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Bundeskultur am Subventionstropf

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Live aus dem Berliner Kulturkaufhaus Dussmann: 50. „taktlos“-Sendung
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Überlebt unsere Bundeshauptstadt – kulturell gesehen – nur durch den Subventions-Tropf aus dem Reichstag? Wird der Subkultur-Humus durch die hochkarätig geförderten Hochkultur-Institutionen versteppt? Leistet die „Kulturstiftung des Bundes“ einer Staatsmusik Vorschub? Diese und andere Fragen waren Inhalt der 50. taktlos-Sendung am Freitag, den 1. Februar 2002 live für Bayern2Radio aus dem Berliner Kulturkaufhaus Dussmann. Als Gäste kamen: Rita Süssmuth (Mitglied des Bundestages), Günter Winands (Ministerialrat beim Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien), Krista Tebbe (Staatssekretärin beim Kultursenator in Berlin), Christian Höppner (Präsident des Berliner Landesmusikrates und im Brotberuf Musikschulleiter), Christine Lemke-Matwey (Tagesspiegel) und Olaf Zimmermann (Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates). Moderation: Theo Geißler.

Überlebt unsere Bundeshauptstadt – kulturell gesehen – nur durch den Subventions-Tropf aus dem Reichstag? Wird der Subkultur-Humus durch die hochkarätig geförderten Hochkultur-Institutionen versteppt? Leistet die „Kulturstiftung des Bundes“ einer Staatsmusik Vorschub? Diese und andere Fragen waren Inhalt der 50. taktlos-Sendung am Freitag, den 1. Februar 2002 live für Bayern2Radio aus dem Berliner Kulturkaufhaus Dussmann. Als Gäste kamen: Rita Süssmuth (Mitglied des Bundestages), Günter Winands (Ministerialrat beim Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien), Krista Tebbe (Staatssekretärin beim Kultursenator in Berlin), Christian Höppner (Präsident des Berliner Landesmusikrates und im Brotberuf Musikschulleiter), Christine Lemke-Matwey (Tagesspiegel) und Olaf Zimmermann (Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates). Moderation: Theo Geißler. Theo Geißler: Einen Begriff, den es eigentlich überhaupt nicht gibt, haben wir uns zum Thema erkoren: Bundesmusik. Wir suchen seinen Sinn zwischen Staatsopern und Hinterhöfen, zwischen Bundeskulturstiftung und Kiez. Eingeladen haben wir Menschen mit hoher definitorischer Kompetenz. Da wäre zunächst die meiner Einschätzung nach „allerkulturellste Persönlichkeit“ des Deutschen Bundestags, Rita Süssmuth.
Rita Süssmuth: Es darf gelacht werden. (Gelächter im Publikum) : Ich will das gerne präzisieren. Ich sehe voller Freude, wie Sie sich von der Integration unserer ausländischen Mitbürger bis hin zu “Jugend musiziert“, um das ganze breite Spektrum von Kultur kümmern. Wie fühlen Sie sich unter Ihren Kollegen, die sich eher aufs Technologische oder Wirtschaftliche reduzieren? Sind Sie eine Außenseiterin geworden in unserem Bundestag?
: Die Kultur ist für mich nicht ein Zoff-Thema, sondern eines der wichtigsten Themen. Im politischen Alltag mit der Kultur zu tun haben, ist auch ein ungeheures Geschenk. Und das hat so tief mit Politik zu tun. : Günter Winands, aus dem Bundeskulturministerium, BKM, leitet den Aufbaustab für die Bundes-Kulturstiftung. Ihr Haus ist eine Neuerung in Deutschland.
