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Auf dem Bild (v.li.): Julia Mintzer als Glück, Ego fluens; Eir Inderhaug als Reales Ich/Virtuelles Ich; Tania Lorenzo als Kind, Ego fluens; Simeon Esper als Zweifel, Ego fluens. Foto: Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Auf dem Bild (v.li.): Julia Mintzer als Glück, Ego fluens; Eir Inderhaug als Reales Ich/Virtuelles Ich; Tania Lorenzo als Kind, Ego fluens; Simeon Esper als Zweifel, Ego fluens. Foto: Semperoper Dresden/Ludwig Olah

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Die Grenzen unserer Kreativität

Untertitel
Ein Interview mit Ali Nikrang zum Thema KI und Komposition
Vorspann / Teaser

Ali Nikrang hat seit April 2023 eine halbe Professur für Künstliche Intelligenz und Musikalische Kreation an der Hochschule für Musik und Theater München (HMTM) inne. Er studierte Computer Science an der Johannes Kepler Universität in Linz und Komposition mit Schwerpunkt Neue Medien an der Universität Mozarteum in Salzburg, wo er auch ein Diplom in Klavierperformance erwarb. Seine Forschung befasst sich mit der Interaktion zwischen Mensch und KI-Systemen bei kreativen Aufgaben mit Schwerpunkt Musik. Dazu gehört die Untersuchung kreativer Beiträge von KI-Systemen und wie diese durch die Interaktion mit dem menschlichen Nutzer gelenkt, verbessert und personalisiert werden können. Im Interview für die nmz haben unsere Autorinnen Martina Jacobi und Valeska Maria Müller ihn gefragt, was für ihn „erfüllende“ Musik ist und wie er die Entwicklung von KI im Musikbereich sieht.

 

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Valeska Maria Müller: Sie arbeiten an der Schnittstelle zwischen Musik und KI. Wie sehen Sie die Zukunft dieser Verbindung? Wohin wird sich das Ganze entwickeln?

Ali Nikrang: Ich glaube, wir stehen an einem Wendepunkt. Nicht nur in Bezug auf Musik. Ich glaube, die kreative KI ist eine Technologie, die in Zukunft sehr viel verändern wird. Sie wird die Natur unserer kreativen Prozesse verändern. KI ist sozusagen eine Art Selbstbild von uns. Sie wird uns helfen, unseren kreativen Prozess besser zu verstehen, weil die KI den Blickwinkel auf das Wesentliche – die Generierung, die Kreation von neuen Ideen – lenkt.

Martina Jacobi: Sehen Sie KI dann auch als eine Art Hilfsmittel? Was kann eine KI, was ein Mensch nicht kann und was kann ein Mensch, was eine KI nicht kann?

Nikrang: Wenn wir an KI denken, denken wir an eine Art Imitation von menschlichen Prozessen. Das stimmt natürlich auch bis zu einem bestimmten Grad, allerdings geht es eher darum, dass die KI uns Möglichkeiten gibt, die wir vielleicht vorher nicht hatten. Wenn so ein System trainiert wird, reden wir von Millionen von Daten, die im Datensatz vorliegen. Und alle diese Daten werden am Ende des Trainings vom System repräsentiert und reflektiert sein. Man redet hier von einer Art Vector Space. Das ist eigentlich nichts anderes als eine Art multidimensionale Repräsentation von allem, was die KI während des Trainings gelernt hat. Wenn man dann zu so einem System Zugang hat, kann man sich in diesem Raum bewegen – natürlich imaginär gedacht – und kann dadurch ganz neue Ideen erforschen. Da sind Beziehungen, Abhängigkeiten zwischen den Daten, die wir als Menschen vielleicht gar nicht so wahrnehmen, beziehungsweise haben wir auch gar nicht den Überblick über all diese Daten.

Jacobi: Inwieweit sehen Sie die KI dann doch als Instrument, inwiefern macht die KI nicht selbst die Kunst, sondern steht immer noch ein Mensch dahinter?

