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Das Land der Musik schafft die Musik ab

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Opern in Berlin – Theater in Würzburg, Wuppertal, Schwerin
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In Berlin werden Musikschulen fusioniert, sollen zwei Opernhäuser kurzgeschnitten werden. In Würzburg will man das Dreispartentheater in einen Gastspielbetrieb umwandeln. Auch in Wuppertal und Schwerin drohen Theaterschließungen. Ungemach droht dem Kulturleben vielerorten. Bibliotheken können keine Bücher mehr kaufen, Museen keine Einzelausstellungen organisieren. Protest erhebt sich. In Würzburg marschieren Theaterkünstler, Musiker, kulturell engagierte Bürger zum Rathaus. Nützt der Protest etwas?

In Berlin werden Musikschulen fusioniert, sollen zwei Opernhäuser kurzgeschnitten werden. In Würzburg will man das Dreispartentheater in einen Gastspielbetrieb umwandeln. Auch in Wuppertal und Schwerin drohen Theaterschließungen. Ungemach droht dem Kulturleben vielerorten. Bibliotheken können keine Bücher mehr kaufen, Museen keine Einzelausstellungen organisieren. Protest erhebt sich. In Würzburg marschieren Theaterkünstler, Musiker, kulturell engagierte Bürger zum Rathaus. Nützt der Protest etwas? Zweifel bleiben angebracht. Imerhin hat man in Würzburg die Entscheidung vorerst verschoben – für wie lange? Skepsis überwiegt, dass bessere Einsicht eine Wende bewirken könnte. Das Wort „Leitkultur“, heftig umstritten (siehe nebenstehendes Editorial) wegen vorgeblicher Überheblichkeit, erhält unversehens einen anderen, fatalen Sinn: Unsere Kultur ähnelt immer mehr einer Anleitung zum Abbau von Kultur.

Wenn erst eine Stadt anfängt, ihr Theater, ihre Oper, ihr Orchester abzuschaffen, wird das schlechte Beispiel rasch Nachahmer andernorts finden. Es rumort auch schon in Wuppertal und in Schwerin. In Würzburg genügt schon der Albtraum eines von Etatnöten geplagten Kämmerers, um den Anti-Theater-Furor zu entfachen. Hat der Kämmerer überhaupt überlegt und durchgerechnet, was eine solche „Liquidierung“ an jahrelangen Folgekosten mit sich bringen würde? Unkündbare Theatermitglieder müssten ohnehin weiter bezahlt, schon bestehende Verträge ausgezahlt werden, ebenso Abfindungen. Allein die Auflösung eines Orchesters, in diesem Fall von einem 56 Musiker umfassenden Ensemble, dürfte Millionen erfordern. Und für diese Kosten gäbe es keinen Gegenwert in Gestalt eines lebendigen, an- und aufregenden Theaters. Wir haben in Würzburg speziell in der Oper hervorragende Aufführungen erlebt, Novitäten, Ausgrabungen, einen hochanständigen „Wozzeck“ von Berg, Debussys „Pelléas“ und zuletzt einen fabelhaft gelungenen Salieri. Das waren und sind Aufführungen, die das Theater einer Stadt ins Gespräch bringen, die ihm Lebendigkeit verleihen, ihm ein unverwechselbares Gesicht geben. Ein Gastspielbetrieb vermag so etwas niemals zu leisten. Das Theater einer Stadt – als Schauspiel, als Oper, als Ballett betrieben – ist immer auch ein Teil dieser Stadt, des Lebens ihrer Bürger, ist über die Kunst hinaus auch Treffpunkt, ein Ort gemeinsamen Erlebens, eine Stätte der Begegnungen, ein Forum, auf dem Fragen unserer Zeit diskutiert und dargestellt werden. Eine Stätte, die zugleich ein Stück Identität für die Stadt und ihre Bewohner bedeutet.

