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„Bewährtes nicht über die Kante werfen“

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Welche Zukunft verschafft „Jedem Kind ein Instrument“ der Musikschule?
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Beim Projekt „Jedem Kind ein Instrument“, bekannt unter dem Kürzel „JeKi“, geht es um die Musikalisierung von Grundschulkindern durch Instrumentalunterricht in Gruppen. Sind die Instrumentallehrer pädagogisch überhaupt qualifiziert für den Gruppenunterricht in allgemeinbildenden Schulen? Wird dort mit festangestellten Lehrern gearbeitet werden oder überwiegend mit Honorarkräften? Und wie lange wird es JeKi überhaupt geben? Darüber unterhielten sich Manfred Grunenberg, Leiter der Stiftung „Jedem Kind ein Instrument“, und Stefan Gretsch von der ver.di Fachgruppe Musik auf der Musikmesse Frankfurt 2010.

neue musikzeitung: Herr Grunenberg, JeKi ist ein Projekt, das eine enge Kooperation zwischen Musik- und Grundschule vorsieht, und auch, dass Musikschullehrer in Grundschulklassen unterrichten. Jetzt ist die Frage, können die das eigentlich?

Manfred Grunenberg: Im ersten Jahr, wenn die Kinder noch kein eigenes Instrument haben, sondern in der Klasse unterrichtet werden, machen eine Musikschul- und eine Grundschullehrkraft das gemeinsam. Die Musikschullehrer haben in der Regel auch eine elementare Musikpädagogikausbildung. Sie sind es schon gewohnt, Klassen in der Größenordnung 12 bis 15 zu unterrichten. Wenn die gemeinsam mit den Grundschullehrerinnen agieren, dann ist der Schritt zur Qualifikation, nun eine ganze Klasse zu unterrichten, nicht mehr so groß. Und dass Instrumentalpädagogen dorthin gehen und Instrumentalunterricht geben, ist von ihrer Kernkompetenz, in der Musikschule zu unterrichten, nicht sehr weit entfernt.

nmz: Herr Gretsch, sie vertreten die Musikschullehrer. Fühlen die sich dazu befähigt, diesen Instrumentalunterricht in der Gruppe ab dem zweiten Grundschuljahr zu geben?

Stefan Gretsch: Wenn Kollegen diese Tätigkeit ausüben, werden sie die Fortbildungsangebote nutzen, und wir werden keine gegenteilige Empfehlung aussprechen. Man muss sich aber überlegen, ob es sinnvoll ist, jemanden für eine Tätigkeit fortzubilden, die es möglicherweise in vier Jahren gar nicht mehr gibt. Das Thema der Arbeitsbedingungen und der Nachhaltigkeit beschäftigt uns sehr.

nmz: Grundschul- und Musiklehrer arbeiten jetzt im gleichen Bereich zusammen, aber zu unterschiedlichen Konditionen.

Gretsch: Es ist zum Teil aberwitzig, welche Wege die Lehrer zurücklegen müssen, ohne dass es eine abschließende Klärung gibt. Wir haben auch das zunehmende Phänomen, dass entgegen ursprünglichen Beteuerungen Honorarkräfte eingesetzt werden. Wir haben also jetzt die Situation, vor einer Klasse zwei Menschen zu haben, von denen der eine nach TVöD bezahlt wird und der andere nach einem freien Satz.

Grunenberg: Auch wir sind der Meinung, dass das keine Aufgabe für Honorarkräfte ist. Wir haben in unseren Qualitätskriterien deutlich ausgedrückt, dass es nur mit angestellten Lehrern geht, aber die Verhältnisse sind eben nicht so. Einige Städte stellen tatsächlich Honorarkräfte dafür an. Wir kritisieren das und wir sehen dort deutlich Verbesserungsbedarf.

nmz: Die Sorge von Herrn Gretsch ist, dass in zweieinhalb Jahren das Projekt möglicherweise schon wieder beendet ist. Stichwort „Nachhaltigkeit“. Wie ist der Stand der Dinge?

