Der zweite Beitrag der nmz-Folge rund um das neue Konzerthaus Essen beschäftigt sich mit der Rolle eines Konzerthauses im gesellschaftlichen Umfeld. Michael Kaufmann ist Intendant des Konzerthauses, das sich zur Zeit im Bau befindet und im Juni 2004 eröffnet wird. In der Themendiskussion zwischen ihm und der nmz spielte das Thema „Konzerthaus als öffentlicher Raum“ eine wichtige Rolle.
Der zweite Beitrag der nmz-Folge rund um das neue Konzerthaus Essen beschäftigt sich mit der Rolle eines Konzerthauses im gesellschaftlichen Umfeld. Michael Kaufmann ist Intendant des Konzerthauses, das sich zur Zeit im Bau befindet und im Juni 2004 eröffnet wird. In der Themendiskussion zwischen ihm und der nmz spielte das Thema „Konzerthaus als öffentlicher Raum“ eine wichtige Rolle. Kunst im öffentlichen Raum. Kultur im öffentlichen Raum. Musik und Ausstellungen im öffentlichen Raum. Ein Konzerthaus, eine Philharmonie als öffentlicher Raum? Ich bemühe zwei der bedeutenden Suchmaschinen im Internet und stelle die Suchanfrage: „Konzerthaus als/und/im öffentlichen Raum“ und bekomme die Antwort, dass es auf diese Anfrage leider keine Antwort gibt. Macht nichts, denke ich, und versuche die gleiche Kombination mit dem Begriff „Philharmonie“. Das müsste den Durchbruch bringen und wäre mir auch sympathischer, weil in Essen ganz bewusst eine Philharmonie, ein Ort der Freunde und der Übereinstimmung (so könnten die Griechen das Wort gemeint haben), entstehen soll. Aber auch da suche ich vergeblich und bin wohl auf ein Feld geraten, das bislang keine Neugier bei den Menschen hervorgerufen hat.Auch wenn die allgemeine Beschäftigung mit diesem Thema bisher offenbar keine große Rolle spielt, so ist nicht von der Hand zu weisen, dass Philharmonien und Konzerthäuser ganz eindeutig öffentliche Räume sind. Sind sie vergessen worden, weil die Schließzeiten die Öffnungszeiten überbieten? Sind sie nicht berücksichtigt, weil gemessen an den anderen Aktivitäten in einer Stadt die „philharmonischen“ einen zu geringen Anteil einnehmen? Sind sie übergangen, weil in diesen Häusern nur Minderheiten einer Stadt oder Region bedient werden?
Der Mangel an Auseinandersetzung könnte ein Spiegel eines gestörten Selbstbewusstseins vieler Kulturmanager sein. Die „Internetlosigkeit“ des Themas zeigt, dass wir Konzerthaus- und Philharmonie-Menschen nicht wirklich in die richtige Richtung diskutiert oder diese Diskussion nicht mit dem richtigen Nachdruck geführt haben.
Damit ist nicht gemeint, dass innerhalb der kommunalen Diskussionen die jeweiligen Intendanten und Institut-Chefs mit falscher Bescheidenheit über die Höhe ihrer jeweiligen Subventionen oder die problematische Konkurenz-Situation in der Freizeit-Branche diskutieren würden. Damit ist vielmehr gemeint, dass Politiker, Interessensvertreter und Kritiker den Kulturschaffenden gegenüber häufig unwidersprochen ins Feld führen, dass andere Freizeitaktivitäten bei häufig weniger öffentlichem Invest eine bessere „Rendite“, also höhere Akzeptanz, nach sich ziehen würden (und folglich wahlentscheidend sein könnten) – und dieser eindeutig falschen Behauptung ist zu selten widersprochen worden. Es sei daran erinnert, dass ein Vergleich des ehemaligen Intendanten der Kölner Philharmonie, Franz Xaver Ohnesorg, min- destens Verwunderung, wenn nicht Kopfschütteln verursacht hat: Dieser stellte klar, dass die Kölner Philharmonie jährlich mehr Besucher hat, als der Fußballverein 1. FC Köln – und das zu Zeiten, zu denen die Kölner Kicker noch in der 1. Bundesliga spielten! Über viele Jahre konnte das renommierte Kölner Haus etwa 600.000 Menschen bei den Konzerten zählen und selbst ein Vergleich mit dem wesentlich erfolgreicheren Fussballverein Bayer Leverkusen zeigt, dass dort bei den jährlichen Bundesliga-Spielen nicht mehr als 430.000 Menschen gewesen sein können, weil das Stadion mehr Menschen nicht fassen kann.
Was meint die Frage des „öffentlichen Raums“ wirklich? Steht nicht dahinter die latente Behauptung, Konzerthäuser, Philharmonien, Opern, Schauspielhäuser seien elitär und damit nur einem kleinen Kreis der Bevölkerung wirklich offen. Steht dahinter nicht auch die verborgene und offen vorgetragene Behauptung, diese Institutionen seien sowohl im Bau als auch in der Betreibung und Bespielung zu teuer und steht nicht auch der Vorwurf dahinter, die Nutzungszeiten seien in Anbetracht der Kosten zu gering?