Günter Winands: Es ist gar kein richtiges Ministerium, sondern der Staatsminister für Kultur und Medien residiert direkt beim Bundeskanzler. Wir sind etwas völlig Neues, Atypisches in der Bundesrepublik. Das hat es in den vergangenen fünfzig Jahren nicht gegeben, dass ein bestimmter Politikbereich direkt an der Regierungszentrale angebunden ist. Entstanden zunächst als Kompromiss aus Rücksichtnahme auf die Kulturhoheit der Länder hat diese Anbindung an die Regierungszentrale große Vorzüge, weil es die Durchsetzungsfähigkeit im Konzert der Ministerien eindeutig erhöht hat. : Wir haben natürlich auch Thomas Flierl eingeladen, den Berliner Kultursenator. Er hat uns heute Mittag leider absagen müssen. Ich kann ihm nur sagen, so, Herr Flierl, gewinnt man in Bayern bei der nächsten Landtagswahl nicht die absolute Mehrheit für die PDS. An seiner Stelle ist Krista Tebbe hier. Sie ist Staatssekretärin in diesem Amt und war vorher in Kreuzberg als Kulturamtsleiterin tätig. Ihr Amt ist in den letzten Wochen ungeheuer geprügelt worden. Wie lange halten Sie das durch?
Krista Tebbe: Die Frage habe ich mir gar nicht gestellt, da ich glaube, in der Berliner Kulturpolitik brauchen wir jetzt mehr Kontinuität.
Wir brauchen auch Hilfe in einem Land wie Berlin: die Stadt hat nicht nur ein Ost- und Westerbe, dazu kam die Hauptstadtaufgabe. Damit ist ein kleiner Stadtstaat finanziell überfordert. : Christian Höppner arbeitet an vorderster Bildungsfront. Haben Sie Angst um ihren Brotberuf angesichts der neuen politischen Konstellation in Berlin.
Christian Höppner: Nein, aber wenn ich betrachte, was in den vergangenen Jahren passiert ist, wenn ich betrachte, was in der Koalitionsvereinbarung steht, dann geht der Blutdruck schon sehr nach oben. Denn das lebendige kulturelle Wurzelwerk, das droht zu veröden. : Christine Lemke-Matwey hat gerade für den Bayerischen Rundfunk sechsmal 90 Minuten „Blick auf die Berliner Kultursituation“ produziert. Nach der ersten Sendung konnte man den Eindruck gewinnen, Sie würden Ihren Lebensmittelpunkt gerne nach Süden, nach München verlegen? Es war ein recht pessimistisches Bild.
Christine Lemke-Matwey: Ich lebe gerne in dieser Stadt und empfinde sie jeden Tag als neue Herausforderung. Die erste Sendung war die Härteste, denn die ging um Kulturpolitik. Die anderen fünf Sendungen werden sich mit Kunst selbst beschäftigen. Die haben dann auch ein ungleich höheres utopisches Potenzial zu bieten. : Der „Cheflobbyist“ deutscher Kultur ist der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann. Fühlen Sie sich wohl hier in dieser Stadt, die im Moment pleite ist? Die alle möglichen anderen Sorgen hat, denn sich um Kultur zu kümmern?
Olaf Zimmermann: Ich habe ein kulturelles Angebot hier in Berlin, nach dem sich sicherlich viele, auch größere Städte die Finger ablecken werden. Das bedeutet nicht, dass es hier in dieser Stadt keine Probleme gibt, aber es ist nun keine Kulturödnis Berlin, sondern es ist genau das Gegenteil. Genau dieses besondere, was Berlin hat, muss eben erhalten und weiter entwickelt werden. : Günter Winands, der Ruf nach Unterstützung gerade vonseiten des Bundes ist unüberhörbar. Wie reagiert denn der Bund, wenn solche Hilferufe-Schreie ihn erreichen?
: Der Bund ist in Berlin sehr stark engagiert. Der Haushalt des Kulturbeauftragten fließt zu fast einem Drittel jetzt schon nach Berlin. Ich glaube nur, dass der Bund alle diese ständig neuen Erwartungen nicht immer weiter befriedigen kann, weil die Mittel des Bundes auch irgendwann endlich sind. Außerdem hat der Bund eine kulturpolitische Aufgabe und Verpflichtung nicht nur in Berlin, sondern in der gesamten Republik. : Aber der Bund hat sich doch richtiggehend auf diese Stadt gestülpt und er möchte gern, dass diese Stadt hier strahlt, wenigstens so wie Paris oder Moskau. Frau Süssmuth, sind solche Sehnsüchte nicht angemessen?

