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Margot Wallscheid. Foto: Johannes Radsack
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Die Infrastruktur des Musiklebens abbilden

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Das Musikinformationszentrum (MIZ) wird zehn Jahre alt: die Projektleiterin Margot Wallscheid im nmz-Gespräch
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Das Deutsche Musikinformationszentrum, kurz MIZ, wird zehn Jahre alt. Inzwischen ist dieses Projekt der gemeinnützigen Musikrats-GmbH aus dem deutschen Musikleben nicht mehr wegzudenken. Grund genug für die nmz, mit der Projektleiterin Margot Wallscheid, die das MIZ von den Anfängen bis heute betreut, über Vergangenes und Zukünftiges zu sprechen. Das Interview führte Barbara Haack.

neue musikzeitung: Das MIZ gibt es jetzt seit zehn Jahren. Mit welchem Impetus, welcher Aufgabenstellung ist es damals gegründet worden?
Margot Wallscheid: Gegründet wurde das MIZ vom Deutschen Musikrat, der mit diesem Projekt seiner Aufgabe, auf breiter Basis über das Musikleben zu informieren, gerecht werden wollte. Er hat damit unter anderem auch auf Empfehlungen und Forderungen reagiert, die es bereits seit den 70er-Jahren von verschiedenen Seiten, sowohl aus dem Musikleben selbst als auch von Fachverbänden und aus der Kulturforschung gab. Zu dieser Zeit gab es ja bereits den Musik-Almanach, der in der Öffentlichkeit eine sehr positive Resonanz hatte, der allerdings als gedrucktes Buch an seine Grenzen gestoßen war. Den vielfältigen Anliegen, mit denen sich Profis und Laien bereits damals an den Musikrat wandten, konnte eine solche Publikation natürlich nur bedingt gerecht werden. Hinzu kam, dass es im internationalen Bereich eine ganze Reihe von Musikinformationszentren gab, die erfolgreich über das Musikleben ihres Landes informierten. Das Fehlen einer solchen Einrichtung in Deutschland, in einem Land mit großer Musiktradition und einer überaus lebendigen aktuellen Musikszene, wurde auch international als Defizit empfunden. 

nmz: Welches waren die ersten Aufgaben?
Wallscheid: Von vorneherein war klar, dass das MIZ als eine Art Netzwerk fungieren sollte – nur so konnte der Anspruch, die gesamte Breite des Musiklebens in den Blick zu nehmen, eingelöst werden. In einem ersten Schritt wurde der Musik-Almanach für eine Online-Ausgabe vorbereitet und die Kommunikation mit Musikarchiven, Verbänden und Institutionen aufgenommen. Parallel dazu erfolgte der Aufbau unserer Bibliothek, die von Beginn an öffentlich zugänglich war und auch heute noch ein wichtiges Rechercheinstrument für die Mitarbeiter des MIZ ist. Es kamen dann in jedem Jahr neue Angebote hinzu.

nmz: Wie haben sich die Aufgabenstellungen und Ziele im Lauf der zehn Jahre verändert, entwickelt oder erweitert?
Wallscheid: Wir hatten von Anfang an eine sehr anspruchsvolle Aufgabenstellung. Darüberhinaus war die Herausforderung, vor der wir standen, das Musikleben in seinen Strukturen und Entwicklungen zu dokumentieren, dieses Wissen aufzubereiten, zu präsentieren und zu vermitteln, und eine Vielfalt an praktischen Informationen für die individuelle Beratung bereitzuhalten. Wir haben darauf einerseits mit den großen Querschnittsdarstellungen wie dem Musik-Almanach, den Themenportalen oder dem musikstatistischen Datenprogramm des MIZ reagiert. Gleichzeitig bieten wir vertiefende Informationen in Themenfeldern mit einem besonderen Informationsbedarf an, zum Beispiel im Bereich der musikalischen Fort- und Weiterbildung oder auch der zeitgenössischen Musikszene. Mit solchen vertiefenden Angeboten und mit gezielten Erweiterungen reagieren wir auch auf inhaltliche und strukturelle Veränderungen des Musiklebens. 

