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Buddha kommt auf einer Wolke

Untertitel
Ein Symposium und Konzerte zur „musikalischen Friedensforschung“ in Bremen
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Georg Friedrich Händel war nicht der erste, der „den Frieden komponierte“, doch er tat es exemplarisch: In seiner „Feuerwerksmusik“ zeigt er die zwei Gesichter einer selig im 6/8- Takt schwingenden Schäferidylle („La Paix“) und eines unmittelbar darauf folgenden Siegestaumels („La réjouissance“) mit Pauken und Trompeten. Ein musikalisches Vokabular prägte sich hier aus, das viele „Battaglien“ und Friedensbitten der Zeit bestimmte und bis heute auch ohne Text- oder Bildbeihilfe unmittelbar zugänglich ist. Die These, dass Musik etwas außerhalb ihrer selbst als „tönend bewegte Form“ – am Ende gar als politisch dezidierte Aussage – darstellen und mitteilen könnte, hat heutzutage an Konjunktur verloren, wird eher als nostalgischer Idealismus unverbesserlicher Gutmenschen belächelt.

Für Dieter Senghaas, emeritierter Professor für Friedens-, Konflikt- und Entwicklungsforschung am Bremer Institut für Interkulturelle und Internationale Studien (INIIS) hat jedoch die Frage, wieweit man die Vision einer friedlicheren Welt auch ästhetisch kommunizieren und ihr damit möglicherweise größere Überzeugungskraft als in wissenschaftlicher Darstellung geben könne, niemals an Brisanz verloren. Im Jahre  2003 brachte der passionierte Musikliebhaber das Bändchen „Frieden hören!“ heraus, in dem er sich unter den Rubriken „Friedensphantasien“, „Kriegsdarstellungen“, „Liebes-Krieg“ etc ... mit Komponisten von Georg Muffat bis George Crumb beschäftigt und sich so dem „politischen Frieden“ schrittweise nähert.

Bereits zwei Jahre später gab er (mit Hartmut Lück) „Vom hörbaren Frieden“ heraus, eine Anthologie namhafter Musikwissenschaftler zum noch stärker universal-zeitgeschichtlich aufgefächerten Thema. „Den Frieden komponieren?“ – der Titel des Symposiums an der Hochschule der Künste Bremen, für dessen Konzertteil die Kompositionsklasse Younghi Pagh Paan verantwortlich zeichnete – war und blieb mit einem großen Fragezeichen versehen. Denn es ging nicht darum, „für den Frieden“ zu komponieren oder ihn gar „herbeikomponieren“ zu wollen oder zu sollen.

Innerhalb der so ermöglichten Vieldeutigkeit versuchte Senghaas in seinem Einführungsreferat erste Definitionen: Friede ist in der Realität, quasi asymptotisch, immer nur als Näherungswert erreichbar, auf den Menschen ihre Wünsche, Ängste und Hoffnungen projizieren, der andererseits der Politik bedarf. Neben Schutz vor Gewalt und Not, neben der Sorge um die Freiheit nannte Senghaas kulturelle Vielfalt als wesentliche, historisch jüngste Voraussetzung. Die Fähigkeit zur Einfühlung in das fremde Andere schälte sich im Lauf der Diskussion als bedeutendste Kategorie heraus, die sich im Zeitalter der Globalisierung auch musikalisch am ergiebigsten erweist und vor allem herrschaftsfreien Frieden ermöglicht. Der mittlerweile 84-jährige Komponist Klaus Huber, der den Konzertteil mit seiner Einbeziehung arabischer Techniken in den Werken „Senfkorn“ und „Die Seele muss vom Reittier steigen“ wesentlich prägte, wurde so zur zentralen Figur.

