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Orchester spielt im Bahnhof. Foto: Hufner
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Den Impuls stärken

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Zum Förderprogramm „Exzellente Orchesterlandschaft“
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Überaus geräuscharm, ja fast wie ein scheues Reh, hat das Förderprogramm der Bundesregierung „Exzellente Orchesterlandschaft Deutschland“ Anfang Juli dieses Jahres die kulturelle und kulturpolitische Öffentlichkeit betreten. Die entsprechende, administrativ sachliche Pressemitteilung der Beauftragten für Kultur und Medien wurde nur wenige Male reproduziert: Das war‘s. Keinerlei einschlägige Trompetenstöße und Lobeshymnen, nirgends.

Was hier also nachgeholt sei. Denn dieses Programm ist, um im Bild zu bleiben, ein kapitaler Hirsch, stattlich und macht was her. Mit insgesamt 27 Millionen Euro auf vorerst fünf Jahre angelegt, was 5,4 Millionen Euro per annum macht, soll die „Deutsche Theater- und Orchesterlandschaft“, wie sie 2016 als Immaterielles Kulturerbe bei der UNESCO offiziell nominiert wurde, in ihrem musikalischen Teil zukunftsfähig gemacht werden. Und dieser Bundeszuschuss dürfte den Orchestern ebenso willkommen sein wie inhaltlich bedeutend werden angesichts von Gestaltungsräumen, die in der Hoheit der klamm gehaltenen und daher kulturell oft desinteressierten Städte und Länder immer kleiner werden. Bis zum 15. August konnten bei der BKM Anträge für das erste Förderjahr gestellt werden mit Volumina von 40.000 bis 450.000 Euro, bei einer möglichen Förderdauer von höchstens drei Jahren.

Doch warum die öffentliche Zurückhaltung? Das kann mit der Vorgeschichte zu tun haben, denn das Programm hatte im November letzten Jahres schon einmal begonnen. Damals verkündete unter anderem die Deutsche Orchestervereinigung, der Bundestag habe „einen starken Impuls für die Orchesterlandschaft in Deutschland“ beschlossen, indem er mit 900.000 Euro jährlich sechs Orchester fördere: die Philharmoniker in Konstanz, Jena und Stuttgart sowie die Symphoniker in Bochum, Hamburg und München. Aber das ging, bei allem Respekt für den großen Einsatz der Beteiligten, hier vor allem Rüdiger Kruse (MdB CDU, Hamburg), Berichterstatter für Kultur im Haushaltsausschuss, doch viel zu schnell. Beinahe hätte man, um letztmalig das Bild zu bemühen, einen Bock geschossen. Denn warum gerade diese sechs Orchester die gesamtstaatliche Relevanz repräsentieren sollten, eines der Hauptkriterien für Bundeszuschüsse in Sachen Kultur, blieb inhaltlich ebenso unbeantwortet, wie formale Fragen von Haushalts- beziehungsweise Verfassungs- und Verfahrensrecht – vor allem der Gleichheitsgrundsatz – unberücksichtigt.

Wo aber die Weisheit der einen aufhört, selbst die eines von der DOV beratenen Haushaltsausschusses, da fängt die der anderen an. Auf Nachfrage des Kulturausschusses in Person der Abgeordneten Ulle Schauws (Bündnis 90/Die Grünen, Krefeld) nach den Kriterien des Programms beziehungsweise den Grundlagen für die schnellen Förderzusagen, bekannte Staatsministerin Monika Grütters am 6. März dieses Jahres ihrerseits „Klärungsbedarf, und das, liest man zwischen den Zeilen der Bundestagsdrucksache, vollumfänglich. Was als Ansage nicht zu gering zu schätzen ist, bedenkt man die Interdependenzen der Bundeskultur inmitten von Haushältern und eigener Klientel.