nmz: Das MIZ ist ein Bereich der gemeinnützigen Projekt GmbH des Deutschen Musikrats. Inwieweit sehen Sie Ihre Aufgaben auch in einer internen Vernetzungsfunktion zwischen den Projekten, zwischen GmbH und Verein und möglicherweise zwischen den einzelnen Mitgliedern des Vereins?
Wallscheid: Wir nutzen die Infrastruktur des Musikrats für unsere gesamte Arbeit und stehen in engem Kontakt mit den Fachorganisationen, aber natürlich auch mit den Projekten im eigenen Haus. Sowohl die Fachverbände und die Landesmusikräte als auch die Projekte vermitteln uns ihre Informationen und beraten uns bei speziellen Fragen. Umgekehrt spiegeln wir die Ergebnisse unserer Arbeit natürlich auch wieder zurück und werten unsere Informationspools gezielt für Fragestellungen innerhalb des DMR aus. Darüber hinaus vertrete ich das MIZ in der Redaktion unserer Zeitschrift Musikforum, in der der aktuelle musikpolitische Diskurs seinen Ort hat. Hier findet ein ausgesprochen fruchtbarer und produktiver Austausch statt, der die politischen Themen, die der DMR bearbeitet, mit den Informationen des MIZ verschränkt.

nmz: Wie viele Institutionen und Fortbildungen werden denn im MIZ abgebildet?
Wallscheid: Das ist eine ganz spannende Frage, weil diese quantitativen Größenordnungen ganz unmittelbar mit qualitativen Veränderungen des Musiklebens zusammenhängen. Wir haben zum Beispiel in unserer Institutionendatenbank mit über 10.000 Einrichtungen und Initiativen die Infrastruktur des Musiklebens abgebildet. Und wir stellen fest, dass sich diese Infrastruktur in den letzten Jahren gravierend verändert hat. Es gibt eine unglaubliche Zunahme an Projekten, an Wettbewerben, an Festivals, an kleinen Initiativen, sowohl im gemeinnützigen als auch im privatwirtschaftlichen Bereich, während die klassischen Institutionen eher unter Druck stehen und zum Teil um ihre Existenz kämpfen. Die Orchesterlandschaft zum Beispiel hat sich seit der Wende durch Orchesterauflösungen, Fusionen und Privatisierungen massiv verändert, und dies nicht nur im Osten Deutschlands, wo es nach der Vereinigung zu einer Anpassungs- und Konsolidierungswelle kam. Von den damals insgesamt 168 Orchestern gibt es heute noch 133, allein in den letzten zehn Jahren wurden 1.000 Planstellen abgebaut. Gleichzeitig boomen Musikfeste und Festivals mit den unterschiedlichsten Konzepten, Organisationsformen und Finanzierungsmodellen. Ähnliche Entwicklungen gibt es auch im Bildungsbereich, wo in den letzten Jahren Projekte in unglaublicher Vielfalt – oft in Zusammenarbeit mit Orchestern – entstanden sind, während der normale Musikunterricht nach wie vor große Probleme hat, Unterricht weiterhin ausfällt und zum Teil nicht einmal mehr die Ensemblearbeit an den Schulen gesichert ist. Auch in anderen Bereichen lassen sich entsprechende Entwicklungen nachzeichnen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Projekte und Initiativen auch langfristig und in der Breite ihre Wirksamkeit entfalten und dass sie produktiv auf die Institutionen zurückwirken. 

nmz: Das MIZ bietet verschiedene Datenbanken mit Infos zu Institutionen, Fortbildungen, Komponisten et cetera. Darüber hinaus betreiben Sie seit einer ganzen Weile auch ein Nachrichtenportal. Wie positionieren Sie sich gerade in diesem Bereich zu privaten Anbietern, die ja Gleiches oder Ähnliches betreiben – ohne öffentliche Subventionen?
Wallscheid: Das Nachrichtenportal ist ein vergleichsweise kleiner Teil unserer Arbeit. Wir bekommen diese Nachrichten von den Fachverbänden und Institutionen des Musiklebens. Wir akquirieren nicht aktiv, wir formulieren auch keine eigenen News. Im Übrigen ist dies eine Arbeit, die der Musikrat immer schon beispielsweise in seiner Zeitschrift Musikforum geleistet hat. Natürlich hat er die Nachrichten, als es noch kein Internet gab, nicht tagesaktuell veröffentlicht. Auf der anderen Seite glauben wir, dass ein solcher Dienst auch zu einer Einrichtung, die sich Deutsches Musikinformationszentrum nennt, gehört. Wenn man das Musikleben und die musikpolitische Diskussion ein Stück weit abbildet, dann gehört auch die Tagespolitik dazu. Wir haben aber nicht den Anspruch, den großen Portalen, die es dazu gibt, Konkurrenz zu machen.