: Ordnungspolitisch müsste die Verteilung der Geldmittel anders sein. Im Augenblick läuft es ja auf 80 Prozent Bundesförderung und 20 Prozent Landesförderung zu. Wenn ich Berlin und Paris vergleiche und sehe, was in der Stadt Paris für das Opernhaus ausgegeben wird, dann ist das eine bescheidene Förderung hier. Auf der anderen Seite müssen neue Wege erschlossen werden, wie man ein kulturelles Angebot machen kann, ohne ständig draufzulegen.

: Ich frag’ mal die Berlinerinnen und Berliner: Was wünschen die sich denn vom Bund?
: Die Aufwendungen des Landes Berlin für Musik im Jahr 2001 waren 390 Millionen Mark von der Staatsoper bis zur Initiative Neue Musik. Die Zuschüsse des Bundes für Musik waren 31,4 Millionen Mark. Also, dass Berlin keinen Wert auf die Förderung von Musik legt, kann man wirklich nicht sagen. Aber wir haben in den letzten Jahren eine Entwicklung gehabt, in der die großen Institutionen immer mehr Geld brauchten, so dass immer weniger übrig blieb für das, was wir disponible Mittel nennen, also das, womit man eigentlich künstlerische Arbeit leistet. Wenn ich die großen Theater sehe mit ihrem Sanierungsbedarf, dann kommen da vierhundert Millionen Euro zusammen. : Halten wir das erst mal fest. Christine Lemke-Matwey, Ihre Sicht der Subventions-Situation?
Lemke-Matwey: Pardon, ich bin jetzt seit zwei Jahren in dieser Stadt. Genau diese Argumente kann man jeden Tag zehn Mal hören und wir schreiben das Jahr 2002 und ich wundere mich, dass man seit 1989 oder 1990 da offenbar keinen Millimeter weitergekommen ist.
: Ihre Ausgangsfrage, Herr Geißler, war doch die Bitte an den Bund. Wir haben eine Koalitionsvereinbarung, in der von Plafonierung die Rede ist, in der außerdem noch drinsteht, dass strukturell acht Millionen eingespart werden sollen. Das heißt, und jetzt ist der entscheidende Punkt, es steht auch drin: Sollte der Bund weitere Aufgaben übernehmen, dann sind die Mittel, die dort frei werden, zu einem Teil für die Kulturarbeit zu verwenden.
: Wir haben im vergangenen Jahr einen Hauptstadt-Kulturvertrag geschlossen, wir haben in Berlin vier Einrichtungen voll in Bundeshand übernommen: die Berliner Festspiele, den Gropius-Bau, das Haus der Kulturen, das Jüdische Museum. Es geht aber auch nicht an, dass die Länder in der Gesamtheit beschließen, wir verlassen die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und der Bund kann jetzt 60 Millionen Betriebskosten zusätzlich bezahlen. Wir können die Länder nicht zwingen drin zu bleiben. Dennoch kann der Bund nicht überall als Notanker fungieren.
: Aber das ist doch genau das Problem. Es ist gar nicht in erster Linie ein Problem von Berlin, behaupte ich, es ist nämlich ein Problem des gesamten Landes und es ist die Frage, ob wir uns überhaupt schon daran gewöhnt haben, eine Hauptstadt zu haben. Denn bisher hatten wir eigentlich keine gehabt. Bonn, das war ein Provisorium gewesen, damit waren wir sehr zufrieden. Dann bekamen wir Berlin als Hauptstadt und auf einmal müssen wir uns anders verhalten und benehmen. Die Länder sagen berechtigterweise, sie haben die Kulturhoheit, aber die Verantwortung für das Gesamte wollen sie eben nicht wahrnehmen. Das heißt, wenn es um mehr geht als das, was sie in ihren eigenen Landesgrenzen so abhandeln können, da hören sie sofort auf und machen nichts mehr. Deswegen ist der Bund immer stärker gezwungen, in diese Lücken hinein zu gehen, aber er wird eben nichts Neues übernehmen können. Wenn man die Diskussion führen will, dann muss man sie unter der Prämisse führen: Ihr Länder, was wollt ihr in der Zukunft für Berlin machen? Dann kann man auch den Bund fragen und dann kann man natürlich auch eindeutig, Herr Höppner, das Land hier fragen. Es kann nicht sein, dass aus irgendeiner anderen Quelle Geld in die Kultur hinein fließt hier nach Berlin, und dann der Senat das, was dann frei wird in andere große Löcher des Berliner Haushaltes steckt.
