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Die visionären Ideen sind gut versteckt

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Die Expertise „Kunst NRW“ enttäuscht mit wenig durchdachten Musikempfehlungen
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Da staunt der Laie: Experten verschiedener Kultursparten haben in Nord­rhein-Westfalen Vorschläge und Empfehlungen entwickelt, die jetzt unter dem Titel „Kunst NRW“ veröffentlicht wurden. Die Initiatoren sind das Land NRW, wo die Kultur ja bekanntermaßen kein eigenes Ministerressort mehr hat, und die Kunststiftung NRW. Erwünscht waren, so heißt es in der Präambel der immerhin 86 Seiten umfassenden Expertise, „fundierte Vorschläge zu der Frage, mit welchen kulturpolitischen Maßnahmen NRW deutlicher als bisher seinen Platz im nationalen und im internationalen Ranking einnehmen kann.“ Das Ergebnis allerdings lässt viele Fragen offen.

ie Ausgangslage: Zehn Experten wurden im November 2007 damit beauftragt, Empfehlungen für die Landesregierung und die Kunststiftung NRW zu erarbeiten. Bewusst wurden diese Fachleute nicht aus dem Raum Nordrhein-Westfalen, sondern aus anderen Bundesländern oder sogar dem benachbarten Ausland ausgewählt. Maßgabe für die Entscheidung für NRW-ferne Beobachter war die Idee, die „Vielfalt des Landes von außen zu beobachten“ und dem Land „einen Spiegel vorzuhalten“, so Fritz Schaumann, Präsident der Kunststiftung, im Gespräch. Die Experten sollten unabhängig von den Auftraggebern arbeiten; eine hieraus sich ergebende mögliche Subjektivität wurde von Staatskanzlei und Stiftung schon im Vorfeld zumindest billigend in Kauf genommen. Rückwirkend betrachtet hätte der eine oder andere regelnde oder erklärende Eingriff aus der Innensicht vermutlich nicht geschadet.

Vorab gesagt: Impulse oder innovative Ideen fehlen – zumindest bei näherer Betrachtung der Bereiche Theater, Musik, Tanz, Kulturwirtschaft und Medien. „Schwerpunkte“ wolle man definieren, so wird das Vorhaben beschrieben, „die geeignet sind, der Kultur des Landes neue Impulse zu geben“. Und in der Schlussbemerkung attestieren sich die Autoren, aus dem „Willen zur Veränderung“ heraus gearbeitet zu haben. „Auf Visionen hat die vorliegende Handlungs-Skizze nicht verzichtet“, heißt es da. Wenn es solche tatsächlich gibt, so ist es gelungen, sie gut zu verbergen.

Vorrangig scheinen sich die Fachleute die originelle Frage gestellt zu haben, wo zukünftig mehr Geld fließen soll. Die Kriterien, nach denen hier Institutionen und Projekte ausgewählt werden beziehungsweise ungenannt bleiben, erschließen sich dem Leser nicht. Allenfalls eine auffällige Tendenz, die Stadt Köln mit diversen Einrichtungen zu bevorzugen, ist zu beobachten. Dabei spielt es offenbar keine Rolle, ob diese nun – nach Meinung der Experten – bereits alles mitbringen, um die gewünschte Exzellenz in die Welt zu tragen wie zum Beispiel das Gürzenich-Orchester, oder ob sie mit ihren künstlerischen Ergebnissen derzeit weit abgeschlagen sind wie die Bühnen der Stadt Köln. Diese sollen, obwohl sie laut Expertise „seit vielen Jahren kaum mehr positiv in Erscheinung traten und auch über die Stadt hinaus keine Rolle mehr spielten, so als wäre diese Adresse gelöscht worden“ (!), laut Vorschlag des Theater-Experten zum Staatstheater befördert werden. Ebenso wie Musiktheater und Schauspiel Essen; diese wiederum verdienen sich die Aufwertung aufgrund ihres „Potenzials“ und ihrer „Attraktivität“.