Die Vorträge von Frank Schneider (Intendant am Konzerthaus Berlin) und Hartmut Lück faszinierten durch profunden, weit in die Historie ausgreifenden Detailreichtum und scharfsinnige Herleitung von Bedeutungsgehalten. Doch Beethoven, dessen „Freudenthema“ Schneider auch das Friedvolle substanziell eingeschrieben sieht, wurde in den Augen mancher Teilnehmer den Makel des historischen Missbrauchs nicht los, und Hans Werner Henzes „Aria II“ aus den Nachtstücken 1957, welche die Schönheit atomar bedrohter Natur besingen, mussten sich gar ein schwer erträgliches plakatives Pathos bescheinigen lassen. Nicolas Schalz blieb es vorbehalten, Beethovens Differenzierungs- fähigkeit aufzuzeigen, die im „Dona nobis pacem“ der „Missa solemnis“ Kriegsangst, Siegessignale des „äußeren Friedens“ und einem dem zunächst gar nicht entsprechenden chaotischen „inneren Unfrieden“ dialektisch miteinander verschränkt. Dass Bernd Alois Zimmermann im „Requiem für einen jungen Dichter“ solche polare Spannung fehle, kein Glaube an eine positive Alternative mehrauszumachen sei, sei einer „negativen Dialektik“ geschuldet, in der heute nur noch Menschliches aufscheinen könne. „Asien ist anders“ befand Walter Wolfgang Sparrer, der Toshio Hosokawas Orchesterstück „cloud and light“ vorstellte. Im Atemrhythmus der Mundorgel Sho zeige sich unendlich kreisende Zeit, eine Rückbindung an die Natur.

Doch selbst der Japaner, der sich vom Bild eines Buddha inspirieren ließ, der auf einer Wolke zur Erlösung der Menschheit herabschwebt, trübt diese durch einen Klang-Sturm ein. Innerhalb der jungen Generation hob Lydia Jeschke Mark Andre hervor, der in seinem „into Istanbul“-Projekt christliche, muslimische und jüdische Kulturelemente vereint.

Klaus Hubers Vorgehen ist in seiner Sensibilität vergleichbar. Ein Komponieren ohne Botschaften, das damit auch vor missbräuchlicher Vereinnahmung geschützt sei, sah Gisela Nauck unter anderem bei der „Gruppe Wandelweiser“, die mit einer Beuys‘schen Ästhetik der schäbigen und zerbrochenen Klänge, mit dem Recht auch des Laien, seine Kunst zu machen, ein Ideal von Herrschaftslosigkeit verwirkliche. Doch wer wolle etwas hören, dessen Gewinn mehr im Prozess des Machens liege, wurde eingewandt. Wie zuvor die manipulationsverdächtige Affirmation geriet jetzt auch die leise Musik des Verstummens vor allem bei den jungen  Komponisten in die Kritik. „Musik hat die Aufgabe, die Erinnerung wachzuhalten“, meinte der Italiener Calogero Scanio – was sein Stück „in questo cerchi bianco“ auf subtil reduzierte Weise versucht. „Wer den Frieden komponieren will, muss auch den Krieg komponieren“, ergänzte Samir Odeh-Tamimi, Palästinenser mit israelischem Pass. Die Angst vor Pathos hielt er für ein „deutsches Problem“, immer noch im Nachklang des 2. Weltkriegs. „Doch man darf nicht alles von Europa aus sehen. Man muss eine Botschaft geben.“

Odeh-Tamimis „Ahinnu“ ist ein einziger langgezogener Schrei, gebrochen durch die Besetzung für drei Blockflöten. Sensible Klangphantasie steuerte die Rumänin Ruxandra Popescu mit ihrem „Pater noster“ für acht Stimmen bei – „Frieden kann man nur in sich selbst finden.“ Doch das Positive ist ohne das Negative nicht denkbar: Gemäß Dieter Schnebels Motto „Es darf keine Siege mehr geben“, plädierte Gisela Nauck für eine Streitkultur, die schrankenlose Einfühlung in andere Menschen und Kulturen, friedlichen Umgang miteinander, erst ermöglicht.

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