NRW: «Keine Extrawurst» - Ministerin warnt Kultur vor Öffnungsforderungen +++ Offener Brief: Berliner Theater fordern Perspektive +++ Frankfurter Kultureinrichtungen wollen wieder öffnen dürfen - «Bildungsauftrag» +++ Erfurter Kulturschaffende posten gegen das «#Kulturkoma»
«Keine Extrawurst» - Ministerin warnt Kultur vor Öffnungsforderungen
Düsseldorf - Nordrhein-Westfalens Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) hat an die Kulturbranche appelliert, die harten Einschränkungen des öffentlichen Lebens in der Corona-Krise mitzutragen. «Die Kultur muss aufpassen, dass sie nicht immer eine Extrawurst brät», sagte die Ministerin am Freitag im Kulturausschuss des Landtags. Die Szene solle sich «nicht zu sehr aus dem gesellschaftlichen Konsens herausbewegen». Denn das könne der Kultur dauerhaft schaden. Pfeiffer-Poensgen reagierte damit auf Kritik aus der Szene, dass etwa Theater und Museen trotz strenger Hygiene-Konzepte ebenso im November schließen mussten wie auch Gastronomie und Freizeiteinrichtungen.
«Wir wissen alle, dass es schrecklich ist», sagte Pfeiffer-Poensgen. «Aber wir haben diese wahnsinnigen Infektionszahlen.» Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe darauf hingewiesen, dass die Quelle bei 75 Prozent der Corona-Infektionen nicht mehr zugeordnet werden könne. Es sei also nicht auszuschließen, dass sich Menschen auch in Theatern oder Kinos ansteckten - trotz dort geltender strenger Hygienekonzepte. «Ich weiß gar nicht, wo es überhaupt noch offene Theater in Europa gibt», fügte sie hinzu.
Pfeiffer-Poensgen verwies auf die vom Bund beschlossenen zusätzlichen November-Überbrückungshilfen, die auch für Kulturbetriebe und Soloselbstständige gelten. Diese würden von Landesseite ergänzt. So habe das Land einen Kulturstärkungsfonds in Höhe von 80 Millionen Euro und ein Stipendienprogramm aufgelegt.
Die Regierungsfraktionen von CDU und FDP im NRW-Landtag wollen kommende Woche die Landesregierung im Plenum zudem auffordern, sich auf Bundesebene für einen Unternehmerlohn in Höhe von mindestens 1000 Euro in der Pandemie einzusetzen. Das Geld solle unabhängig von Auflagen unbürokratisch ausgezahlt werden und auch Soloselbstständigen und Freiberuflern zur freien Verwendung stehen.
Offener Brief: Berliner Theater fordern Perspektive
Berlin - Mehrere Berliner Bühnen haben in einem offenen Brief vor den Folgen der erneuten Schließung gewarnt. Sie forderten am Freitag eine differenzierte Betrachtung der Kultur von Regierungschef Michael Müller (SPD). «In unserer Gesellschaft sind Opern, Theater, Konzerthäuser und andere Kulturinstitutionen mehr als reine Freizeitangebote», heißt es in dem Schreiben.
«Sie sind - selbst mit Abstand - Orte der Begegnung, des Diskurses, der Bildung und Aufklärung, aber auch des ästhetischen Genusses», schreiben mehrere Theaterleiter. Die Hygienekonzepte der Häuser basierten auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, die erneute Schließung erschüttere das gerade wieder gewonnene Vertrauen des Publikums. Zudem seien sie zum Beispiel Auftraggeber für viele freischaffende Künstler.
«Wir benötigen dringend eine Perspektive», appellieren die Theater. Ein Betrieb im «On/Off»-Modus - «insbesondere ohne längerfristige Vorankündigung» - mache die Planung und Arbeit unmöglich. Als Unterzeichner werden zum Beispiel das Berliner Ensemble, das Deutsche Theater und die Staatsoper Unter den Linden aufgelistet.
Seit dieser Woche sind die Theater in Berlin und anderen Orten in Deutschland wieder geschlossen. Hintergrund ist die Corona-Pandemie. Das öffentliche Leben soll heruntergefahren werden, um zum Beispiel eine Überlastung der Intensivstationen zu verhindern. Auch Kinos, Museen und Restaurants bleiben vorübergehend zu, Läden sind weiter offen. Die Einschränkungen sollen zunächst bis Monatsende gelten.
