Valeska Maria Müller: Sie arbeiten an der Schnittstelle zwischen Musik und KI. Wie sehen Sie die Zukunft dieser Verbindung? Wohin wird sich das Ganze entwickeln?
Ali Nikrang: Ich glaube, wir stehen an einem Wendepunkt. Nicht nur in Bezug auf Musik. Ich glaube, die kreative KI ist eine Technologie, die in Zukunft sehr viel verändern wird. Sie wird die Natur unserer kreativen Prozesse verändern. KI ist sozusagen eine Art Selbstbild von uns. Sie wird uns helfen, unseren kreativen Prozess besser zu verstehen, weil die KI den Blickwinkel auf das Wesentliche – die Generierung, die Kreation von neuen Ideen – lenkt.
Martina Jacobi: Sehen Sie KI dann auch als eine Art Hilfsmittel? Was kann eine KI, was ein Mensch nicht kann und was kann ein Mensch, was eine KI nicht kann?
Nikrang: Wenn wir an KI denken, denken wir an eine Art Imitation von menschlichen Prozessen. Das stimmt natürlich auch bis zu einem bestimmten Grad, allerdings geht es eher darum, dass die KI uns Möglichkeiten gibt, die wir vielleicht vorher nicht hatten. Wenn so ein System trainiert wird, reden wir von Millionen von Daten, die im Datensatz vorliegen. Und alle diese Daten werden am Ende des Trainings vom System repräsentiert und reflektiert sein. Man redet hier von einer Art Vector Space. Das ist eigentlich nichts anderes als eine Art multidimensionale Repräsentation von allem, was die KI während des Trainings gelernt hat. Wenn man dann zu so einem System Zugang hat, kann man sich in diesem Raum bewegen – natürlich imaginär gedacht – und kann dadurch ganz neue Ideen erforschen. Da sind Beziehungen, Abhängigkeiten zwischen den Daten, die wir als Menschen vielleicht gar nicht so wahrnehmen, beziehungsweise haben wir auch gar nicht den Überblick über all diese Daten.
Jacobi: Inwieweit sehen Sie die KI dann doch als Instrument, inwiefern macht die KI nicht selbst die Kunst, sondern steht immer noch ein Mensch dahinter?
Nikrang: Ich habe ein kleines Problem mit dem Begriff Instrument, weil Instrumente normalerweise Werkzeuge sind, die man sehr gut kontrolliert — ein Instrument wäre zum Beispiel ein Klavier. Es ist ein Werkzeug, das natürlich von einem professionellen Pianisten, oder einer Pianistin sehr gut gespielt werden kann. Man wird sozusagen am Ende eins mit dem Instrument. Die KI ist ein bisschen anders, weil die KI ein autonomes System ist. Die KI verfügt über einen Raum, selbst Entscheidungen zu treffen. Es ist ein Instrument, aber ein sehr autonomes Instrument, wenn wir das so wollen. Das heißt, man hat nicht die volle Kontrolle über die KI und das geht auch gar nicht. Wenn man ein kreatives System hat, dann kann man das System nicht vollständig steuern. Es hat mit der Definition von Kreativität zu tun, dass kreative Ideen eben nicht nur etwas Neues sind, sondern auch eine Art Überraschung haben müssen. Das heißt, je mehr man das Ergebnis von einem KI-System vorhersehen kann, desto weniger ist dieses System kreativ – man kann eine KI einfach nicht vollständig kontrollieren, wenn man will, dass diese KI kreativ ist. Man muss der KI den Freiraum geben, selbst Entscheidungen zu treffen. Und das ist, glaube ich, der Unterschied zwischen einem kreativen System und Instrumenten, weil Instrumente befolgen, was die Person, die diese Instrumente bedient, mit diesen bezwecken will – sie sind vollkommen steuerbar.
Müller: Wo liegen die größten Herausforderungen beim Einsatz von KI im musikalischen und kreativen Bereich?
