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Deutsche Jazz-Botschafter und die hohe Politik

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Die Marc Secara Group spielte in Teheran das erste Jazzkonzert seit zwei Jahrzehnten
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Erst vor wenigen Wochen besuchte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse Staatspräsident Khatami in Teheran. Sein Besuch war ein deutliches Zeichen für den Wunsch der Bundesregierung, die Beziehungen zu den liberalen Kräften im Iran trotz der Vorkommnisse um die Inhaftierung und Folterung von iranischen Teilnehmern einer Konferenez der Heinrich Böll-Stiftung in Berlin aufrecht zu erhalten. Wie groß der Wunsch nach Liberalisierung in der iranischen Gesellschaft und auch im dortigen kulturellen Leben ist, zeigt ein eindrücklicher, leicht gekürzter Reisebericht von Marc Secara, der mit seiner Band (Marc Secara, Gesang, Patrick Braun, Saxophon, Querflöte, Claus Dieter Bandorf, Piano, Ralph Graessler, Bass, Jens Dohle, Schlagzeug, Markus Fritzsch, Tonmeister) im Februar 2001 in der iranischen Hauptstadt Teheran gastierte.

Erst vor wenigen Wochen besuchte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse Staatspräsident Khatami in Teheran. Sein Besuch war ein deutliches Zeichen für den Wunsch der Bundesregierung, die Beziehungen zu den liberalen Kräften im Iran trotz der Vorkommnisse um die Inhaftierung und Folterung von iranischen Teilnehmern einer Konferenez der Heinrich Böll-Stiftung in Berlin aufrecht zu erhalten. Wie groß der Wunsch nach Liberalisierung in der iranischen Gesellschaft und auch im dortigen kulturellen Leben ist, zeigt ein eindrücklicher, leicht gekürzter Reisebericht von Marc Secara, der mit seiner Band (Marc Secara, Gesang, Patrick Braun, Saxophon, Querflöte, Claus Dieter Bandorf, Piano, Ralph Graessler, Bass, Jens Dohle, Schlagzeug, Markus Fritzsch, Tonmeister) im Februar 2001 in der iranischen Hauptstadt Teheran gastierte.Einmal im Jahr findet in Teheran das wichtigste musikalische Großereignis des Landes, dass sogenannte „Fadschr (Sieg-) Festival“ statt. Man feiert die Rückkehr des großen Revolutionärs Ajatollah Khomeini aus dem Exil vor 22 Jahren. Nachdem im vergangenen Jahr schon ein deutsches Stubenmusiktrio zu Gast war, sollte nun erstmals seit 1979 wieder eine Jazzformation im Land auftreten. Das war die Idee und das ehrgeizige Projekt der Kulturreferenten der Deutschen Botschaft in Teheran, Dietrich Bettermann und Patrick Heinz.

In enger Zusammenarbeit mit der Verbindungsstelle für Internationale Beziehungen des Deutschen Musikrats und des Auswärtigen Amtes wurden alle Weichen für ein Gelingen der Konzertreise gestellt.

Der Jazz und die Mullahs

Jazz, Pop und Rockmusik sind im Iran seit der Revolution verboten. Platten westlicher Gruppen gibt es nur auf dem Schwarzmarkt und Livekonzerte gibt es überhaupt nicht. Doch die Situation hat sich in den letzten Jahren geändert: durch Internet und Satellitenschüsseln kann heute jeder Iraner die Informationen bekommen, die er will. Der Druck der Öffentlichkeit wächst, und der Wunsch nach Lockerung der strengen Regeln und nach Öffnung Richtung Westen wird immer stärker. Insofern ist es doch eine kleine Revolution, dass eine Jazzband aus Europa auf Konzertreise im Iran sein darf. Zumal die gesungenen Texte in englischer Sprache sind.
Bevor die Marc Secara Group jedoch auf die Bühne durfte, standen noch Konzerte vor leitenden Mitarbeitern des Religions- und Kulturministeriums bevor. Das Risiko für die Veranstalter ist groß. So groß, erklärte uns ein Botschaftsangestellter, dass der Arbeitsplatz noch das Geringste ist, was der Betreffende im Falle eines Skandals verliert. Hier stehen hohe Gefängnisstrafen und Verbannung als Strafmaßnahmen an der Tagesordnung. Viele Menschen riskieren viel, um diese Konzerte zu ermöglichen.