Dieses Gefühl für Identität wird von vielen Politikern, und zwar auch und gerade von den Kommunalpolitikern, die es eigentlich spüren müssten, mit Füßen getreten, nicht nur in Würzburg. Man kann doch nicht einfach eine Stadt ihrer „Stadtmusik“, sprich: ihres Orchesters, berauben. Ein Orchester, wie das in Würzburg, tritt schließlich nicht nur im Theater oder im Konzertsaal auf, sondern durchwirkt mit seinen Musikern das Musikleben in der Gemeinde auf vielerlei Art und Weise: lehrend in den Musikschulen, begleitend in den Aufführungen der ansässigen Chorvereinigungen, die mit bewundernswertem Einsatz ein- oder zweimal im Jahr mit anspruchsvollen Aufführungen großer Chorwerke hervortreten. Will man diese in vielen Jahrzehnten, ja Jahrhunderten gewachsene Musikkultur zerstören, nur weil vorübergehend die Gewerbesteuereinnahmen zurückgegangen sind? Warum muss das Theater geopfert werden, nur weil das Wirtschaftsressort im Rathaus die Zeichen der Zeit übersehen hat? Und selbst wenn es gelänge, durch die Schließung des Theaters zehn Millionen Mark einzusparen – wären mit diesen zehn Millionen grundlegende Strukturmängel zu beheben? Die Frage stellen, heißt sie verneinen. Das Theater, der Kulturhaushalt allgemein ist immer der bequemste Weg des Sparens, weil Kultur nicht zu den gesetzlich fixierten Verpflichtungen der öffentlichen Hand zählt.

Wer das zweifelhafte Vergnügen hat, gelegentlich den Sitzungen der Kulturausschüsse in den Parlamenten, auch den Parlamentssitzungen selbst, beizuwohnen, den überfällt beim Anhören der Kulturdiskussionen in der Regel tiefe Depression. Da hocken nun die von uns gewählten und uns vertretenden politischen Repräsentanten, schmoren im eigenen Gehirnschmalz und faseln über Kultur, wie sie diese verstehen. Und setzen dann noch die Miene des Entsetzens auf, wenn ein Ausländer, der nichts von „Leitkultur“ weiß, durch die Straßen gehetzt, oder ein kleiner Junge, nur weil sein Vater Iraker ist, vor den Augen deutscher Menschen in einem Schwimmbad von deutschen Rowdies zu Tode gequält wird. Die deutsche Zivilgesellschaft befindet sich psychisch und moralisch derzeit in einem desolaten Zustand, und die Erosion dürfte fortschreiten, wenn nicht hier und jetzt mit aller Entschiedenheit gegengesteuert wird.

Die deutsche Kulturpolitik, die Parteien, die Parlamente, die Regierungen in Bund, Ländern und Gemeinden stehen vor den Trümmern, die vielleicht schlimmer sind als zerstörte Städte und Landschaften nach einem Krieg, weil diese neuen Verwüstungen auf den ersten Blick nicht erkennbar werden: Es sind die seelischen Beschädigungen, die Verkümmerungen der Fantasie und der Gefühle, die in wachsendem Maße als Aggressionen nach außen drängen. Die innere Wiedervereinigung Deutschlands wäre sicher weiter vorangeschritten, hätte man sie auf einer dicht geknüpften und weit gespannten Struktur kultureller Angebote und Initiativen aufgebaut. Pauschalkonzepte existieren für eine so orientierte Kulturarbeit nicht, sie kann nur dann zu positiven Ergebnissen führen, wenn man mit unendlicher Geduld Tag für Tag und ohne großes politisches Trara diese Kulturarbeit leistet. Würzburg darf nicht zum Menetekel werden und auch nicht Wuppertal, Schwerin und schon gar nicht die Opernlandschaft Berlins. Im anderen Fall würde man eines Tages erleben, dass dieses Deutschland im Begriff ist, sich selbst zur Disposition zu stellen. Statt Grüner Karten gäbe es dann nur noch eine Karte: die Rote.

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