Symposien und Kongresse gibt es viele. Was würden Sie als das Besondere an dem Kongress „Kinder und Musik“ bezeichnen?
„Kinder und Musik im 21. Jahrhundert – Kongress vom 15. bis 16. Februar 2001“ – so prangt es in Leuchtendrot von Tausenden von Flyern, die seit kurzem in allen deutschsprachigen Ländern, aber auch in 13 weiteren europäischen Ländern kursieren. Ein neuer Kongress, gegründet von einem neuen Gesicht in der Musikpädagogenszene: Beate Weinberger. Die Projektleiterin des Kongresses beobachtete schon während ihres Musikstudiums genau, wo sich heute Defizite in der Musikausbildung auftun und wie sich pädagogische Auffassungen von Musikerziehung und der tatsächlichen Alltagssituation verschärften. Deshalb tat sie etwas Ungewöhnliches für eine junge Musikerzieherin: Sie gründete einen Kongress. Über Entstehung, Inhalte und Ziele dieses neuen Forums informierte sich Andreas Kolb. nmz: Symposien und Kongresse gibt es viele. Was würden Sie als das Besondere an dem Kongress „Kinder und Musik“ bezeichnen? >Weinberger: Das Besondere ist, dass alle Berufsfelder an einen Tisch sitzen, die mit Musik zu haben. Eben diejenigen, die heute für die Entwicklung eines musikalischen Bewusstseins bei Kindern und Jugendlichen verantwortlich zeichnen. Wer ist Ihre Zielgruppe?Weinberger: Im musikpädagogischen Bereich sind das: Universitäten, Musikhochschulen, Fachhochschulen für die Erzieher/-innen-Ausbildung, allgemein bildende Schulen, Musikschulen und Erziehungseinrichtungen. Im musikwirtschaftlichen Bereich sprechen wir Musik- und Schulbuchverlage, Tonträgerfirmen, auch Multimediaverlage und Musikinstrumentenher-steller an. Das Thema soll auch im politischen Bereich transportiert werden: Es werden die Kultusminister und ihre Referenten eingeladen. Im kulturellen Bereich sprechen wir sämtliche Musikverbände und – ganz wichtig – Stiftungen an. Meine Aufgabe im Vorfeld ist es auch, das ganze Feld Kinder und Musik zu untersuchen und herauszufinden, wer damit angesprochen wird.
Welche Themen präsentieren Sie?Weinberger: Die Inhalte des Kongresses bestehen darin, laufende Projekte wie zum Beispiel „Förderung von Musikkultur bei Kindern“ (Helmut Wittig, Bertelsmann-Stiftung) oder „Schule braucht Musik“ (Prof. Werner Hay, Deutsche Phono-Akademie) vorzustellen und erste Ergebnisse zu präsentieren. Darüber hinaus werden neue Ergebnisse zur musikalischen Entwicklung (Prof. Klaus-Ernst Behne, Hochschule für Musik und Theater Hannover) und Themen aus den Bereichen Musik und Medizin (Prof. Dr. Eckart Altenmüller, Institut für Musikphysiologie und Musiker-Medizin, Hochschule für Musik und Theater Hannover) oder Musik und Medien (Dr. Ulrike Gruner, WDR) vorgestellt und gemeinsam mit den Teilnehmern erörtert. Eine abschließende Forumsdiskussion wird die Kernthesen der Vorträge nochmals aufgreifen. Die Zusammenfassung der Ergebnisse und die Nachbereitung des Kongresses wird dokumentiert und veröffentlicht werden.
Von welcher Seite kam Unterstützung für Ihre Idee?Weinberger: Ich fand in Professor Werner Hay von der Deutschen Phonoakademie jemand, der dieselbe Idee mit seinem Projekt „Schule braucht Musik“ hatte. Auch Dr. Marlene Wartenberg, die Geschäftsführerin des Deutschen Musikrates, war von der Idee begeistert und sagte Unterstützung zu. Das war mir wichtig: dass ein bundesweiter Kongress von einem Dachverband Unterstützung erfährt. Dann kam die Frage nach dem Ort: Nachdem die Musikhochschule Hamburg wegen räumlicher Probleme nicht in Frage kam, kam Hannover ins Spiel. Sowohl Professor Klaus-Ernst Behne, Rektor der Musikhochschule Hannover, als auch Professor Hans Bäßler, Vorsitzender des Verbandes Deutscher Schulmusiker, waren begeistert und ließen sich auf das Wagnis eines neuen Kongresses samt neuer Mitstreiter ein.
Wie wird das Projekt finanziert?Weinberger: Erst vor wenigen Tagen sagte der Vorstand der Deutschen Phono-Akademie die Finanzierung zu. Die Hochschule für Musik und Theater Hannover richtet diesenKongress in ihren Räumen aus und engagiert sich darüber hinaus mit beträchtlichen finanziellen Mitteln.
