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Besuch der Klangmeile Kurfürstendamm

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Die Berliner Festwochen müssen sich neu orientieren
Publikationsdatum
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nmz 2000/10 | Seite 11
49. Jahrgang | Oktober

Kulturpolitik

Besuch der Klangmeile Kurfürstendamm

Die Berliner Festwochen müssen sich neu orientieren

Unter 40 Jahre alt und weiblich, so hatte Ulrich Eckhardt sich eigentlich seinen Nachfolger vorgestellt. Davon erhoffte er sich am ehesten die zündenden Ideen für eine Innovation der Berliner Festwochen. Die Zeiten ändern sich, und vor allem seit die reale Hauptstadt Berlin sich auf staatstragende Repräsentation besinnt, sieht der Chef der Berliner Festspiele GmbH sein eigenes 28 Jahre lang mit Erfolg betriebenes Konzept ins Hintertreffen geraten, fast schon in eine Art „Artenschutzprogramm für Minderheiten“.

In der Tat unterscheiden sich die Festwochen radikal von allem anderen, was sonst unter der Flagge „Festival“ segelt und eher die gewinnträchtige Festigung des „weichen Standortfaktors“ Kultur betreibt. Allein schon ihre Einrichtung 1951, mitten in der Depression der Nachkriegszeit, erschien als ein Wagnis, mit dem der Regierende Bürgermeister Ernst Reuter an den Selbstbehauptungswillen der umzingelten „Spree-Athener“ appellierte. Zwei Jahre lang von den westlichen Alliierten finanziert, fungierten sie als Instrument der Identitätsfindung nach innen, als „Schaufenster des Westens“ nach außen. Dafür wurde alles aufgefahren, was gut und teuer war, die heimischen Stars Furtwängler, Fricsay und Karajan ebenso wie die Callas oder Menuhin. Von Anfang an waren die Festwochen auch ein Ort des Neuen: zu erleben war etwa Ernst Krenek als Klavierspieler in Alban Bergs „Kammerkonzert“; die szenische Erstaufführung von Schönbergs „Moses und Aron“ durch Hermann Scherchen; Messiaens „Réveil des oiseaux“ unter Karajan rief einen handfesten Skandal hervor. Boris Blacher und Hans Werner Henze gehörten zu den meist aufgeführten jungen Komponisten. Zu Gast waren George Grosz, Oskar Kokoschka, Samuel Beckett, Igor Strawinsky, Paul Hindemith. Karl Amadeus Hartmann wurde entdeckt; 1963, als es schon Kagel-Abende gab, sprach Adorno über Schönberg und Wagner. Giorgio Strehler kam mit dem Piccolo Teatro di Milano, und für „Faust II“, inszeniert von Gustaf Gründgens, lieferte man sich die größte Vorverkaufsschlacht der ganzen Festwochengeschichte.

Im Kalten Krieg ging das nicht ohne blinde Flecken ab, doch entstanden damit auch die lebensnotwendigen Kontakte „Berliner Begegnungen“. Zunächst öffnete man sich nach Asien und Afrika. Das erste Gesamtthema erhielten die Festwochen 1964 unter dem Intendanten Nicolas Nabokow: „Schwarz-Weiß/Afrika-Europa“, die Wechselwirkung zwischen abendländischer und außereuropäischer Kultur beleuchtend. Daneben fand der erste Kongress für avantgardistische Musik mit Blacher, Boulez, Krenek, Tal, Xenakis und anderen statt. Für Ulrich Eckhardt sind beide Themen tragende Programmsäulen geblieben. Konsequent setzte er das Konzept um, die Künste nicht als isoliert von der Gesellschaft zu betrachten, sondern sie als Teil von ihr als ihr Spiegel, als Mittel des Erkennens und des Widerspruchs einzusetzen. Vor allem die Vermittlung des Neuen erhielt viele Gesichter, von aufschlussreich zusammengestellten Programmen über Komponistenporträts bis hin zu Kompositionsaufträgen. Aribert Reimann, Isang Yun, Luigi Nono, György Kurtág gerieten so umfassend ins Blickfeld. Durchaus konnte das den sterilen Konzertrahmen sprengen: mit „Blitzkonzerten“ auf Straßen und Plätzen, der „Klangmeile Kurfürstendamm“, flankiert von politischem Straßentheater. Die Alternativkultur kam auch in Zusammenarbeit mit freien Gruppen, bezirklichen Kunstämtern und der Hochschule der Künste zu Wort. Dem Intendanten war damals die ganze Stadt „ein Denkort, ein Labor, ein Experimentierfeld. Die Mauer war ja nicht nur Widerstand und Abschnürung, sondern hatte zugleich einen unglaublichen Aufforderungscharakter; man war ständig damit beschäftigt, über Ursachen und Perspektiven nachzudenken. Die Bequemlichkeit einer westdeutschen Großstadt konnte sich damit überhaupt nicht einstellen.“ Der Ort führte zur Geschichte: Sie reflektierten Themen wie „Spiegel der 20er-Jahre“ (1977) und – von links wie rechts heftig umstritten – „Preußen – Versuch einer Bilanz“ (1981) mit viel beachteten Ausstellungs-Großprojekten. Die Dauerausstellung „Topographie des Terrors“ wandte sich konsequent der Vertreibung jüdischen Lebens zu, verbunden mit der Rehabilitierung der „Verdrängten Musik“, die vielleicht in der Huldigung an Berthold Goldschmidt 1994 ihren schönsten, produktivsten Ausdruck fand.

Doch Eckhardts wichtigste Tat war zweifellos die Ingangsetzung eines Ost-West-Dialogs lange vor einer offiziellen „Ostpolitik“. Immer wieder lud er, gegen Widerstände von beiden Seiten, Theatergruppen aus Warschau, Bukarest und Moskau ein, ein Meilenstein dabei das Gastspiel der Moskauer Kammeroper mit „Die Nase“ von Schos-takowitsch. „Symbolismus, Futurismus“ war 1983 Ausgangspunkt zur Entdeckung auch der stalinistisch verfemten Avantgarde und später der Zeitgenossen. „Prag“ oder „Berlin-Moskau“ zeigten 1992 und 1995, dass die Festwochen keiner „Wende“ bedurften – wenn der Dialog jetzt auch schwieriger geworden war. „Deutschlandbilder“ (1997) und die rettende Übernahme der DDR-Musikbiennale versuchten sich an Bilanz und Ausblick.

Doch der ist problematisch. Wenn auch Berlin immer noch ein Magnet für junge Leute ist, so lässt doch deren Hang zum Kunstkonsum als „Lebensdesign“ das unbequeme Konzept „veraltet“ erscheinen. Auch das Musikangebot der Stadt selbst hat es unschärfer werden lassen, vieles wurde in „Nachtstudios“ abgeschoben. Die Übernahme der Finanzen durch den Bund verschafft zwar Sicherheit, doch sind auch Einflüsse hin zu mehr „Internationalität“ und „Events“ zu befürchten. Dabei spricht Eckhardts Nachfolger Joachim Sartorius – nicht gerade einen Generationswechsel verkörpernd – bisher von Kontinuität, doch mit Neuauflagen ist es auch nicht getan. Die nächsten zwei Jahre tragen mit dem Projekt „Geist und Seele der Stadt“ noch Eckhardts Handschrift, doch danach ist kaum zu erwarten, dass die Festwochen noch etwas von der Utopien fördernden Qualität des alten Westberlin bewahren, das „eingreifende Denken“ mittels Kunst so entschieden wie bisher befördern werden.

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