nmz: Wie steht es mit der Finanzierung?
Wallscheid: Wir haben eine öffentliche Finanzierung, an der alle politischen Ebenen beteiligt sind: der Bund über den BKM, daneben die Kulturstiftung der Länder und die Stadt Bonn als die Kommune, in der das MIZ seinen Sitz hat. Darüber hinaus fördern uns die GEMA und die GVL, ohne deren Unterstützung der Betrieb des MIZ nicht möglich wäre. Zum Aufbau neuer Angebote haben in der Aufbauphase des MIZ außerdem das Land Nordrhein-Westfalen und die Deutsche Bank Stiftung ganz wesentlich beigetragen.

nmz: Welches ist das Interesse der Geldgeber, die sich kontinuierlich engagieren?
Wallscheid: Das ist ein kulturpoliti-sches Interesse. Wir haben in Deutschland ein Musikleben in einer Komplexität, Dichte und Vielfalt, wie Sie das in kaum einem anderen Land der Welt finden. Ein Musikleben mit einer großen Tradition und einer überaus lebendigen aktuellen Musikszene, in der sich unterschiedlichste Stilrichtungen und Musikkulturen entfalten. Musik ist damit ein zentraler Bestandteil des kulturellen Selbstverständnisses unserer Gesellschaft, ganz abgesehen von den Funktionen, die sie für den Einzelnen erfüllt. Dieses Musikleben zu dokumentieren, Strukturen und Entwicklungen transparent zu machen, Orientierung zu vermitteln: Das ist eine Aufgabe, die auch im öffentlichen Interesse liegt. Das wird auch von den privaten Förderern so gesehen.

nmz: Inwieweit kooperieren Sie mit den Musikinformationszentren anderer Länder?
Wallscheid: Es gibt einen regelmäßigen Austausch unter dem Dach der Internationalen Vereinigung der Musikinformationszentren, in der mittlerweile 40 Zentren aus allen Teilen der Welt zusammengeschlossen sind. Wir sind in Deutschland eines der jüngsten Zentren. Da gibt es einen sehr intensiven Austausch, man informiert sich gegenseitig – in einer sehr offenen, freundschaftlichen und konstruktiven Kommunikation.

nmz: Welches sind die Aufgaben, welches die Herausforderungen der Zukunft? Wie sieht das MIZ in zehn Jahren aus?
Wallscheid: Ich würde mir wünschen, dass wir stärker in den Bereich der eigentlichen Musikvermittlung einsteigen können. Das Internet mit seinen multimedialen Möglichkeiten bietet die Chance, der Komplexität von Musik auf ganz neue Weise gerecht zu werden und neue Vermittlungswege zu erschließen. Zudem ist es ein im doppelten Sinn junges Medium, das Kinder und Jugendliche, aber auch die ältere Generation zunehmend in seinen Bann zieht. Ich glaube, dass die Chancen, über das Internet an Musik heranzuführen, auch Neugier zu wecken und für Musik zu begeistern, noch nicht annähernd genutzt sind.
In einem solchen Projekt würde sich auch die Vernetzung mit der Musikpraxis, mit Schulen und anderen Institutionen, geradezu anbieten. Hier sehe ich eine spannende Zukunftsaufgabe, und ich würde mich freuen, wenn wir in diese Richtung weiterarbeiten könnten.

Zur Person

Margot Wallscheid studierte Musikwissenschaft, Musikpädagogik, Germanistik und Erziehungswissenschaft. Schon früh – während des Studiums – arbeitete sie beim Musikrat, unter anderem als Leiterin der Almanach-Redaktion sowie in der Arbeitsgemeinschaft für Musikerziehung und Musikpflege und in verschiedenen Fachkommissionen des DMR. Mit der Gründung des Deutschen Musikinformationszentrums im Jahr 1998 stieg sie mit ihrer Haupttätigkeit in diesen Bereich ein und ist bis heute dessen Projektleiterin.

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