Nikrang: Ich habe ein kleines Problem mit dem Begriff Instrument, weil Instrumente normalerweise Werkzeuge sind, die man sehr gut kontrolliert — ein Instrument wäre zum Beispiel ein Klavier. Es ist ein Werkzeug, das natürlich von einem professionellen Pianisten, oder einer Pianistin sehr gut gespielt werden kann. Man wird sozusagen am Ende eins mit dem Instrument. Die KI ist ein bisschen anders, weil die KI ein autonomes System ist. Die KI verfügt über einen Raum, selbst Entscheidungen zu treffen. Es ist ein Instrument, aber ein sehr autonomes Instrument, wenn wir das so wollen. Das heißt, man hat nicht die volle Kontrolle über die KI und das geht auch gar nicht. Wenn man ein kreatives System hat, dann kann man das System nicht vollständig steuern. Es hat mit der Definition von Kreativität zu tun, dass kreative Ideen eben nicht nur etwas Neues sind, sondern auch eine Art Überraschung haben müssen. Das heißt, je mehr man das Ergebnis von einem KI-System vorhersehen kann, desto weniger ist dieses System kreativ – man kann eine KI einfach nicht vollständig kontrollieren, wenn man will, dass diese KI kreativ ist. Man muss der KI den Freiraum geben, selbst Entscheidungen zu treffen. Und das ist, glaube ich, der Unterschied zwischen einem kreativen System und Instrumenten, weil Instrumente befolgen, was die Person, die diese Instrumente bedient, mit diesen bezwecken will – sie sind vollkommen steuerbar.

Müller: Wo liegen die größten Herausforderungen beim Einsatz von KI im musikalischen und kreativen Bereich?

Nikrang: Bevor ich die Frage beantworte: Was mich persönlich am meis­ten interessiert, ist gar nicht, dass man mit der KI Daten generiert, beziehungsweise diesen Raum erforscht. Vielmehr interessiert mich, wie die KI das macht. Denn das zeigt uns letztlich, wie unser Gehirn funktioniert. Man muss aufpassen mit Analogien zwischen dem menschlichen Gehirn und KI – nichtsdestotrotz gibt es Ähnlichkeiten zwischen beiden Systemen und das ist eben das Interessante. Wenn wir eine Maschine haben, die imstande ist, zum Beispiel Musik zu komponieren oder Texte zu schreiben, Beziehungen darzustellen und zu denken, dann ist es interessant zu be­obachten, wie diese Maschine funktioniert, wie diese Beziehungen zusammenkommen. Das reflektiert einerseits, wie wir selbst denken, weil wir ja auch dazu fähig sind, Beziehungen zwischen verschiedenen Impulsen, Konzepten und Kategorien zu erschaffen und auf der anderen Seite  zeigt es uns auch, wo die Grenzen unserer Kreativität liegen. Für mich geht es bei KI also nicht nur unbedingt darum, neue Daten zu generieren, sondern auch darum zu verstehen, worauf es eigentlich ankommt, wenn wir Texte, Gedanken, Ideen, Musik oder Kunst produzieren. Das zeigt uns, wo das Wesentliche und wo eben das Maschinelle oder das Berechenbare liegt.

Wenn es konkret um Musik geht, gibt es natürlich sehr viele Herausforderungen technischer Natur. Einerseits, weil wir bei der Musik noch nicht so weit sind wie Systeme, die im Bereich von Text- und Bild-Generierung arbeiten, da ist noch viel Luft nach oben. Auf der anderen Seite, wenn es darum geht, zusammen mit kreativen KI-Systemen Kunst zu schaffen, gibt es sehr viele Herausforderungen, weil wir es eben zum ersten Mal mit einem System zu tun haben, dass selbstständig Entscheidungen treffen, also autonom neue Daten generieren kann.

Aus der künstlerischen, musikalischen Sicht ist es nicht interessant, wenn die Maschine das alles autonom macht. Wir wollen ja mit der Maschine zusammen etwas kreieren, damit wir unsere eigenen Möglichkeiten erweitern und damit neue künstlerische Formate entstehen. Es geht ja nicht darum, dass man einen Knopf drückt und da kommt ein Ergebnis raus und das ist dann das Kunstwerk. Um Kunst zu schaffen, gehört eben mehr dazu, vor allem die menschliche Komponente. Die Herausforderungen liegen, glaube ich – abgesehen von der technischen Entwicklung, dass die KIs besser und besser werden –, in der Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Das heißt: Wie können Künstler*innen mit der Maschine arbeiten und mit dieser ihre künstlerischen Absichten kommunizieren?

Jacobi: Müssen sich Musikschaffende Sorgen um ihre Jobs machen?

