Potsdam - Der italienische Dirigent Antonello Manacorda glaubt an einen Heißhunger der Menschen auf Musik. «Wir werden nie genug Musik haben. Wir brauchen sie, bewusst und unbewusst. Unser Leben hat einen Soundtrack», sagte der 47-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Ein Live-Konzert sei nun einmal eine ganz eigene Erfahrung.
Er denke nicht, dass es jemals zu einer musikalischen Krise komme und hoffe auch auf eine Renaissance für die zeitgenössische Musik - so wie es das vor ein paar Jahrzehnten für die Barockmusik gab.
Manacorda ist Künstlerischer Leiter der Kammerakademie Potsdam und Chefdirigent des niederländischen Het Gelders Orkest. Unlängst erhielt er für sein Dirigat der Mozart-Oper «Lucio Silla» in Brüssel sehr gute Kritiken. «Ich lebe seit 17 Jahren in Deutschland und ich lebe gern hier. Denn es gibt hierzulande eine große Orchesterkultur», bekannte der Maestro: «In Deutschland gilt es als Ideal, in einem guten Orchester eine Stelle zu bekommen. In Italien wollen alle Musiker am liebsten Solist sein.» Deshalb fehle die Leidenschaft für das Zusammenspiel in einem Orchester in Italien oder Spanien etwas.
«Das gemeinsame Musizieren ist ja auch eine soziale Kompetenz, so etwas braucht die Gesellschaft. Ein Orchester kann deshalb etwas Beispielgebendes sein - auch für die Politik», betonte Manacorda. Die Deutschen Musiker würden es geradezu lieben, Schumann oder Brahms zu spielen: «Deshalb ist es für einen Dirigenten auch sehr schön, in Deutschland zu arbeiten.»
Manacorda glaubt nicht, dass Orchester in Zeiten der Globalisierung immer ähnlicher klingen. Die musikalische Globalisierung habe schon eher begonnen. Musiker und Orchester müssten sich aber verschiedenen Klangkulturen öffnen: «Heute muss ein Musiker sehr flexibel sein, die verschiedensten Stile kennen und Barock genauso spielen wie Moderne.» Es gebe nicht eine Klangkultur, sondern viele - eine «Brahms-Kultur» genauso wie eine «Beethoven-Kultur» oder andere: «Für mich ist der Klang mit einem Komponisten verbunden, nicht mit einem Orchester.»
Die Zeit der «Despoten mit Taktstock» sieht Manacorda abgelaufen: «Ich verstehe mich als kollegialer Musiker. Meine Aufgabe besteht darin, dem Orchester zu helfen. Es muss dem Dirigenten aber auch etwas geben.» Mit der Angst im Nacken spiele kein Musiker gut. Dirigent und Orchester müssten einander zuhören - und zwar auf Augenhöhe: «Ich habe 15 Jahre als Konzertmeister unter Claudio Abbado gespielt. Der hatte zwar ein großes Ego, er war aber sehr kollegial. Diese Art Musik zu machen, habe ich von ihm gelernt.»
Manacorda geht davon aus, dass sich ein Dirigent dem Musikbetrieb nicht wirklich entziehen kann. «Es ist schön zu wissen, dass man gefragt ist. Es ist aber auch erschreckend, wenn man jetzt entscheiden muss, was man an einem bestimmten Tag in fünf Jahren dirigieren soll. Das ist der schwierige Teil meines Berufes.» Vor ein paar Jahren habe er nur zwei Jahre vorausgeplant, inzwischen seien es schon fünf: «Dennoch: Mein Job ist kein Job, sondern Leidenschaft.»