Gibt es auch internationale Beteiligung?Weinberger: Das Projekt wird auch durch den Vorstand der Europäischen Arbeitsgemeinschaft für Schulmusik mitgetragen, so wird Präsident Professor Scheidegger aus Luzern aktiv mitwirken. Aus Österreich kommen beispielsweise Barbara Bissmayer, Dramaturgin der Wiener Staatsoper für Kinder, und Ingrid Haimböck, Direktorin des Karajan Centrums in Wien.
Vor Besitzstanddenken, Konkurrenzverhalten und Vorurteilen unter den teilnehmenden Interessensgruppen fürchten Sie sich nicht?Weinberger: Bei den Musikpädagogen gibt es zwei Lager: Es gibt den Typ Musiklehrer, der nicht in der Lage ist, seine Schüler für Musik zu begeistern. Und dann gibt es auch die offenen Musikpädagogen, die das können. Das sind meist die, die erkannt haben, dass man auch mit anderen Bereichen kooperieren muss. Das trifft nicht nur für Schulmusiklehrer, sondern auch für Musikschullehrer zu.
Adorno spricht ja einmal vom Tabu über dem Lehrberuf. Die Lehre wird gesellschaftlich nicht für voll genommen, weil ihr Gegenstand, die Kinder und Heranwachsenden, noch keine vollwertigen Mitglieder der Gesellschaft sind. Dies trifft den Musikpädagogen doppelt, denn im Fächerkanon seiner Bildungsanstalt spielt Musik normalerweise auch nicht die erste Geige?Weinberger: Wenn ich zu diesem Thema aus der Antrittsrede des Senators für Bildung und Wissenschaft, Willi Lemke (anlässlich der Übernahme der Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz am 17. Januar, Anm. d. Red.) zitieren darf, der über die Zukunftswerkstatt Bildung räsoniert: „Dialogbereitschaft und Kommunikationsfähigkeit werden im Umgang mit Qualitätssicherung und Leistungsmessung in der Schule (dem ist noch hinzuzufügen Universität und Berufsleben) eine Schlüsselrolle spielen, wenn wir mit den Ergebnissen, die wir mit hohem Aufwand produzieren, konstruktiv umgehen wollen.“ Hier muss man sich fragen: Welche Bedeutung hat Musik für die Gesellschaft? Man muss begreifen, wenn man in die Kinder investiert, dann investiert man vor allem Dingen in die Zukunft. Hier kann für die Musik ein Potenzial entstehen, das bisher noch nicht richtig genutzt wurde.
Sieht hier in Wirklichkeit nicht vor allem die Phono-Industrie ungenutzte Potenziale?Weinberger: Wenn Herr Hay sagt, sein Anspruch mit „Schule braucht Musik“ sei der, dass jedes Kind zeitgemäßen Musikunterricht bekommen kann, dann ist das ein ganz hehres Ziel. Es ist aber auch so, dass sich die Musikwirtschaft fragt, wer ist eigentlich unser zukünftiges Publikum, in der Klassik, aber auch im Rock- und Popbereich. Woher sollen die Zuhörer kommen, und wie können sich auch die Musiker herausbilden, wenn sie nicht musikalisch gebildet werden? Es geht hier um eine stärkere Bewusstseinsbildung von Musik innerhalb unserer Gesellschaft.
Der Deutsche Musikrat, der Dachverband der deutschen Musikverbände, nimmt den Kongress möglicherweise auch als Auftaktveranstaltung für die geplante Dachkampagne „Hauptsache Musik“?Weinberger: Ob es die Eröffnungsveranstaltung sein wird, steht noch nicht fest. Gleichzeitig ist das de-
ckungsgleich, was die Dachkampagne fördert und was beim Kongress angesprochen wird.
Weinberger: Es ist jeder herzlich willkommen, der Musiklehrer, der Schulleiter oder der Minister. Da haben alle denselben Stellenwert. Der Teilnehmergebühr beträgt 170 Mark für zwei Tage. Es können 220 bis 300 Personen teilnehmen. Aufgrund der bisherigen Resonanz gehe ich davon aus, dass es mehr Anmeldungen geben wird, als hinterher wirklich teilnehmen können.
Wie sieht die Struktur des Programms aus?Weinberger: Die erste Säule stellen Diskussionsforen, die zweite Säule sind die Ateliers. Hier sind die Themen stark praxisorientiert: Jedes Atelier stellt einen Themenschwerpunkt dar, zum Beispiel Musik und Medien oder Projekte zur Förderung der Musikkultur. In jedem Atelier sind dann drei bis vier Referenten aus obengenannter Trias aus Pädagogik, Wirtschaft und Politik, die dazu Stellung nehmen. Am ersten Tag gibt es eine Informationsveranstaltung, bei der einzelne Verbände und Institutionen sich vorstellen können. Das ist die dritte Säule. Das Konzert am Abend ist die vierte Säule: Hier stehen die Musik und die Kinder im Mittelpunkt, mit dem Auftritt des Mädchenchors Hannover sowie Preisträgern von “Jugend musiziert“ und „Jugend jazzt“.
Weitere Informationen zum Kongress: beate.weinberger [at] hmt-hannover.de (beate[dot]weinberger[at]hmt-hannover[dot]de Tel. 0511/3100-633, Fax 0511/3100-643)