Das Schicksal der Flüchtlinge: Das ist für Kunst und Theater auch ein Testfall. Wie nah dran sind die Kulturmacher an der deutschen Wirklichkeit? Und wie helfen sie? Im Hamburger Schauspielhaus etwa übernachten jeden Abend 30 bis 60 Menschen. Der Hauptbahnhof liegt dort vor der Haustür. Das Deutsche Theater in Berlin stellt als Notquartier Matratzen in der Garderobe der Schauspieler bereit. Die Mitarbeiter in der Maske bieten Haareschneiden an. Die Ankleider wollen eine Ladung Wäsche waschen.
Die Frankfurter Buchmesse (14. bis 18. Oktober) wird freien Eintritt für Flüchtlinge bieten. Theaterintendant Claus Peymann versteigert in der Hauptstadt am 26. September für den guten Zweck Kostüme und Requisiten aus dem Fundus. Sein Berliner Ensemble zeigt Flagge gegen Fremdenhass: «Wo Häuser brennen, brennen auch Menschen», steht auf der Fahne am Haus.
Beim Berliner Theater Hebbel am Ufer (HAU) heißt es zur Flüchtlingskrise, Sachspenden seien selbstverständlich. Auch Bühnen wie Kampnagel in Hamburg oder das Maxim Gorki Theater in Berlin engagieren sich. Sie verstehen sich ohnehin als sehr politisch. Am Gorki mit seiner Intendantin Shermin Langhoff geht es bereits seit 2013 um Flucht, Migration und Exil. Yael Ronens Stück «The Situation» handelt davon, wie sich Einwanderer in Deutschland fühlen.
Das Schauspiel Köln hat eine langfristige Patenschaft für zwei Flüchtlingsunterkünfte übernommen. Die Unterkünfte liegen im Stadtteil Mülheim, wo das Schauspiel sein Ausweichquartier hat, weil das Stammhaus saniert wird. Die Theater-Beschäftigten wollen die Flüchtlinge «bei der Ankunft in eine ihnen unbekannte Gesellschaft unterstützen». Als erste große Aktion ist ein Nachbarschaftsfest geplant.
Der Schauspieler Charly Hübner («Polizeiruf 110») erzählte in einem Interview, wie sein Alltag gerade aussieht: «Heute drehe ich in Halle «Timm Thaler», gestern war ich in Hamburg und habe Windeln für Flüchtlingsbabys besorgt.» Am Hamburger Schauspielhaus, wo Hübner engagiert ist, kümmerten sich alle gemeinsam um die Flüchtlinge. «Sie bekommen zu essen und einen Schlafplatz im Foyer. Am nächsten Morgen reisen sie weiter Richtung Norden», berichtete Hübner in der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.»
In Kunst und Literatur ist das Thema schon dagewesen, bevor es im deutschen Alltag ankam. Die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek kritisierte in «Die Schutzbefohlenen» die europäische Einwanderungspolitik. Regisseur Nicolas Stemann holte dazu 2014 am Hamburger Thalia Theater Flüchtlinge auf die Bühne.
Autorin Jenny Erpenbeck erzählt in «Gehen, ging, gegangen» eine Geschichte rund um die gestrandeten Menschen am Berliner Oranienplatz. Der Roman schaffte es in die Endauswahl beim Deutschen Buchpreis. Im deutschen Pavillon bei der Kunstbiennale in Venedig widmet sich Fotograf Tobias Zielony dem Schicksal afrikanischer Flüchtlinge.
Für die Kunst ist die Krise eine Möglichkeit, zu zeigen, wie nah sie am Leben dran ist - ein Praxis-Test. Das Nationaltheater Mannheim etwa entwickelt mit Flüchtlingen einen Theaterabend, bei dem die Betroffenen selbst zu Wort kommen. Die Flüchtlinge sollen auch gefördert werden, um sie in den Arbeitsmarkt zu bringen - beispielsweise durch Deutschkurse.
Das Dresdner Schauspielhaus engagiert sich seit den Pegida-Aufmärschen vor Monaten. Im Montagscafé lädt die «Bürgerbühne» dazu ein, gemeinsam Fahrräder für Flüchtlinge zu reparieren. Das Europäische Zentrum der Künste Dresden in Hellerau beherbergt seit April eine Flüchtlingsfamilie und legte einen interkulturellen Garten an, wo Feste und Veranstaltungen wie «Kitchen Talk» stattfinden. Dabei kochen Flüchtlinge und Künstler. «Über das Essen kommt man ja schnell ins Gespräch», sagte eine Sprecherin der Kultureinrichtung. Die ist zudem bereit, noch mehr Menschen aufzunehmen.