Nikrang: Bevor ich die Frage beantworte: Was mich persönlich am meisten interessiert, ist gar nicht, dass man mit der KI Daten generiert, beziehungsweise diesen Raum erforscht. Vielmehr interessiert mich, wie die KI das macht. Denn das zeigt uns letztlich, wie unser Gehirn funktioniert. Man muss aufpassen mit Analogien zwischen dem menschlichen Gehirn und KI – nichtsdestotrotz gibt es Ähnlichkeiten zwischen beiden Systemen und das ist eben das Interessante. Wenn wir eine Maschine haben, die imstande ist, zum Beispiel Musik zu komponieren oder Texte zu schreiben, Beziehungen darzustellen und zu denken, dann ist es interessant zu beobachten, wie diese Maschine funktioniert, wie diese Beziehungen zusammenkommen. Das reflektiert einerseits, wie wir selbst denken, weil wir ja auch dazu fähig sind, Beziehungen zwischen verschiedenen Impulsen, Konzepten und Kategorien zu erschaffen und auf der anderen Seite zeigt es uns auch, wo die Grenzen unserer Kreativität liegen. Für mich geht es bei KI also nicht nur unbedingt darum, neue Daten zu generieren, sondern auch darum zu verstehen, worauf es eigentlich ankommt, wenn wir Texte, Gedanken, Ideen, Musik oder Kunst produzieren. Das zeigt uns, wo das Wesentliche und wo eben das Maschinelle oder das Berechenbare liegt.
Wenn es konkret um Musik geht, gibt es natürlich sehr viele Herausforderungen technischer Natur. Einerseits, weil wir bei der Musik noch nicht so weit sind wie Systeme, die im Bereich von Text- und Bild-Generierung arbeiten, da ist noch viel Luft nach oben. Auf der anderen Seite, wenn es darum geht, zusammen mit kreativen KI-Systemen Kunst zu schaffen, gibt es sehr viele Herausforderungen, weil wir es eben zum ersten Mal mit einem System zu tun haben, dass selbstständig Entscheidungen treffen, also autonom neue Daten generieren kann.
Aus der künstlerischen, musikalischen Sicht ist es nicht interessant, wenn die Maschine das alles autonom macht. Wir wollen ja mit der Maschine zusammen etwas kreieren, damit wir unsere eigenen Möglichkeiten erweitern und damit neue künstlerische Formate entstehen. Es geht ja nicht darum, dass man einen Knopf drückt und da kommt ein Ergebnis raus und das ist dann das Kunstwerk. Um Kunst zu schaffen, gehört eben mehr dazu, vor allem die menschliche Komponente. Die Herausforderungen liegen, glaube ich – abgesehen von der technischen Entwicklung, dass die KIs besser und besser werden –, in der Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Das heißt: Wie können Künstler*innen mit der Maschine arbeiten und mit dieser ihre künstlerischen Absichten kommunizieren?
Jacobi: Müssen sich Musikschaffende Sorgen um ihre Jobs machen?
Nikrang: Ich glaube, die Frage ist einfach zu beantworten. Wenn wir uns die Beziehung zwischen Technologie und Musik oder Technologie und Kunst in den letzten Jahrtausenden anschauen, war es immer so, dass die Technologie zu ganz neuen Formaten geführt hat. Die Sorge gab es immer. Als die erste Flöte mit den Tierknochen gebaut wurde, haben wahrscheinlich auch Leute, die gesungen haben, gesagt: Okay, jetzt sind wir weniger interessant, weil ja eine Maschine da ist, die dasselbe machen kann. Man weiß aber natürlich, dass jedes Instrument, jede Technologie, jede Idee und jedes Konzept zu völlig neuen Formaten führen kann.
Zuletzt natürlich auch das Grammophon und die Möglichkeit, dass man Musik überhaupt aufnimmt. Dieses Mal ist es natürlich ein bisschen anders. Wir haben es jetzt mit einem kreativen, autonomen System zu tun, das selbstständig neue Daten erzeugen kann. Das ist anders, aber ich glaube, man kann auch sagen, dass das jedes Mal anders ist. Technologien sollen ja zu Möglichkeiten führen, die vorher unvorstellbar waren. Das heißt, dass das Besondere bei neuen KI-Systemen etwas ist, das am Ende des Tages erfolgreich für die Kunst und Kunstschaffende sein kann.