: Deshalb gibt es den Hauptstadt-Kulturvertrag, um so etwas zu verhindern, weil das früher immer so war, dass man die Gelder sonst wo hingeschaufelt hat.
: Aber die Länder sind da ja nicht mit drin.
: Gut, gerade das hat eben Herr Winands gesagt. Der Hauptstadt-Kulturvertrag sollte endlich verhindern, dass Geld, was vom Bund kam, anders, zweckentfremdet ausgegeben wurde. Bei der Länderkulturstiftung wiederum sehe ich im Augenblick die Tendenz, dass die Länder da für Entflechtung plädieren und sagen, der Bund möge sich raushalten. Aber das Geld möge er ihnen geben. Das ist voller Widersprüche. Was nicht entstanden ist – und da stimme ich sehr Herrn Zimmermann zu – dieses Berlin als eine Gemeinschaftsaufgabe zu sehen. : War die Entscheidung für Halle an der Saale als Standort für die Bundeskulturstiftung wirklich ein positives Signal, Herr Winands? Oder sind Sie aus der Hauptstadt geflohen?
: Nein, wir sind nicht geflohen. Mit dieser Entscheidung wollte die Bundesregierung ein bewusstes Zeichen setzen, dass auch die neuen Bundesländer in diesem kulturellen Prozess mitmachen müssen. Wenn wir von Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse reden, dann gehört auch die Kultur dazu, dann können wir nicht nur die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse sehen. : Kann man dann aus den Mitteln der Bundeskulturstiftung sozusagen aus der Hallenser Provinz hier die Metropole retten, Olaf Zimmermann?
: Na ja, ich glaube, da würde man die Bundeskulturstiftung so im ersten Anlauf sicherlich überfordern. Es ist ja noch nicht die große Nationalstiftung. Ich denke, es ist der Anfang. Im ersten Jahr sind es 12,5 Millionen Euro, die man verteilen wird können. Dann wird es sich ein bisschen steigern lassen in den nächsten Jahren. Das ist eine sehr positive Grundtendenz. Die größte Schwierigkeit aber, die diese Kulturstiftung hat, ist nicht, dass sie in Halle sitzt, sondern es ist vollkommen unklar, was sie denn tun darf. Nämlich zum Beispiel denjenigen, die am ehesten die Mittel der Bundeskulturstiftung brauchen würden, nämlich die Künstler, also denen, die unmittelbar von ihrer Kunst leben müssen, denjenigen wird die Stiftung zumindest im Moment kein Geld geben dürfen. Dort ist noch die Herrlichkeit der Länder davor, die sagen: Das dürft ihr nicht machen. Ihr müsst euch ganz besonders national bedeutsamem Kulturgut zuwenden. Vielleicht kann Herr Winands uns sagen, was denn die Bundeskulturstiftung in der Zukunft jetzt fördern wird? : Ich möchte uns trotzdem wieder ein bisschen ins Thema zurückboxen, wie wird denn Berlin speziell von dieser Bundeskulturstiftung profitieren?
