Berlin/Köln - Viva hat deutsche Jugendzimmer bunt und Moderatoren wie Stefan Raab groß gemacht. Nun wird dem Sender, der die 90er so sehr verkörperte, der Stecker gezogen. Viva wird eingestellt - und mit ihm verschwindet ein Lebensgefühl. Weggefährten nehmen Abschied.
«Wir sind mehr als nur ein Fernsehsender, denn wir sind euer Sprachrohr und euer Freund», sagt Heike Makatsch, man schreibt das Jahr 1993 und ein neuer - ziemlich bunter - Sender hat gerade den Betrieb aufgenommen. Und Viva, so heißt der Kanal, hat Großes vor, auch wenn es aus dem Mund von Makatsch dahingeplappert klingt: «Und ab heute bleiben wir für immer zusammen, okay?»
25 Jahre später klingen diese Worte aus den Anfangstagen von Viva nicht mehr groß. Man weiß, dass sie eine Illusion geblieben sind - so wie vieles, an das man in den 90ern glaubte, etwa die dauerhafte gesellschaftliche Akzeptanz von Tätowierungen oberhalb des Steißbeins («Arschgeweih»). Viva wird nicht für immer bleiben, sondern endgültig abgeschaltet. Am Montag (31. Dezember) ist es soweit. Um 14 Uhr ist Schluss, ironischerweise heißt die Abschluss-Show «Viva Forever» (deutsch: Viva für immer). Danach endet eine Fernseh-Ära.
Kaum ein Sender verkörperte das Lebensgefühl zwischen Backstreet-Boys-Poster, Inlineskates und Tamagotchi einst so sehr wie der Musikkanal aus Köln. Kaum ein Sender förderte auch in derart kurzer Zeit derart viele gute Moderatoren ans Tageslicht: Viva war Sprungbrett für Stefan Raab, Charlotte Roche, Sarah Kuttner, Oliver Pocher, Matthias Opdenhövel, Heike Makatsch und viele mehr.
Angetreten war er als deutsche Antwort auf die globale Coolness-Marke MTV. Die Betonung lag dabei durchaus auf deutsch. Auf Viva sollte deutsche Musik einen Platz haben, auch zur besseren Vermarktung. MTV sitze «auf einer Insel hinter dem Ärmelkanal», erklärte Viva-Gründer Dieter Gorny. «Viva sitzt in Köln, mittendrin.» Als Macher des neuen Senders stieg Gorny selbst zum «Paten der Popmusik» auf. Mit MTV lieferte man sich einen erbitterten Kampf um Quoten.
Vivas Geheimnis war allerdings, dass der Sender auf andere Art gar nicht deutsch war: Perfektionismus und Millimeterarbeit gehörten nicht zu seinen Tugenden. Die Moderatoren quatschten fast betont unprofessionell in die Kamera. Damit trafen aber den Nerv ihres Publikums, das zu Hause mit Zahnspange herumlümmelte und sich auch alles andere als perfekt fühlte. «Es gab keine Moderatoren-Schulung oder so. Das war Trial and Error - und es war auch sehr viel Error dabei», berichtet Moderatorin Milka Loff Fernandes heute.
Stefan Raab sprang durch die Sendung «Ma' kuck'n», Charlotte Roche zeigte in «Fast Forward» Achselhaar. Wenn eine angesagte Band zu Viva in den Kölner Mediapark kam, belagerten Teenager das Areal. Den Moderatoren wurden zwar ein paar Anweisungen gegeben, im Grunde ließ man sie aber einfach machen. «Wenn eine Girlgroup kam, sollte man sie zum Beispiel keinesfalls live singen lassen», erinnert sich Oliver Pocher. Er habe dagegen natürlich regelmäßig verstoßen. «Viva war damals das, was heute YouTube ist», sagt Pocher.
Unter anderem mit YouTube fing auch der Niedergang an. Im Internet entstand neue Konkurrenz, Musik wurde anders konsumiert. Auf Viva lief plötzlich sehr viel nervige Klingeltonwerbung. 2004 übernahm der amerikanische Medienriese Viacom, Eigner von MTV, Viva. Aus Konkurrenten wurden nun plötzlich Schwestern. Eine Vorzeige-Sendung wie «Interaktiv» wurde gestrichen. Der Sturz in die Bedeutungslosigkeit war irgendwann kaum noch aufzuhalten.
«Viva ist heute in etwa so, wie Harald Juhnke in den 90ern war. Der war auch eine ganz wichtige Figur für das deutsche Fernsehen, aber irgendwann wurde er nur noch belächelt», sagt Marcus S. Kleiner, Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der SRH Hochschule der populären Künste in Berlin. «Viva war irgendwann nur noch eine Lachnummer, von der man nicht wusste, ob es noch lebt.» Einen Platz in der Ahnengalerie habe der Sender dennoch verdient. «Viva ist deutsche Fernsehgeschichte, weil es das deutsche Fernsehen nachhaltig verändert hat, vor allem das Jugendfernsehen», sagt Kleiner.
Am letzten Tag, am 31. Dezember, will Viva noch mal auf seine größten Momente zurückblicken. Das erste je gezeigte Musikvideo etwa war «Zu geil für diese Welt» der Fantastischen Vier. Die Band hat sich bereits dafür ausgesprochen, genau mit diesem Lied auch zu enden. Auch das wäre ja durchaus eine Botschaft.