Nikrang: Ich glaube, die Frage ist einfach zu beantworten. Wenn wir uns die Beziehung zwischen Technologie und Musik oder Technologie und Kunst in den letzten Jahrtausenden anschauen, war es immer so, dass die Technologie zu ganz neuen Formaten geführt hat. Die Sorge gab es immer. Als die erste Flöte mit den Tierknochen gebaut wurde, haben wahrscheinlich auch Leute, die gesungen haben, gesagt: Okay, jetzt sind wir weniger interessant, weil ja eine Maschine da ist, die dasselbe machen kann. Man weiß aber natürlich, dass jedes Instrument, jede Technologie, jede Idee und jedes Konzept zu völlig neuen Formaten führen kann.

Zuletzt natürlich auch das Grammophon und die Möglichkeit, dass man Musik überhaupt aufnimmt. Dieses Mal ist es natürlich ein bisschen anders. Wir haben es jetzt mit einem kreativen, autonomen System zu tun, das selbstständig neue Daten erzeugen kann. Das ist anders, aber ich glaube, man kann auch sagen, dass das jedes Mal anders ist. Technologien sollen ja zu Möglichkeiten führen, die vorher unvorstellbar waren. Das heißt, dass das Besondere bei neuen KI-Systemen etwas ist, das am Ende des Tages erfolgreich für die Kunst und Kunstschaffende sein kann.

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Ali Nikrang. Foto: Robert Bauernhansl

Ali Nikrang. Foto: Robert Bauernhansl

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Müller: Auf der Webseite der hmtm werden Sie mit dem Satz zitiert: „Musik ist mehr als nur Töne“. Was meinen Sie damit genau? Wie definieren Sie gute oder erfüllende Musik?

Nikrang: Was ich hier meine, ist, wo eigentlich das Wesentliche liegt. Bei jeder Art von Kunst haben wir einmal das Äußerliche – das sind Daten: Man sieht ein Bild und das Bild besteht aus Pixeln oder physikalischen Elementen. Bei Texten hat man Wörter. In der Musik haben wir Noten, beziehungsweise Audiodaten – das ist das Äußerliche dieser Form. Und es gibt technologisch gesehen keinen Grund, warum die KI nicht einmal imstande sein sollte, diese Daten perfekt zu imitieren, weil das im Endeffekt nur Daten sind, die eben das Äußerliche darstellen, wie ein Kunstwerk präsentiert wird. Was ich damit sagen will: Musik, Kunst oder gar die ganze menschliche Kommunikation ist mehr als nur Daten. Es gibt immer einen sozialen Kontext, es gibt immer eine Art Kommunikation zwischen den Menschen. Und das ist etwas, was die KI oder eine Maschine nicht kann, weil die KI nicht Teil von unserem sozialen System ist. So gut die KI das auch imitieren kann: Im Endeffekt geht es darum, wie Menschen in einem bestimmten sozialen Kontext miteinander kommunizieren und wie die Sachen wahrgenommen werden. Das ist auch das, was wir uns als Künstler und Künstlerinnen immer vor Augen halten sollten, dass, wenn es darum geht, in künstlerischer Hinsicht etwas mit KI zu komponieren beziehungsweise mit KI etwas zu generieren, es im Endeffekt trotzdem darum geht, etwas mit der Gesellschaft, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Unsere Rolle ist, zu wissen, wie wir so ein System benutzen, um etwas zu schaffen, das eben dann ein Teil der Gesellschaft sein wird.

Jacobi: Beim „Mahler Unfinished Project“ haben Sie gemeinsam mit einer KI Mahlers 10. Sinfonie fertig komponiert. War es einfacher, sich auf eine bereits in Teilen existierende Komposition zu beziehen als ein Stück mit KI komplett neu zu schreiben und falls ja, warum? Und was hat sich seither verändert und wie schnell entwickelt sich die KI?

Nikrang: Ich glaube, das Projekt ist ein gutes Beispiel dafür, wie man in einem sozialen Kontext etwas kommuniziert. 2019 war eine Zeit, in der MuseNet von OpenAI veröffentlicht wurde. Und das war für mich das erste Mal, dass KI imstande war, Musik so zu komponieren, dass sie natürlich klingt, anspruchsvoll ist und eine gewisse Qualität hat. Das war für mich ein richtiger Durchbruch. Wir wollten bei dem Ars Electronica Festival mit einem Beispiel zeigen, welches Zeitalter jetzt angefangen hat und dass es nun möglich ist, dass die KI wirklich eine Art Musik komponiert, die imstande ist, emotionale Gefühle in uns zu triggern. Das ist sozusagen der Hintergrund des Projekts. Es ging eigentlich also überhaupt nicht darum, zu zeigen, dass die KI eine Mahler Sinfonie weiter komponieren kann, sondern mehr um die große Botschaft, dass es eben jetzt möglich ist, mit KI zu komponieren.