: Dadurch, dass die Länder mit uns verabredet haben, dass die Bundeskulturstiftung zunächst einmal auf den Feldern tätig wird, die unstreitig Bundeskompetenz sind, hilft das letztlich Berlin, weil unstrittig ist, dass der Bund sich in Berlin, in der Hauptstadt engagieren kann. Das kann allerdings aus unserer Sicht nicht der Dauerzustand sein. Und lassen Sie mich noch eines sagen: Dass wir eine Kulturstiftung des Bundes bekommen, hätte vor Jahresfrist niemand geglaubt. Es waren ein Jahr zähe Verhandlungen und auch ein wenig Mut meines Ministers Julian Nida-Rümelin, im Dezember zu sagen, nunmehr ist Schluss. Jetzt gründen wir die Stiftung und die Länder haben letztlich dann beim Bundeskanzler zugestimmt, dass wir die Stiftung gründen können. Und wenn wir die Summen uns ansehen, müssen wir eben feststellen, dass im Jahre 2004 die Stiftung 75 Millionen Mark, das sind rund 38 Millionen Euro, zur Verfügung hat und zwar für reine Projektförderung. Wissen Sie, was das heißt: 75 Millionen jährlich für reine Projektförderung, also nicht in eine Institution hinein? Das ist eine ganze Menge. Die neue Bundesstiftung ist damit wahrscheinlich die größte kulturfördernde Stiftung Deutschlands. : Im Moment reden wir sehr viel über Kulturförderung und weniger über Kultur. Christine Lemke-Matwey, wie ist denn das Verhältnis so zwischen Hochkultur und diesen kleinen kreativen Zentren?
Lemke-Matwey: Zum einen ist der Blick von außen sicher auf die großen Hochkulturtempel gerichtet und bleibt da auch eine Weile lang kleben. Was nicht heißt, dass es diese Off-Szene in Berlin nicht gibt. Die Off-Szene ist sehr reich, sie ist sehr vielgestaltig, sie treibt auch jeden Tag oder jede Nacht sicher neue Blüten. Gleichwohl ist das auch eine Aufgabe von Kulturpolitik, regelnd einzugreifen und auch ästhetische Maßstäbe zu bestimmen oder mal zu versuchen, so eine Diskussion in die Stadt zu bringen. : Im Koalitionsvertrag zwischen PDS und SPD steht, Berlin hätte der Ort für das Neue zu sein, und das Neue entsteht wahrscheinlich eher an den Rändern. Was gedenkt denn der Kultursenator oder was gedenken Sie, Frau Tebbe, zu tun, um das zu befördern?
: Es muss auch mal etwas nicht mehr gefördert werden, damit man etwas Neues fordern kann. Das ist eigentlich ganz normal.
: Die Kultur stirbt ab, wenn sie sich nicht an den Graswurzeln entwickeln kann. Dort wo wir sie erst gar nicht normieren, sondern sich entwickeln lassen. Ich erinnere mich, nach der Wende gab es so ein tiefes Loch, so ein richtiges Vakuum und Larmoyanz und dann entstand an allen Ecken und Enden etwas. Deswegen finde ich die Projektförderung so wichtig, damit Neues, was sich entfaltet, auch sichtbar wird und fortbestehen kann. : Institutionelle Förderung, Projektförderung, oder vielleicht am besten überhaupt keine Förderung. Was ist der Berliner Kulturszene angemessen, Olaf Zimmermann?
: Also ich meine, so trostlos, wie das gerade klang, glaube ich nicht, dass es ist. Aber etwas, was ich wirklich für trostlos halte, ist, dass alle immer als das große Heil der Förderung von Jungem, von Innovativem die Projektförderung bezeichnen, das heißt wenn es besonders wenig Geld besonders kurzfristig gibt und mit besonders wenig Planungssicherheit, das wird als eine besonders innovative Form der Förderung angesehen. Und wenn das Geld ein bisschen kontinuierlicher fließt, damit man sich auch entwickeln kann, damit man einen gewissen Stand erreichen kann, dann ist das das Alte, dann ist das das Verknöcherte. Wir haben ein Problem in Berlin, aber nicht nur in Berlin, dass besonders viel Geld in die Hochkultur fließt und ein kleinerer, ein geringerer Teil in die junge Kultur, hineinfließt. Aber das hat nichts mit den Förderungsstrukturen zu tun, sondern ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass gerade das Junge langfristig und dauerhaft gefördert wird und man nicht dort aus Einsparungsgründen immer auf die Projektförderung ausweicht.