Grunenberg: Es geht natürlich weiter. Jedenfalls im Ruhrgebiet. In meiner täglichen Arbeit kommt die Möglichkeit, dass „JeKi“ beendet wird, gar nicht vor. Es gibt eine Aussage des Ministerpräsidenten Rüttgers, dass er ab 2011 alleine weiterfinanziert.

Gretsch: Zur Frage, ob ich Honorarkräfte oder Festangestellte einsetze, bin ich nicht mehr so optimistisch wie vor 30 Jahren. Ich habe Grund zur Sorge, dass, wenn sich die Regelung mit Honorarkräften etabliert, daran auch nichts mehr geändert wird. Wir beobachten, dass Stellen nicht geschaffen, sondern abgebaut werden.

Die Frage, die uns sehr beschäftigt, ist: Wenn jetzt ein erfolgreiches vierjähriges Programm mit der betreffenden Kindergeneration gemacht worden ist: Wo bleiben die? Können sie zurück an die Musikschule, kann die sie überhaupt noch aufnehmen? Oder werden Musikschulen geschlossen und die Lehrkräfte an die Schule überwiesen? Damit ist die Sache aus der Sicht einiger Kommunalpolitiker erledigt. Wenn die Kinder grundmusikalisiert sind, braucht man die Musikschulen nicht mehr. Ich sage: Wir brauchen unbedingt auch eine individuelle Betreuung.

Grunenberg: Wir leben nicht in einer Zeit stabiler finanzieller Verhältnisse. Alle Ruhrgebietskommunen sind heute pleite. Es gibt aber auch andere Signale. In Bochum wurde eine Sparmaßnahme betreffs der Musikschule wieder zurückgenommen – auch wegen JeKi. Und in Duisburg wurde die Gefahr der Schließung der Musikschule sogar abgewendet.

nmz: Gibt es eigentlich genügend Musikschullehrer, die gleichzeitig JeKi betreuen und den individuellen Instrumentalunterricht geben können?

Gretsch: Wir haben Fachkräfteschwund. Viele, die Musik studieren, ergreifen nicht mehr unbedingt den Beruf des Musikschullehrers. Ich habe dafür großes Verständnis – weil die Musikschulen insgesamt in einer problematischen Situation sind. Wenn sie jetzt die Aufgabe „JeKi“ dazubekommen, leidet die Einrichtung sichtbar. Man kann, mit der aktuellen personellen und materiellen Ausstattung, das Projekt im Grunde nicht stemmen.

Grunenberg: Es gibt zurzeit noch keinen dokumentierten Lehrermangel. Unser Programm im Ruhrgebiet ist so ausgelegt, dass mit Landes- und Bundesmitteln, die wir als Stiftung weitergeben, 87,5 Prozent der Personalkosten eines angestellten Lehrers getragen werden. Das ist ein Standard, den möchte ich eigentlich für alle Musikschulen sehen. Dann wären eine ganze Menge ihrer Befürchtungen obsolet.

Gretsch: Ich hätte gerne 100 Prozent. Ich mag so einen wichtigen Bereich wie musikschulische Bildung nicht gerne in die Hände von Sponsoren gelegt sehen. Ich bin der Meinung, das ist eine kommunale Aufgabe.

Grunenberg: Die Bemerkung mit den Sponsoren verstehe ich nicht, weil die Gelder von Bund und Land kommen.

Gretsch: Richtig, die fehlenden 13 Prozent kommen von den Eltern. Das macht es besser, aber nicht zufriedenstellend. Wir reden hier von Grundmusikalisierung. Warum es gerade im musikalischen Bereich als selbstverständlich betrachtet wird, dass Eltern zur Kasse gebeten werden, leuchtet mir nicht ein. Das setzt auch die Chancengleichheit erheblich runter.

Grunenberg: Die Schulmusik ersetzen wir nicht und die ist kostenlos. Das ist JeKi im ersten Jahr in der Grundschule auch. Wo ein Elternobolus verlangt wird, geht es um Instrumentalunterricht und das ist so auf der Grenze zwischen allgemeiner und Zusatzbildung. Ich denke, die 12,5 Prozent, die noch fehlen, kommen in diesem Fall sogar von der Kommune.

nmz: Wie reagieren die Musikhochschulen auf diese neue Herausforderung, fühlen Sie sich unterstützt?