Der Notbremsung durch die Exekutive folgte daher die programmatische Nachrüstung durch dieselbe, in Abstimmung mit den Beteiligten sowie den Ländern und Kommunen. Entscheidend dabei, auch wenn die ursprünglich benannten sechs Orchester sich wieder hinten anstellen müssen: Es herrscht nun ein echtes Antragsprinzip, bei dem alle öffentlich geförderten Orchester und ähnliche feste Ensembles in Deutschland (auch die Rundfunkorchester!) berechtigt sind, ihre Projekte einzureichen. Über diese wird eine unabhängige Jury beraten und der BKM zur Förderung vorschlagen. Diese formale Optimierung des Programms wurde dann auch durch weitere Kriterien vervollständigt, denn gefördert werden sollen Projekte, die sich 1. nachhaltig in kultureller Bildung und entsprechenden Netzwerken engagieren, 2. in ihren Regionen und sozialen Brennpunkten sowie 3. in europäischen Kooperationen; des weiteren sollen 4. die Digitalisierung in Kunst, Vermittlung und Marketing gefördert werden, 5. die interkulturelle Ausrichtung von Arbeit und Programm, 6. die Förderung von Frauen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie abschließend 7. neue Wege der Vermittlung von Neuer Musik.

Und hier könnten die quasi dezisionistischen Ursprünge des Programms sich nachteilig auf dasselbe auswirken. Weil allein haushaltsrechtlich Eile geboten ist und die Anträge gestellt, die Gelder bereits in der kommenden Saison 2017/18 verausgabt werden müssen, war die Zeit knapp, um bei der Projektfindung umfassender und tiefer über Orchestermusik und -landschaft nachdenken zu können. Zuschüsse zu Maßnahmen, die ebenso notwendig wie angesagt sind, aber, aus welchen Gründen auch immer, nicht umgesetzt werden können, begründen jedoch nicht unbedingt Exzellenz. Diese zu fördern, visiert ja Größeres an als die Betriebskostenzuschüsse für mittlerweile selbstverständliche (An-)Forderungen im Orchesterbetrieb. Vor allem hier möge die Weisheit der BKM in der Weisheit der Jury ihre Fortsetzung finden.

Denn es ist tatsächlich eine ebenso aktuelle wie grundsätzliche Frage, wie historischen Kulturtechniken wie der Orchestermusik beziehungsweise dem Konzert, die in den letzten 200 Jahren vielfältige Entwicklungen und vor allem in Deutschland komplexe Institutionalisierungen durchlaufen haben, eine lebendige Praxis zu sichern wäre unter gegenwärtigen Bedingungen, die jedoch dem Fortbestand dieser Kulturtechniken nachgerade entgegengesetzt sind: ob als gesellschaftliche, wirtschaftliche, mediale, demographische Bedingungen, ob in der Struktur- oder der Bildungspolitik. Vor schulischer Vermittlung, neuen Websites, digitaler Partizipation, der projektweisen Einstellung von Beauftragten für Interkulturelles und so fort liegt die Frage nach der Musik, ihrem historischen Bestand und seinen Verwandlungen bis heute. Der ureigenste Content findet sich von Haydn bis Haas, und das Live in Concert. Anderes machen alle anderen auch.

Mehr Lautstärke, also höhere inhaltliche Ansprüche und größere künstlerische Visionen wären dem Umfang wie der Bedeutung des Exzellenzprogramms nur angemessen. Und sie wären geschuldet dem Engagement aller Beteiligten sowie der Tatsache, dass es ein echtes Geschenk ist, welches die Orchester hier erhalten. Sie bekommen es ohne bare Eigenanteile, die sie in der Kürze der Zeit nicht hätten ausweisen können. Bleibt daher zu hoffen, dass die kommenden Förderrunden Zeit lassen und Raum geben, entsprechend weiter zu optimieren. Der Anfang ist gemacht, und wie notwendig dieses Vorhaben ist, mag man sich an der Entwicklung einer anderen his-torischen Musiklandschaft von Weltgeltung vergegenwärtigen: der Italiens. Jahrzehntelange wirtschaftliche wie inhaltliche Auszehrung ließen, vollends nach den Verwahrlosungen der Ära Berlusconis, von der phänomenalen flächendeckenden Exzellenz des Musiktheaters nur wenig übrig.

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