Viele der damals interessanten neuen Entwicklungen wirken heutzutage natürlich als normal, aber sie waren 2019 ein wichtiger Fortschritt. Bei Kunstwerken geht es immer darum, in welchen Kontexten sie entstanden sind. Ich würde das Mahler Projekt nicht einmal als ein musikalisches Kunstwerk bezeichnen. Es war eher eine technische Demo und ein technologisches, künstlerisches Konzept, um zu zeigen, was jetzt möglich ist und was die Maschine machen kann. Man muss bedenken, dass man zur damaligen Zeit immer noch nicht so wirklich überzeugt war, dass eine Maschine überhaupt etwas mit der Kunst und mit der Kreativität zu tun haben kann.

Heutzutage ist es einfacher, weil wir sehr gute Beispiele dafür haben, dass etwas Kreatives von einer Maschine kommen kann. Damals war alles sehr provokativ. Das Projekt war ebenfalls sehr provokativ. Gerade mit Gustav Mahler haben wir einen sehr emotionalen Komponisten und die 10. Sinfonie mit einem für tonale Musik sehr ungewöhnlichen Thema gewählt. Und das war für uns natürlich auch eine Herausforderung, weil wir wissen wollten, was die Maschine damit machen kann und wird. Die KI wird natürlich mit sehr vielen Daten trainiert und das, was eher üblich ist, wird besser gelernt – denn im Endeffekt handelt es sich um statistische Maschinen. Dennoch war es sehr überraschend, wie das System mit dem ungewöhnlichen Thema der Sinfonie umgehen konnte.

Müller: Sie haben jetzt die Professur für Künstliche Intelligenz und Musikalische Kreation an der Hochschule für Musik und Theater München angenommen. Was hat Sie motiviert, diese Professur anzunehmen und welche Aufgaben werden auf Sie in Zukunft zukommen?

Nikrang: Ich habe mich tatsächlich lange mit KI und Musik beschäftigt, verschiedene technische Systeme ausprobiert und gleichzeitig auf der anderen Seite versucht, Technologien und KI-Systeme zu entwickeln, die bessere musikalische Ergebnisse hervorbringen. Was aber ganz wichtig ist, jedoch oft benachteiligt wird, ist, dass es nicht um die technologische Entwicklung alleine geht, sondern dass man verschiedene Communities einbindet und dass man künstlerisch hinterfragt, was man mit der KI machen kann, was die KI uns geben kann, was wir sonst nicht haben und wie die Entwicklung weitergehen soll. Ich glaube, gerade Akademien, Universitäten oder Hochschulen sind genau die richtigen Orte, um solche Fragen zu stellen und mit den Studierenden und Kolleg*innen sowie anderen Kulturschaffenden gemeinsam diese Fragen zu beantworten und zu diskutieren.

Das heißt, für mich gibt es zwei verschiedene Bereiche, die ich allgemein als sehr wichtig erachte: einmal die technologische Entwicklung und einmal die Frage, wie wir diese Technologie sinnvoll einsetzen können. Dabei ist ebenfalls wichtig, wie wir es schaffen, dass die Technologien nicht nur bei den großen Tech-Playern weiterentwickelt werden. Wenn wir jetzt als Künstler und Künstlerinnen die Kunst weiterentwickeln wollen und schauen wollen, dass die KI etwas Nützliches mit der Kunst macht, dann dürfen wir nicht vergangenheitsorientiert denken, beziehungsweise warten, bis etwas auf dem Markt ist und dann schauen, was wir damit machen, sondern wir müssen Teil von dieser Entwicklung sein. Und ich glaube, die Arbeit an einer Musikhochschule gibt mir die Möglichkeit, diese Fragen in großer Runde zu diskutieren.

  • Martina Jacobi und Valeska Maria Müller sind Stipendiatinnen der nmzAkademie für Musikjournalismus

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