. Sein Vater habe ihm Erfolg als bestes Mittel gegen Rassismus empfohlen. «Deswegen ist es für mich so wichtig, mich nicht in einem Opferbild zu sehen, sondern den Blick nach vorne zu richten und meine Zukunft aktiv zu gestalten, also erfolgreich sein zu wollen.»
Glaube
Im Kölner Ordensinternat der Salesianer Don Boscos machte Chialo Abitur. Dem Orden fühlt er sich bis heute verbunden. «Mein christlicher Glaube ist für mich die Kraftquelle, um mit den realen Situationen gut umgehen zu können», sagt er. «Der Glaube lehrt Demut, die eigene Person nicht so wichtig zu nehmen. Es hat schon oft geholfen, einen Schritt zurückzugehen, sich das Ganze in Ruhe anzuschauen und zu evaluieren, bevor man handelt. Das ist, glaube ich, schon ein guter Schatz, der einem da mitgegeben ist.»
Humboldt Forum
Als eine von fünf Institutionen hängt Berlin im Wirrwarr des millionenschweren bundesdeutschen Prestigeobjekts Humboldt Forum. Chialos Vorgänger Klaus Lederer (Linke) wollte mit dem Stadtmuseum aussteigen. «Wir sind zum Humboldt Forum in Gesprächen», sagt Chialo. Mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) will er «mehrere Aspekte» reflektieren, besprechen, die Positionen abgleichen. «Mein Vorgänger hatte gute Gründe, die Entscheidung zu treffen, die er getroffen hat. Wir kommen nun mit einem frischen Blick und werden uns in den Gesprächen entsprechend positionieren.»
Museum des 20. Jahrhunderts
Am Kulturforum entsteht in Bundesregie für rund 450 Millionen Euro das Museum des 20. Jahrhunderts als weiterer Standort der Nationalgalerie. Das Umfeld gilt als Problem - und ist Sache Berlins. «Die Skateboarder erfreuen sich ja durchaus an der Betonwüste, aber ganz im Ernst: Als Umgebung der Museen ist das Kulturforum schon schwierig», sagt Chialo. Auch dazu will er sich mit Claudia Roth zusammensetzen. «Es geht um Straßen, um Begrünung und all das, was an diesem Ort geplant ist.» Grundsätzlich sei es spannend, die Betonwüste mit einem Nachhaltigkeitsgedanken aufzubrechen und wirkliche Aufenthaltsqualität zwischen den Häusern zu schaffen. «Die Menschen sollen das Verweilen dort auch als einen Wert an sich wahrnehmen. Da sind schließlich mehrere Museen nebeneinander, jedes davon mit Werken von Weltrang!»
Künstliche Intelligenz
Chialo erwartet einen großen Umbruch in der Kulturszene. «Mit der künstlichen Intelligenz gibt es eine rasante Veränderung von Kultur, Kunst, deren Wahrnehmung, der Bedeutung, der Monetarisierung, des Selbstverständnisses - alle Aspekte werden grundsätzlich infrage gestellt», sagt er und fragt: «Was für einen Wert haben Bilder, wenn sie von künstlicher Intelligenz generiert sind? Was für einen Wert haben Bilder, wenn sie in ihrer Strahlkraft Menschen emotional berühren, aber von der Geschichte der Entstehung her völlig irrelevant sind?» Ihm sei es wichtig, das Thema breit zu diskutieren.
Restitutionen und Verhältnis zu Afrika
Nach spektakulären Rückgaben von Kulturgut aus kolonialer Vergangenheit will Chialo den Weg weitergehen. «Bei Restitutionen sollten wir uns auch immer fragen, was passiert, wenn wir Stücke nicht zurückgeben», sagt er. «Die Objekte liegen hier in irgendwelchen Lagerhallen, das kostet wahnsinnig viel Geld, und sie werden wahrscheinlich für die nächsten Dekaden nicht herausgeholt.» Mit der Digitalisierung gebe es die Möglichkeit, alles der Nachwelt zu erhalten und die Geschichte trotzdem noch weiter zu erzählen.
«Rückgaben sind aber vor allem ein wichtiges Zeichen, einen Teil des Unrechts wieder zu korrigieren - und es liegt dabei nicht in unserem Ermessen, mit erhobenem Zeigefinger Ratschläge zu geben, was mit Beutekunst in den jeweiligen Herkunftsländern passieren sollte. So viel Selbstdisziplin sollte schon sein, dass man sich an dieser Stelle einfach raushält.» Chialo will aber mehr als nur den Blick in eine belastete Vergangenheit. Afrika sei ein junger Kontinent mit einem Altersdurchschnitt von 20 bis 25 Jahren. «Es braucht eine Zukunftsperspektive», sagte er. Deswegen sollten die Beziehungen zu Afrika verbessert und beispielsweise Künstlerpartnerschaften gefördert werden.
Finanzen
Mit dem Auslaufen der Corona-Hilfen und den ohnehin strapazierten Finanzen drohen der Kulturszene deutliche Einsparungen. «Mir ging es eigentlich darum, ein Expectation-Management zu machen», sagt der bisherige Musik-Manager Chialo. «Was passiert eigentlich, wenn man nicht mehr die Mittel hat, die man vorher hatte? Viele haben Mittel vom Staat zur Verfügung gestellt bekommen, weil es mit Corona eine Krise gab, die es zuvor in der Form noch nie gab.» Da hat der Staat mit der Finanzierung hervorragend reagiert. Zudem gab es weitere Krisen wie den Ukraine-Krieg und die Energie-Krise.
«Auf all diese Herausforderungen hat der Staat mit höheren Zuwendungen reagiert. Jetzt müssen wir konstatieren, dass alles ein Stück weit endlich ist und der Staat sagt, wir müssen irgendwie auf das Niveau vor Corona zurück», kündigt Chialo an. «Das ist sicherlich kein einfacher Prozess, für niemanden. Wir kämpfen so hart wie es geht für all die Projekte, für die freie Szene, für die Häuser, für die Clubs, für alle Musikschaffenden und Partner, die wir haben, damit wir doch noch ein zufriedenstellendes Ergebnis erzielen können.»
Uferhallen
In den Uferhallen haben zahlreiche Künstlerinnen und Künstler ihre Ateliers, einige von ihnen mit Weltrang. Seit Jahren wird mit dem Investor um die Zukunft des denkmalgeschützten Gebäudeensembles als Kunststandort diskutiert. «Die Künstler dort brauchen unseren Support», sagt Chialo. «Ich habe mit allen Parteien das Gespräch aufgenommen, mit der freien Szene, mit dem Investor und dem Bezirk.» Nun soll es eine Taskforce mit den Entscheidern richten. «Wir wollen einen Lösungskorridor erarbeiten, sodass wir Sicherheit schaffen können für die Uferhallen.» Es gehe weniger um das Timing als um eine Lösung. «Wir haben sichergestellt, dass niemand Angst haben muss, aus den Ateliers zu fliegen. Das wird nicht passieren. Diese Vereinbarung habe ich mit dem Investor getroffen!»