Grunenberg: Wir arbeiten mit den Musikhochschulen in Nordrhein-Westfalen zusammen und stehen kurz davor, ganz neue Dinge in Sachen JeKi zu machen. Mein Plan ist, dass nach der Verdoppelung der Musikschulen im Ruhrgebiet auch pädagogische Ausbildungskapazitäten verdoppelt werden. Das dauert dann vielleicht zehn Jahre, aber die Signale von der Landesregierung sind positiv, und wir hoffen, dass die durchhalten.

nmz: Ein Vorwurf von ver.di an JeKi ist auch, dass es vor allem erfunden wurde, um sogenannte Schlüsselqualifikationen zu stärken. Nach dem Motto: Wenn ich ein Instrument lerne, werde ich auch besser in Mathe.

Gretsch: Wenn die Beschäftigung mit Musik zu Schlüsselqualifikationen führt, ist das völlig in Ordnung. Aber das Musikmachen ist ein Wert an sich. Wir sollten davon abgehen, diese Instrumentalisierung weiter zu befördern.

Grunenberg: Wenn es bei einigen Politikern dieses Motiv gibt, solche Entwicklungen anzuschieben, dann ist es eben so. Es darf aber nicht zentral werden. Wir sehen die Musik deutlich im Mittelpunkt.

Gretsch: Wir haben seit Jahren rückläufige Zahlen in den Stundentafeln, in allen Bundesländern. Schulmusikunterricht wird von der ersten Klasse bis in die Oberstufe kontinuierlich reduziert. Gleichzeitig werden weniger Schulmusiker eingesetzt. Wir sehen uns jetzt schon manchmal vor die Situation gestellt, im Einzelunterricht Aufgaben des Schulmusikunterrichts zu übernehmen. Wir müssen sehr aufpassen, dass es uns nicht passiert, dass wir quasi als Ersatz missbraucht werden.

nmz: Die Qualität des musikalischen Ergebnisses, das ist auch eine Frage der Didaktik. Wie gehe ich im Gruppenunterricht auf individuelle Entwicklungen ein? Kommt das zu kurz in der JeKi-Unterrichtsweise?

Gretsch: Wenn Sie einen Musikunterricht ausschließlich auf Gruppenunterricht konzentrieren, muss die musikalische Qualität zu kurz kommen. Sie haben nicht die Möglichkeit der Binnendifferenzierung. Das ist im schulischen Rahmen nicht möglich. Wir brauchen immer die Verzahnung mit dem Angebot der Musikschule. Ich halte es für wichtig, dass Kinder, die das wollen, schon sehr früh Einzelunterricht an der Musikschule haben können.

Grunenberg: Wir haben es hier mit allen Kindern zu tun und nicht mit den zwei Prozent, die sonst in die Musikschule gehen. In einer Gruppe von fünf Kindern wird Binnendifferenzierung in einer ganz anderen Weise erforderlich, als sonst in der Musikschulpädagogik. Das ist sicher eine Herausforderung für die Lehrkräfte. Aber auf der anderen Seite gibt es auch völlig andere Zielvorstellungen als nur die instrumentale Fähigkeit. Tatsächlich kann das instrumental-technische Ergebnis kleiner sein, aber dafür vielleicht die Zufriedenheit in der Gruppe und die Bindung an die Musik viel höher.

Gretsch: Wir müssen neue Formen durchdenken und probieren. Aber das heißt nicht zwangsläufig, dass ich Bewährtes über die Kante werfen muss. Ich wehre mich nur dagegen, dass eine Form, die gut ist, gefährdet ist.

Grunenberg: Es scheint hier ein bisschen auf die Diskussion hinauszulaufen: Musikschule oder JeKi. Die Lösung heißt „und“. Die Musikschule hat mit JeKi als Basis eine größere Zukunft.

Das Gespräch leitete Barbara Haack

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