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Der Kampf ums Publikum hat begonnen

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Mit der Eröffnung der Philharmonie verschieben sich die Akzente im Pariser Musikleben
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„Hat die Musikstadt München eine Zukunft?“ fragte jüngst die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit Blick auf die (vorerst) gestoppten Planungen für einen neuen Konzertsaal. Steht die Zukunft an der Isar also noch in den Sternen, hat sie in Paris gerade begonnen. Mitte Januar wurde im Nordosten der Hauptstadt die neue Philharmonie eröffnet, architektonisch gewagt, akus-tisch ein Wunderwerk. Stararchitekt Jean Nouvel schuf ein zerklüftetes Gebilde, das wirkt, als hätten sich gigantische Stahlplatten nach einem Erdstoß ineinander verkeilt.

Als am 14. Januar die Philharmonie in Anwesenheit von Staatspräsident François Hollande eingeweiht wurde, mussten die Gäste allerdings den Weg vorbei an Baukränen und Absperrgittern nehmen, vorbei an Kabeln, die von der Decke hingen, und über Fußböden, die noch nicht komplett gefliest waren: Inauguration einer Baustelle sozusagen. Das wollte der Architekt nicht mitmachen und blieb demonstrativ der Eröffnung fern. Mittlerweile hat er sogar eine Klage gegen die Betreiber angestrengt.

Musikalisch hat die Zukunft von Paris als Musikstadt trotzdem begonnen – dank des großen Saals, der sich am „Weinberg-Modell“ orientiert und das Kunststück fertig bringt, großzügig und intim zugleich zu wirken. Die 2.400 Plätze sind auf verschiedenen Ebenen verteilt, wobei man nicht auf Symmetrie setzte, sondern die Balkone und Ränge leicht versetzt angeordnet hat. Geschwungene Linien bestimmen den Gesamteindruck, wozu auch die Akustiksegel beitragen, die wie dünne Wolken unter der Decke schweben. Sie sollen helfen, die Akus-tik wunschgemäß zu „modellieren“ – für ein Orchesterkonzert, ein Klavierrecital, einen Liederabend, aber auch für Rock- oder Jazzevents. Der Zuhörer soll von der Musik „umhüllt werden“, die Nachhallzeit liegt bei 2 bis 2,3 Sekunden. Erdacht wurde das Klang-Konzept von den Akustikern Harold Marshall und Yasuhisa Toyota.

Der Chronist konnte in einem Konzert mit dem West-Eastern-Divan-Orchestra unter Daniel Barenboim einen Eindruck von den superben klanglichen Eigenschaften des Saales gewinnen. Im „L’après-midi d’un faune“ von Debussy etwa wurde jede Nuance hörbar, selbst auf den Plätzen hinter dem Orchester. 380 Millionen Euro lassen sich Land, Region und Stadt Paris den Musentempel kosten, von gut 100 war man zu Beginn der Planungen ausgegangen. Das sorgt weiter für Streit, die Stadt Paris will die letzte Steigerungsrate nicht mitfinanzieren. Gerungen wurde auch um Inhalte. Intendant Laurent Bayle plante ursprünglich 270 sinfonische Konzerte pro Saison. Doch das Pariser Rathaus zwang ihn zur Kehrtwende. Die regierenden Sozialisten wollten keinen elitären Musentempel für die Bourgeoisie mittragen. Jetzt gibt es nur 150 Orchesterkonzerte, dafür mehr Jazz-, Rock- und Weltmusikevents, „musique pour tous“ eben. Dafür kann die Platzkapazität sogar auf rund 3.600 erhöht werden. Intendant Laurent Bayle strebt außerdem an, minder privilegierte Schichten zu gewinnen, vor allem dank eines ambitionierten musikpädagogischen Angebots für Kinder, Jugendliche und Familien. Ob dieser „Kultur-für-alle“-Ansatz Früchte trägt, wird von vielen bezweifelt.

Mit der neuen Philharmonie, Residenz des „Orchestre de Paris“ und der Barockspezialisten „Les Arts florissants“, verschieben sich die Akzente in der Pariser Musiklandschaft. Vor allem die Salle Pleyel, bisheriger Hauptspielort für Sinfonisches, muss sich neu erfinden. Der Staat kaufte sie 2009 an und unterstellte sie der Cité de la musique, zu der auch die neue Philharmonie zählt. Und da man keine Konkurrenz im eigenen Hause will, hat die Cité dem künftigen Pächter untersagt, klassische Konzerte zu veranstalten. Rivale der Philharmonie bleibt das ehrwürdige Théâtre des Champs-Elysées.  Dort vertraut man auf die Loyalität des bürgerlichen Publikums, dem die lange Anreise in den Osten der Stadt vielleicht schlicht zu beschwerlich ist.

Behaupten muss man sich auch gegen das neue Auditorium von Radio France. Das hat immerhin 1.400 Plätze, eine ebenfalls ausgezeichnete Akustik und zwei ständige Orches-ter zu bieten: das Orchestre National de France und das Orchestre Philharmonique de Radio France. Paris als Musikstadt, das wird auch ein Kampf ums Publikum.

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