Im Bereich Musik hat es gerade einmal zu einem Vorschlag gereicht: „Das Gürzenich-Orchester Köln wird ‚Staatsphilharmonie Nordrhein-Westfalen’“. Weitere – in der Hierarchie der Expertise niederrangige – „Empfehlungen“ überzeugen nur partiell. „Die Mittel für die musikFabrik“ erhöhen (hier zieht wiederum das nicht zu bestreitende Exzellenz-Kriterium) und „ein Barock-Ensemble institutionell zu fördern“ (ein Schelm, der dahinter bereits wieder einen Hang zur Stadt Köln vermuten wollte): kein Musikliebhaber wird dagegen etwas einzuwenden haben. Wo aber bleiben die anderen exzellenten Ensembles des Landes? Musik-Empfehlung Nummer Fünf schließlich rät dazu, das Konzerthaus Dortmund verstärkt zu fördern.

Dessen Innovationsbereitschaft scheint sich in der Verpflichtung des Gustav Mahler Chamber Orchestra als „Residenz-Orchester“ zu beweisen. Dass eine Neigung zu Innovationen auch oder sogar noch stärker in der mutigen und mehrfach ausgezeichneten Programmgestaltung des Konzerthauses Essen erkennbar ist, findet keinerlei Erwähnung.

Richtig abenteuerlich wird es beim Thema „Kulturwirtschaft“. Eine grundlegende Definition, was die Verfasser darunter verstehen, hätte hier Not getan. Geht es um die derzeit viel gepriesenen „Creative Industries“, also solche marktwirtschaftlich orientierten Unternehmen und Kreative, die mit ihrem kreativen Tun einen Beitrag zur „Wertschöpfungskette“ leisten? Geht es um Unternehmen, die mit ihren Produkten Kreativen die Arbeitsgrundlage liefern wie Instrumentenhersteller oder Aufführungshäuser? Oder geht es um Wirtschafts-Unternehmen, die als Sponsoren oder Mäzene Kultur finanziell unterstützen? Alles wird hier diffus miteinander vermischt.

Der Vorschlag der kulturwirtschaftlichen Experten, „Vermittlungsnetzwerke zu stärken“ bringt nicht viel mehr Klarheit. Die insgesamt sehr allgemein gehaltenen Erklärungen wie „Es wird empfohlen, Vermittlungsorganisationen und -netzwerke in den einzelnen Kunstsparten finanziell und technisch zu unterstützen“, taugen nicht gerade dazu, NRW über die Landesgrenzen hinaus bekannt zu machen. Nun bleibt auch der Begriff der „Vermittlung“ in den Tiefen der Begriffsverwirrung stecken. In NRW gibt es aber doch immerhin ein Projekt, das im Bereich „Musikvermittlung“ anzusiedeln ist. Mit keiner Silbe jedoch wird das nordrhein-westfälische Modellprojekt „Jedem Kind ein Instrument“ auch nur erwähnt. Man mag an dessen Erfolg zweifeln: Fakt ist aber, dass es den Blick von außen auf das Land zieht und bereits zahlreiche Nachfolge-Modelle in anderen Regionen initiiert hat. Und ein weiteres Vermittlungsnetzwerk, das „Netzwerk Neue Musik“ mit immerhin drei repräsentativen Projekten in NRW, steht ebenfalls nicht im Fokus der Fachleute.

Ein möglicher Erfolg der Initiative „Kunst NRW“ wird stark von der Frage abhängen, wie intensiv die Kulturschaffenden im Land in die Diskussion über die Ergebnisse einsteigen – und wie große die Bereitschaft der Auftrag- (und Kulturgeld-)geber ist, sich auf eine solche Diskussion einzulassen. „Die Auseinandersetzung läuft bereits“, freut sich Fritz Schaumann und signalisiert die Offenheit der Kunststiftung. Im übrigen solle der Bericht dafür sorgen, dass das Land – und damit meint er die Landesregierung ebenso wie die Stiftung – seine kulturpolitische Verantwortung stärker wahrnimmt als bisher. Dazu immerhin könnten die Experten einen Beitrag geleistet haben.
 

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