Im Frühjahr 2021 zeigte die damals erstmalig durchgeführte ChoCo-Studie (Chormusik in Coronazeiten), dass Chöre in Deutschland, Österreich und der Schweiz unter der Pandemie nachweislich gelitten haben (siehe nmz 5/2021, S. 20/21). Festgestellt wurden Mitgliederverluste, die bei Kinder- und Jugendchören besonders groß waren, eine stark reduzierte Proben- und Konzerthäufigkeit und eine angespannte finanzielle Lage, die sich zum Beispiel auf die Bezahlung der Chorleitenden auswirkte. Auf die Frage nach der musikalischen und mentalen Verfassung der Chöre antwortete im Jahr 2021 mehr als die Hälfte der Stichprobe im negativen Bereich. In Bezug auf ihre Perspektive wurden von den Befragten Sorgen in Bezug auf die Mitgliederzahlen, die finanzielle Situation und vor allem auf das musikalische Niveau geäußert.
Im zweiten Jahr der Pandemie hat sich die Situation der Chöre durch die zunehmend verfügbaren wissenschaftlichen Informationen über Aerosol-Ausbreitung, durch verfeinerte Sicherheitskonzepte und vor allem durch die Verfügbarkeit von Impfungen dahingehend verändert, dass Singen in Gruppen nicht mehr großräumig verboten war. Trotzdem war auch das zweite Pandemiejahr von Einschränkungen geprägt, so dass sich die Frage stellt, ob die im Frühjahr 2021 festgestellten Probleme in Bezug auf die Mitgliederzahl, die empfundene musikalische Qualität und die Handlungsfähigkeit der Chöre beispielsweise im Bereich Finanzen im Jahr 2022 fortbestehen.
Daher wurde im März 2022 die Befragung wiederholt, um herauszufinden, wo die Chöre im deutschsprachigen Raum ein Jahr später stehen, auch diesmal im Rahmen einer Online-Umfrage mit 56 Fragen. Im Folgenden werden einige zentrale Ergebnisse berichtet. Eine erweiterte Darstellung findet sich in der Online-Ausgabe der nmz (www.nmz.de/choco).
Leichte Erholung der Mitgliederzahlen
Der Rücklauf bei der zweiten Umfrage war mit rund 1.000 Teilnehmenden deutlich geringer als 2021 (damals waren es 4.605). Das könnte einerseits daran liegen, dass die mediale Berichterstattung im Frühjahr 2022 weniger stark auf Corona fokussiert war, andererseits aber auch ein Effekt der Wiederholung sein, da die wesentlichen Probleme bereits bei der ersten Umfrage benannt wurden. Aus der aktuellen Erhebung lässt sich zwar nicht ablesen, ob die erneute Studienteilnahme durch besonders großes Engagement oder durch einen besonderen Leidensdruck in Bezug auf die angesprochenen Themen motiviert war. Die Breite der berichteten Ergebnisse legt aber nahe, dass beide Faktoren eine Rolle gespielt haben.
Bei den Mitgliederzahlen lässt sich eine leichte Stabilisierung dahingehend feststellen, dass weniger Chöre als 2021 angaben, gar keine Mitglieder mehr zu haben. Dies gilt auch für die Kinder- und Jugendchöre, obwohl sich auch im zweiten Pandemiejahr deren Situation schlechter darstellt als die der Gesamtheit aller befragten Chöre. Auch im Frühjahr 2022 waren knapp ein Viertel der sonst aktiven Chormitglieder nicht aktiv, das ist dieselbe Größenordnung wie 2021 und bedeutet, dass die meisten Chöre ihre ursprüngliche Mitgliederzahl noch nicht wieder erreicht haben. Die Prognose für die Mitgliederzahlen nach der Pandemie fällt 2022 etwas optimistischer aus als ein Jahr zuvor, auch wenn ein Anteil von acht Prozent der Chöre verbleibt, die mit einem dauerhaften und deutlichen Mitgliederverlust rechnen.
Die Probensituation hat sich im Frühjahr 2022 noch nicht stabilisiert: Nur rund ein Drittel der befragten Chöre probt mit etwa derselben Häufigkeit (75-100 % der Proben) wie vor der Pandemie, jeder fünfte Chor probt sehr selten bis gar nicht. Neben den Präsenzproben in voller Besetzung und Dauer, die 2022 immerhin wieder von 30 Prozent der Chöre berichtet werden, spielen Präsenzproben in reduzierter Besetzung oder mit verkürzter Dauer nach wie vor eine große Rolle. Etwa ein Drittel der Chöre berichtet über digitale Proben als Videokonferenz, jedoch werden eine Reihe von bereits 2021 benannten Problemen in Bezug auf das als künstlerisch unbefriedigend empfundene digitale Probenformat bestätigt.
Bessere mentale und musikalische Verfassung
Die mentale und musikalische Verfassung der Chöre ist besser als 2021. Auf der fünfstufigen Skala, die in etwa einer Schulnotenskala entspricht, haben sich die Mittelwerte um einen halben bis ganzen Skalenpunkt in die positive Richtung verschoben. Auch fanden sich bei den Kinder- und Jugendchören keine wesentlichen Abweichungen mehr von der Gesamtstichprobe. Trotzdem bleibt eine Reihe von bereits 2021 benannten Problemen aktuell: Wieder wurden negative Auswirkungen auf die Chorgemeinschaft und auf das musikalische Niveau befürchtet oder schon wahrgenommen, ebenso wie mentale Belastungen der Sänger*innen im zweiten Jahr der Pandemie. Ähnlich wie im Vorjahr zeigte sich, dass die Chöre auch im Jahr 2022 das gemeinsame Musizieren mehr vermissten als die sozialen Aspekte des gemeinsamen Singens.
Konsolidierung der Finanzen
Bei den Chorfinanzen zeichnet sich für den Großteil der Stichprobe eine leichte Konsolidierung ab, mehr als drei Viertel der Befragten gaben eine stabile Finanzlage an. Allerdings verbleibt ein Anteil an finanziell gefährdeten Chören, zudem wurde von rund sieben Prozent der Chöre angegeben, dass sie ihre Chorleitung nicht halten konnten.
Finanzhilfen des Bundes wurden nur von einem kleinen Teil (unter 10 Prozent) der Chöre in Anspruch genommen, während jeder fünfte Chor angab, kommunale oder regionale Fördermittel erhalten zu haben. Angesichts der nach wie vor unsicheren Lage werden für die Zukunft an erster Stelle Zuschüsse zum Honorar für Chorleitende als hilfreich angesehen, gefolgt von einer Ausfallsicherung bei Konzertabsagen oder Einnahmeausfällen.
Vor diesem Hintergrund ist es eine gute Nachricht, dass der Bund Amateurmusik auch weiterhin fördern wird und dafür entsprechende Haushaltsmittel eingeplant sind. Dies wird auch nötig sein, wenn die Chorlandschaft wieder zu alter Blüte zurückkehren soll. Denn von Stabilität kann in der Chorlandschaft nach zwei Jahren Pandemie noch keine Rede sein. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei die Förderung von Kinder- und Jugendchören haben, die aufgrund ihrer Struktur in vielen Fällen vor einem kompletten Wiederaufbau oder einem Neuanfang stehen.
- Die ausführliche Darstellung der ChoCo-Studie 2021 und ihrer Fortsetzung 2022 ist abrufbar unter www.nmz.de/choco