Frankfurter Kultureinrichtungen wollen wieder öffnen dürfen - «Bildungsauftrag»
Frankfurt/Main - Museen, Theater, Opern, Konzerthäuser und freie Ensembles hoffen auf einen baldigen Neustart. In Frankfurt unterstützt das Kulturdezernat diese Forderung. Kultureinrichtungen sollten bei den nächsten Lockerungen als erstes wieder öffnen dürfen, sagte Kulturdezernentin Ina Hartwig (SPD) am Freitag. Kultur werde bei den laufenden Beschränkungen in der Corona-Krise zu Unrecht zu Freizeit gezählt: «Kultur hat aber auch einen Bildungsauftrag. Wir müssen Wege finden, Kultur unter Corona-Bedingungen zu ermöglichen».
«Die Hygienemaßnahmen sind gut und haben sich bewährt», sagte Hartwig. Es sei keine einzige Infektion aus Kultureinrichtungen bekannt. «Museen sind die sichersten Orte in Deutschland», sagte der Direktor des Historischen Museums, Jan Gerchow. Es gebe große Räume, gute Lüftung, Aufsicht und niemand fasse etwas an. Bei Musik sitze das Publikum auf Abstand, alle Kontaktdaten lägen vor, die Klimaanlagen filterten die Luft, ergänzten die Intendanten der Oper und der Alten Oper, Bernd Loebe und Markus Fein.
Allein für die Museen rechnet die Stadt in diesem Jahr mit Einnahmeverlusten von einer Million Euro. 2021 könnte das Defizit im gesamten Kultur-Budget der Stadt 10 Millionen Euro betragen, sagte Hartwig. Mit einem Notfallfonds unterstützt die Stadt freischaffende Künstler; 220 000 Euro wurden dem Dezernat zufolge bisher an 150 Antragsteller ausgezahlt, 150 000 Euro seien noch verfügbar.
Das Schauspielensemble des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden wandete sich in einem Offenen Brief an die Politik: Die Schließung aller Theater sei «unverhältnismäßig und ineffektiv», heißt es in dem Schreiben. «Wir appellieren an Sie, die Theater und alle anderen öffentlichen Kultureinrichtungen ab dem 1. Dezember wieder zu öffnen!»
Erfurter Kulturschaffende posten gegen das «#Kulturkoma»
Erfurt - Vertreter der Kulturbranche und -szene der Landeshauptstadt haben eine Internetaktion begonnen, um auf ihre Lage in der Corona-Krise aufmerksam zu machen. Dazu stellen sie unter dem Schlagwort «Kulturkoma» Beiträge in sozialen Netzwerken online. Es gehe darum, durch das gemeinsame Symbol der Kultur ein Gesicht und eine Stimme zu geben, hieß es in einer Mitteilung von Sonntag. Zudem fordert der Zusammenschluss der Kulturschaffenden bessere Förderung. «Wir müssen als wichtiger Gesellschafts- und Wirtschaftsfaktor endlich ernst genommen werden», sagte Lisa Hilpert von der Ständigen Kulturvertretung.
Kulturakteure seien zwar oft gewohnt, unter prekären Verhältnissen zu arbeiten. Das sei vielleicht mit ein Grund, weshalb auch nach dem ersten Lockdown in Erfurt bislang keine Kulturinstitution dauerhaft schließen musste. «Jetzt, mit dem zweiten Lockdown, ist die Improvisationsfähigkeit an ihre Grenzen gekommen, da wir trotz aufwendiger Hygienekonzepte nun wieder ins Arbeitsverbot geschickt wurden», kritisierte Hilpert.
Durch die aktuellen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie müssen Theater, Konzerthäuser und ähnliche Einrichtungen sowie Kinos den November über geschlossen bleiben. Auch Museen, Bars, Clubs und Diskotheken dürfen in der Regel keine Besucher empfangen.
Vor Kurzem hatte auch der bekannte Erfurter Musiker Clueso auf die prekäre Lage der Kulturbranche aufmerksam gemacht. «Hier werden Existenzen plattgemacht», sagte der 40-Jährige im Interview des Radiosenders MDR Jump. «Hinter jedem Musiker und jedem Frontmann, der auf der Bühne steht, stehen ganz viele Leute, die Bühnen aufbauen, die Licht machen, die organisieren.»