Auf der Leipziger Buchmesse sprach nmz-Herausgeberin Barbara Haack am Stand der nmz und ihrer Partner mit Benjamin-Immanuel Hoff (Chef der Thüringer Staatskanzlei und Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten des Freistaates Thüringen, außerdem Antisemitismusbeauftragter des Freistaates) über den Stand der Dinge in Sachen Kultur in Thüringen, über das laut Hoff manchmal verzerrte Bild, das Ost- und Westdeutsche auch fast 30 Jahre nach der Wende voneinander haben, über den Begriff der Heimat, die gerechte Entlohnung von Kulturschaffenden und vieles andere mehr aus dem Aufgabenfeld des Ministers.
Barbara Haack: Wenn man sich Ihre politische Karriere anschaut, sind Sie beim Thema Kultur quasi ein Quereinsteiger. Inwieweit ist die Kultur für Sie mittlerweile eine Herzensangelegenheit geworden?
Benjamin-Immanuel Hoff: Mein Vater war an der Filmhochschule, meine Mutter im Kulturministerium, mein Stiefvater im Kulturministerium. Es hatte eher etwas von adoleszenter Abgrenzung gegenüber den eigenen Eltern, dass ich auf keinen Fall Kulturpolitik machen wollte. Als ich dann 2014 von Bodo Ramelow gefragt wurde, ob ich Kulturminister werden will, habe ich gesagt: „Davon habe ich keine Ahnung“. Es gab dann aber diesen Moment, den man von Harry Potter kennt: Der Zauberstab sucht sich seinen Zauberer; hier suchte sich das Thema seinen Minister. Ich habe mich in meiner schon 25 Jahre dauernden politischen Arbeit als abgeordneter Staatssekretär und Minister in keinem Feld so wohl gefühlt wie in der Kulturpolitik.
Haack: Jetzt sind Sie im Freistaat Thüringen angekommen, einem Bundesland mit einer sehr großen Vielfalt an traditionellen Kulturschätzen. Das ist ein großer Schatz. Vielleicht auch eine Bürde? Wie groß sind Ihre Möglichkeiten, auch Avantgarde, Neues, Innovatives im Bereich der Kultur einzuführen und durchzusetzen?
Hoff: Statistisch haben wir als Freistaat Thüringen – wenn man die Stadtstaaten herausrechnet – die zweithöchsten Pro-Kopf-Kulturausgaben der Länder. Wir betreuen ein großes kulturelles Erbe. Für die Frage von Ansiedlungen von Unternehmen, auch im Hinblick darauf, dass wir kein Niedriglohnland mehr sind, dass wir Fachkräfte für Thüringen werben, ist es wichtig, dass es zum Beispiel in Saalfeld-Rudolstadt ein Theater gibt. Das ist auch für die regionale Entwicklung ganz wichtig. Insofern ist es auch für uns eine Herzensangelegenheit, dass es dieses Theater, dieses Orchester, diese Landeskapelle gibt. Auf der anderen Seite: Wir sind ein Land, das zwar mit einer Bauhaus-Universität, mit einer Musikhochschule gesegnet ist; gleichzeitig haben aber Orte wie Leipzig, Berlin, Köln immer noch eine höhere Attraktivität. Das heißt, wir verlieren Absolventinnen und Absolventen, weil wir ihnen nicht genügend Andockpunkte liefern können. Ich glaube aber, dass wir hier gerade an eine Schwelle kommen, an der es eher einen diskreten Charme der Peripherie gibt. Und diese zu gestalten, mit der Kulturstiftung Thüringen, auch mit einer Stiftung für zeitgenössische Kunst- und Kulturförderung, das ist der Ansatzpunkt, an dem wir tätig sind. Das ist eine politische Strategie, die man nicht in Wahlperioden, sondern in Generationen misst; die Erfahrung der Nach-Wende-Zeit der vergangenen dreißig Jahre wird uns auch in den nächsten Jahren noch beschäftigen. In dem Bild, das es von Ostdeutschland gibt, sind wir gerade an einer sehr interessanten Bruchsituation, in der man genau diese Kulturentwicklungsstrategie fortführen muss: kein Abbau mehr wie in den neoliberalen Zeiten der 1980er- und 90er-Jahren, sondern Rückkehr zu einer Form der Wieder-Rückversicherung öffentlich finanzierter Kultur. Das ist das, was ich in den letzten Jahren gestalten durfte und wo man auch weitermachen muss.
Haack: Wenn Sie von einem Bild von Ostdeutschland sprechen: Wie definieren Sie das, und wie wollen Sie es verändern?