Kulturelle Träume
Zuallererst sind Philharmonien und Konzerthäuser Funktionsbauten. Sie werden gebaut, damit darin Veranstaltungen stattfinden so wie Krankenhäuser gebaut werden, damit Menschen medizinisch versorgt werden. Bei uns gibt es keine Wartehallen sondern Foyers und die Beantragung einer „Carte d’Identité“ findet in einem Verkaufsgespräch statt, in dem es darum geht, bei welcher Musik Menschen ihre kulturellen Wünsche, vielleicht sogar ihre Träume wiederfinden.
Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen – sicher ist, und das muss deutlicher werden, dass sich in einer Philharmonie der gesamte Kosmos möglicher Gefühle zu den fundamentalen Themen der menschlichen Existenz wiederfindet. Weil dies so ist, kann auch dieser Artikel nur schlaglichtartig verschiedene Facetten der Fragestellung anreißen.
Die Funktions-Bestimmung aller Kulturhäuser halte ich für elementar. Musik (darstellende und bildende Kunst nicht minder) leistet einen substanziellen Beitrag zur Grundversorgung der Menschen in einer Stadt oder einer Region oder einem Land. Die unsägliche Trennung in Pflichtausgaben und freiwillige Leistungen einer Kommune war immer falsch und wird es immer bleiben. Kunst hat soziale Aufgaben, Kunst hält Menschen am Leben, Kunst ist einer der wesentlichen Motoren zur Weiterentwicklung der Gesellschaft und Kunst ist eines der bedeutendsten Regulative dessen, wie Leben gestaltet wird – dies gilt für die große Politik genauso wie für Herrn Müller um die Ecke. Und selbstverständlich benötigt Musik den entsprechenden Raum.
Insofern ist zu reklamieren, dass Konzerthäuser und Philharmonien öffentliche Häuser sein müssen – und dieser Anspruch muss sich auch im Programm der Häuser widerspiegeln. Unser Auftrag ist es, neben einem breiten Bildungsauftrag dafür zu sorgen, dass Menschen glücklicher, „reicher“, beseelter, nachdenklicher, vielleicht sogar aufrechter aus den Veranstaltungen gehen, als sie gekommen sind. Im Gegensatz zum Schauspiel scheint mir die Musik die versöhnenden Elemente deutlicher in sich zu tragen und diese gilt es auch zu wecken. Das meint freilich nicht ein mit den Erwartungen des Publikums gleichgeschaltetes Veranstaltungsprofil. Das meint vielmehr, die Kunst der Verführung walten zu lassen und auch den Menschen Musik nahe zu bringen, die sie zuvor nicht oder nicht so wahrgenommen haben.
Philharmonie oder Konzerthaus als öffentlicher Raum, dafür gibt es kein Patentrezept. Was im neuen Konzerthaus in Dortmund mit großem Engagement und hoffentlich mit ebenso großem Erfolg praktiziert wird – die ganztätige Öffnung des an einer vitalen Stelle der Stadt gebauten Hauses mit Restaurant, CD- und Ticketshop, die moderne und stadt-offene Architektur – muss in Essen nicht richtig sein: Dort steht die Philharmonie und der sie umgebende Saalbau außerhalb der Laufwege der Stadt, aber am Rande eines Stadtparks, in unmittelbarer Nähe des Aalto-Theaters und in Anbindung an das Hotel Sheraton. Neben der Programmplanung, die breit, attraktiv und hochwertig angelegt sein wird und für möglichst viele Menschen Angebote bereit halten wird, sind und waren andere Öffnungen und Öffentlichkeiten von Bedeutung. Neben dem philharmonischen Betrieb werden Tagungen, Kongresse, Bälle, Privat- und Firmenveranstaltungen und die bestehende Gastronomie eine größere Rolle spielen als in anderen Philharmonien Deutschlands. Diese Mischbespielung, die in Essen schon Tradition hat, wird dazu beitragen, dass Hemmschwellen für den „Musentempel“ im Grunde nicht entstehen, sondern eine recht große Vertrautheit in die Zukunft der Philharmonie wachsen kann. Die Öffnung in dieses eher „weltliche“ Programm-Segment geschieht gleichwohl vor dem Hintergrund, dass die Priorität auf dem hochwertig zu bauenden Konzerthaus mit einer entsprechend vorzüglichen Akustik liegt; die erforderliche variable Bühnen- und Parkett-Nutzung steht hier in keinem Gegensatz.
Wenn im Juni 2004 die Philharmonie Essen unter dem ehrwürdigen alten Kupferdach des Saalbaus wieder eröffnet, dann knüpft die neue Ära an die 100 Jahre an, in denen sich das Haus bereits bewährt hat: 1904 hat Richard Strauss mit seiner Sinfonia Domestica den ehemaligen Konzertsaal eingeweiht. Wir arbeiten sehr dafür, dass die Menschen in Essen und dem Ruhrgebiet das dann neue Haus wieder als das ihre begreifen und damit die Philharmonie Essen als einen bedeutenden öffentlichen Raum mit Leben erfüllen.