Köln - Der Deutsche Bühnenverein erteilt einem stärkeren Zentralismus in der Kultur eine Absage. Der Bund spiele bislang keine besondere Rolle in der Kulturfinanzierung, sagte Rolf Bolwin, Direktor des Deutschen Bühnenvereins in Köln. «Und niemand kann sich ernsthaft wünschen, dass sich das ändert.»
Die Hauptstadt Berlin etwa müsse selbst mit dem Bund über die Finanzierung ihrer drei Opernhäuser verhandeln. Zugleich wies er auf die Sparleistungen von Theatern und Orchestern hin. In den letzten 20 Jahren seien etwa 350 Millionen Euro pro Jahr gespart worden. Die nächste Bundesregierung solle den Kommunen genug Geld für soziale und kulturelle Infrastruktur geben, forderte er. Den Kommunen würden ständig neue Aufgaben aufgebürdet, ohne dass sie das dafür nötige Geld erhielten.
Mit dem Direktor des Deutschen Bühnenvereins und gelernten Juristen Rolf Bolwin (63) führte Ulrike Hofsähs von der Nachrichtenagentur dpa ein Interview:
Frage: Wie teuer ist die Kultur eigentlich für uns?
Antwort: Etwa 0,8 Prozent der öffentlichen Budgets stehen für Kultur zur Verfügung, davon ein Viertel für Theater und Orchester. Die Kulturfinanzierung hat also nur einen kleinen Anteil der öffentlichen Budgets. Die Theater und Orchester haben in den letzten 20 Jahren etwa 6000 Arbeitsplätze abgebaut, wir sind jetzt bei rund 39 000. Die Anzahl der nicht-ständig Beschäftigten, die nur für eine Produktion oder einen Abend engagiert werden, ist von 8000 auf rund 24 000 hochgeschraubt worden.
Frage: Kultur ist Ländersache, kann die Bundespolitik helfen?
Antwort: Ja, das kann sie. Es gibt eine Reihe von Gesetzen, die man verändern könnte, um den Betrieb zu erleichtern.
Frage: Können Sie ein Beispiel nennen?
Antwort: Sozialversicherungsrechtliche Fragen werden immer komplizierter. Zum Beispiel: Wer ist ein freier Mitarbeiter, wer ist ein Angestellter? Da können Sie Doktorarbeiten drüber schreiben. Auch im Urheberrecht gibt es erhebliche Probleme.
Frage: Was wäre das zum Beispiel?
Antwort: Es hat vor gut einem Jahr, ohne dass die Bundesregierung dem widersprochen hat, auf EU-Ebene eine Änderung im Urheberrecht gegeben. Dadurch bleiben zusammengesetzte Werke wie Opern, Operetten oder Musicals so lange geschützt, bis der letzte der beteiligten Urheber 70 Jahre tot ist. Das kann bedeuten, dass etwa eine Oper bis zu 150 Jahre nach dem Tod des Komponisten geschützt bleibt. Das ist ein erheblicher Kostenfaktor, jedoch nur zugunsten der Erben des Komponisten.
Frage: Was könnte das die Theater kosten?
Antwort: Das kann man schwer sagen. Aber die Häuser geben schon jetzt jährlich an Urheberabgaben über 30 Millionen Euro aus. Schwierigkeiten gibt es auch im Steuerrecht. Wir hatten auch eine Diskussion über die Mehrwertsteuerbefreiung von selbstständigen Regisseuren und Choreographen. Da muss man die Bundesregierung deutlich loben, die hat sie eingeführt. Aber sie hat es abgelehnt, das auch auf Bühnen- und Kostümbildner auszudehnen. Jetzt sind die selbstständigen Bühnen- und Kostümbildner natürlich verärgert, weil sie die einzigen bei einer Theaterproduktion sind, die den vollen Mehrwertsteuersatz zahlen.
Frage: Haben Sie Wünsche an die nächste Bundesregierung?
Antwort: Dass es im Steuer-, Urheber-, Arbeits- und Sozialversicherungsrecht Veränderungen gibt. Und dass endlich sichergestellt wird, dass die Kommunen über ausreichende Haushaltsmittel verfügen, um ihre soziale und kulturelle Infrastruktur zu bezahlen. Da geht es um die Frage: Gibt es Schwimmbäder, gibt es Theater? Seit Jahren wird eine Politik gemacht, mit der die Kommunen immer wieder zu neuen Leistungen verpflichtet werden, gleichzeitig aber nicht die nötigen Gelder bekommen.
Frage: Ist die Kritik an Kürzungen im Kulturbereich nicht auch Theaterdonner mit immer denselben Floskeln?
Antwort: Nein, das finde ich nicht. Wir haben das mal hochgerechnet. Aufgrund der Veränderungen der letzten 20 Jahre wurden rund 350 Millionen Euro pro Jahr eingespart, die heute die öffentlichen Haushalte entlasten.
Frage: Sollte der Bund mehr Aufgaben in der Kultur übernehmen?
Antwort: In der Regel spielt der Bund für die Kulturfinanzierung keine besondere Rolle. Und niemand kann sich ernsthaft wünschen, dass sich das ändert.
Frage: Nein, keine Bundesoper?
Antwort: Nein, nein, auf gar keinen Fall. Was Berlin braucht, um seine drei Opernhäuser zu finanzieren, das muss Berlin mit dem Bund aushandeln. Aber dass jetzt der Bund kommt und sagt, wir nehmen uns in Berlin mal als Rosine die Staatsoper heraus und machen die zur Bundesoper, das ist in niemandes Interesse. Sehen Sie, was in Frankreich passiert. Da haben Sie in Paris diese ganz großen Einrichtungen und dann ein paar Theater in verschiedenen Städten der Republik. Im Wettbewerb der Regionen konkurriert Berlin etwa mit München, Hamburg oder Leipzig. Das würde ja sofort wegfallen mit einem stärkeren Zentralismus.