Hoff: Das Bild, das es insbesondere im Westen von Ostdeutschland gibt, hat uns eine Umfrage unseres Landesmarketings gezeigt. Ein Zitat daraus stammt von einer Frau aus Bochum, die auf die Frage, ob sie denn schon einmal in Thüringen gewesen sei, antwortete, sie sei schon einmal in Stuttgart gewesen. Es hat eine Weile gebraucht ihr mitzuteilen, dass es sich nicht um Tübingen, sondern um das Land Thüringen handelt. Das zweite: Menschen wurden gefragt, wo Weimar liegt, in welchem Bundesland. Und darauf wurde geantwortet: „In Sachsen-Anhalt.“ Die Frage: „Warum in Sachsen-Anhalt?“ wurde dann mit der Schlussfolgerung „Es liegt nicht in Sachsen, also muss es dieses andere ostdeutsche Land gewesen sein“, beantwortet. Wenn man diese Menschen auffordert, eine Art Fotobild von Ost-Deutschland zu malen, dann muss man sich eine sepiafarbene Postkarte vorstellen mit Menschen im Unterhemd auf einer Datsche und vor einer Platte. Das ist das Bild, das von Ostdeutschland immer noch dominiert. Das zu verändern, ist eine Aufgabe, die viel mit Erzählungen, Geschichten zu tun hat.
Die Geschichten der vergangenen zwanzig Jahre waren Geschichten von Wegzug, von demographischen Problemen, nicht zuletzt auch von Rechtsextremismus. Es steckt viel Klischee dahinter, aber trotzdem ist es das Bild, das in den Köpfen steckt und dieses Bild zu ändern, braucht eben Zeit.
Haack: Sie haben in einem Interview mit der Zeitung „Politik und Kultur“ gesagt, dass Sie den Heimatbegriff nicht den Rechten überlassen wollen. Der Osten Deutschlands wird ja durchaus mit dem Thema Rechtsradikalismus in Verbindung gebracht. Nicht zu Unrecht, wenn man sich die Wahlergebnisse anguckt. Was bedeutet Heimat für Sie?
Hoff: Für mich ist Heimat vor allem der Ort, den ich selbst als Heimatort definiere. Ich habe vierzig Jahre in Berlin gelebt und habe mich in der Stadt wohlgefühlt. Aber heute sage ich: „Ich bin in Thüringen zuhause.“ Hier ist eine Seite von mir zum Schwingen gekommen, und es ist ein Glück, für ein solches Land wie Thüringen als Kulturminister Verantwortung zu tragen. Ich finde es unselig, dass die Linke mit diesem Begriff Heimat so hadert, weil sie sagt, er sei unheilbar determiniert.
Aber ich glaube, dass es eine geschickte Diskursstrategie der Rechten ist, Heimat als Angriff auf jede Modernisierung verwenden zu dürfen. Wir müssen von diesem angstbedingten, rückwärtsgetriebenen Heimatbegriff zu dem kommen, was Heimat ist. Heimat ist eben keine sepia-farbene Postkarte, auf der es keine Windräder geben darf, weil das unser Dorf kaputt macht, sondern Heimat ist das, was wir daraus machen. Auch das, wodurch unsere moderne Gesellschaft sich heutzutage auszeichnet: durch Zuwanderung, die auch die Thüringer Kultur immer geprägt hat. Wir hatten eine wunderbare Diskussion mit der AfD im Landtag, die sagte, wir müssten die Thüringer Kultur retten. Darauf haben wir gefragt: „Was ist denn eure Thüringer Kultur? Franz Liszt, der Ungar? Worüber reden wir da eigentlich? Thüringens Kultur ist eine Kultur von Zuwanderung, Abwanderung, von Heimatsuche, von Schutzsuche: zum Beispiel Luther auf der Wartburg. Und diese Geschichten immer wieder zu erzählen und auch wieder präsent zu machen, das macht Thüringen aus. Heimat ist eben auch der Ort, an dem Menschen leben wollen, die ihre Heimat verlassen müssen und die nach Deutschland kommen, weil sie Sicherheit wollen. Insofern dürfen wir diesen Begriff nicht den Rechten überlassen.
Haack: Trotzdem versucht die AfD, Einfluss auf Kulturinhalte zu nehmen und die Kunstfreiheit zu beschränken. Was tun dagegen? Gerade in einem Land, wo die AfD deutlichen Zuspruch erfährt.
Hoff: Wir müssen immer wieder deutlich machen, dass die AfD wie Tur Tur, der Scheinriese, ist. Wir reden sie stark und groß, indem wir ihr einen Raum geben, der ihr nicht zusteht. Ich finde, dass wir als Demokratinnen und Demokraten selbstbewusst reagieren, aber auch dafür Sorge tragen müssen, dass unsere demokratischen Institutionen funktionieren. Die Angriffe auf den öffentlichen Rundfunk aus etablierten Parteien heraus ist viel gefährlicher, als das, was wir von Seiten der AfD erleben.
Interview: Barbara Haack
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