Das Vorspiel fand in einem Nebensaal der Vahdat Halle in Teheran statt. Im Publikum saßen etwa fünfzehn Menschen aus verschiedenen Bereichen der Iranischen Kultur- und Religionsministerien. Auch Kamerateams filmten jede unserer Bewegungen. Verwundert stellten wir fest, dass die Verantwortlichen ständig mit ihren Handys telefonierten und sich sichtlich nicht wohl fühlten in ihrer Haut.

Wie uns erklärt wurde, wurde unser Vorspiel per Telefon zu ranghöheren Mitarbeitern und Mullahs „übertragen“. Auch die Fernsehaufnahmen dienten neben der Veröffentlichung dem Zweck, dem Kulturminister eine Dokumentation zukommen zu lassen.

Unser Konzert war lange vorher ausverkauft gewesen. Vor der Halle spielten sich tumultartige Szenen ab. Soldaten bewachten die Menschen- massen, die noch ein Ticket ergattern wollten. Kurz vor Beginn des Konzertes bekamen wir Besuch der Veranstalter und Zensoren. „You need to make exercise...“ lautete die Ansage eines Verantwortlichen. Es begann unangekündigt das zweite Probevorspiel in der Umkleidekabine. Hektisch wurden die englischen Liedtexte ins Persische übersetzt und den Verantwortlichen vorgelegt.

Nicht nur Küssen verboten

Nun waren auch wir beunruhigt, und die gesamte Szenerie strahlte eine unglaubliche Hektik und Nervosität aus. Nun fielen auch die Entscheidungen, die wir gefürchtet hatten: Kompositionen und Texte wurden uns verboten. Problematisch waren vor allem Texte die von Liebe und von Frauen handeln. Das Wort „kiss“ (Kuss) musste aus allen Texten entfernt und durch etwas Ähnliches ersetzt werden. Alles drohte nun zu kippen, und auch die Kulturreferenten der Deutschen Botschaft waren besorgt, dass in letzter Minute nun doch alle Mühen zunichte gemacht werden könnten.

Schlussendlich hatten wir die Genehmigung, wenn auch mit Einschränkungen, für unseren Auftritt erhalten. Im Anschluss an ein italienisches Folklorequintett betraten wir die Bühne. Was folgte, sind Szenen, die wir wohl alle niemals vergessen werden.
Die Menschen brachen nach jedem unserer Stücke in wahre Begeisterungsstürme aus und am Ende unseres Konzertes erhielten wir Standing Ovations der ganzen Halle. Die Medienpräsenz war unglaublich. Etliche Fernsehkameras und Reporterteams, die uns nach dem Konzert interviewen wollten. Die iranischen Verantwortlichen waren über den „skandallosen Verlauf“ sichtlich glücklich und erleichtert ebenso wie die Deutsche Botschaft und die Band.
Das zweite Konzert verlief ähnlich euphorisch. Ein Duett mit einem bekannten iranischen Sänger, der unbedingt „Strangers in the night“ singen wollte, erntete Jubelstürme. Jazz – in Deutschland eine fast vergessene Musikgattung – wird hier als Symbol von Freiheit und Öffnung nach Westen neu beurteilt.

Auch der politische Wert dieser Gastspielreise wird uns aus Sicht einiger Iraner erst völlig erschlossen. „Noch vor zwei Jahren wären diese Konzerte undenkbar gewesen... Alle die damit in Verbindung gebracht worden wären, wären im Gefängnis gelandet“, berichtete uns eine junge Frau. „Mit diesen Konzerten wurde eine Tür aufgestoßen, die sich nicht mehr schließen lässt...“, so ein Mann mittleren Alters.

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