: Die Rahmenbedingungen für den ganzen Bereich, den auch als Off-Kultur bezeichnet, sind effektiv schlechter geworden sind. Wenn Sie mal nur den Blick auf die Musikschulen wenden, haben wir in fünf Jahren 10.000 Musikschulplätze abgebaut in Berlin – von 50.000 auf 40.000 – und das nicht etwa, weil uns die Nutzer wegbleiben – im Gegenteil, die Wartelisten steigen und steigen, die Kosten steigen übrigens auch und es gibt bei sinkendem Realeinkommen trotzdem immer mehr Menschen, die bereit sind, hier zu investieren – sondern weil schlicht und ergreifend eine idiotische Haushaltssystematik, nämlich die Kameralistik hier greift und sagt, Haushaltssperre, sind alle mit drinnen, auch die Musikschulen. Und ich denke, hier kann die Politik, ohne dass es viel Geld kostet, über eine ordnungspolitische Maßnahme dafür sorgen, dass Bereiche wieder zum Leben kommen. Das ist nur ein Beispiel für viele. : Wie setzen Sie das um, Frau Tebbe? : Ich komme selber aus dem Kulturbereich und ich finde es unsäglich, wenn man am Anfang des Jahres noch nicht weiß, ob man ein Projekt, das man im Laufe des Jahres machen möchte, gefördert wird oder nicht. Das hat mit Strukturen zu tun, die gar nicht aus der Kultur kommen, sondern aus dem politischen Raum und aus dem Haushaltsraum und die müssen wir dringend verändern. Wir haben bei uns im Haushalt etwa 15 Millionen Mark für freie Projekte und kleinere Träger, aber wenn das natürlich mit Haushaltssperren versehen ist und mit ständiger Unsicherheit und so weiter, dann stimme ich zu, dann kann man nicht kontinuierlich arbeiten.
: Ich halte es für wichtig, dass in einer Hauptstadt wie in Berlin es auch möglich sein muss, die Besten im Land und aus dem Ausland zu engagieren. Und umgekehrt sage ich – jetzt geht es mir auch noch einmal um die Nationalstiftung – Deutschland ist eigentlich ein Musikland. Wenn Sie heute schauen, wo die Musikförderung am besten ist, dann ist sie es in den asiatischen Ländern. Ich sage nicht, dass wir keine Talente hätten, ganz im Gegenteil.
: Bund und Land sind meiner Meinung nach auf einem Weg, sich sehr gut zu verständigen – was übrigens nur geht, wenn die Bundesländer dem zustimmen. Da geht es nicht um Wünsche, da geht es wirklich um die Klärung der Aufgabenteilung. Aber: Wenn der Bund dann einem Orchester eine Aufstockung gibt und die anderen dann sagen, bitte Berlin, wir sind gleichrangig, gebt uns das auch: Wo sollen wir denn in dieser Situation Berlins das Geld hernehmen, etwa bei der Avantgarde, beim Nachwuchs? Ich meine, da findet noch nicht genügend Abstimmung statt miteinander über die Folgen, die derartige Entscheidungen haben. : Ist es nicht so, dass der Bund tatsächlich einen wesentlichen Teil des Erbes, den diese Stadt in sich trägt, mitzutragen hätte? Jetzt wo er sich so gut einlebt.
: Es wird bei diesen Diskussionen oft zu wenig gesehen, dass der Bund eben nicht nur Verantwortung für Berlin hat und, Frau Süssmuth, Hochkultur kann nicht nur in Berlin, sondern muss genauso in München, in Hamburg und in Köln stattfinden. : Ich glaube, Berlin muss sich selbst helfen und ich bin sicher, viele Institutionen und Menschen werden mit dazu helfen. Herzlichen Dank für dieses Gespräch.

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