Seit nun 40 Jahren ist das Archiv Frau und Musik die zentrale Anlaufstelle in Deutschland, wenn es um Musik von Komponistinnen geht. Juan Martin Koch hat mit der Gitarristin Heike Matthiesen vom Vorstand des Internationalen Arbeitskreises Frau und Musik über die Arbeit des Archivs in Zeiten knapper Kassen und von #MeToo gesprochen.
neue musikzeitung: „Das Archiv Frau und Musik wird vertreten durch den Internationalen Arbeitskreis Frau und Musik e. V.“, heißt es auf Ihrer Homepage. Wer feiert denn nun Geburtstag und wie ist das organisatorische Konstrukt eigentlich?
Heike Matthiesen: Als Elke Mascha Blankenburg anfing – nach ihrem „Emma“-Artikel „Vergessene Komponistinnen“ 1977 –, begann das ganze als eine Privatsammlung. Durch den Arbeitskreis, der 1979 zum Verein wurde, bekam diese ein rechtliche Basis und aus ihr ist das Archiv Frau und Musik erwachsen. Träger und Arbeitgeber des Archivs ist also der Internationale Arbeitskreis Frau und Musik e. V. Die rechtliche Struktur wurde einfach nötig, weil aus der immer weiter wachsenden Sammlung eine Präsenzbibliothek wurde, früher in Kassel, seit 2001 in Frankfurt.
nmz: Das Archiv steht nach wie vor auf der Roten Liste der bedrohten Kultureinrichtungen. Wie ist der Stand Ihrer Finanzierung momentan?
Matthiesen: Wir hatten viele Jahre lang eine feste Halbtagskraft, die institutionell sicher gefördert war. Im Moment hangeln wir uns mit Projektgeldern und anderen befristeten Finanzierungen durch. Wir sind nun wieder in der Förderung der Stadt Frankfurt und des Landes Hessen, werden von zwei Stiftungen unterstützt und erhalten Mittel über Projekte, die wir im Rahmen des Digitalen Deutschen Frauenarchivs (DDF) realisieren. Da werden zum Beispiel unter dem Titel „MASCHA: Musik Akteurinnen schaffen Aufmerksamkeit“ Interviews mit wichtigen Vertreterinnen von Frauen-Musik-Bewegungen seit den 1970er-Jahren geführt und aufgezeichnet. Die schlimmste Not ist vorbei, aber es ist leider noch lange nicht so, dass wir sicher sind und aus dem Vollen schöpfen können. Deshalb haben wir auch jetzt erst angefangen, unser Jubiläum zu planen, weil das vorher undenkbar war.
nmz: Wie würde denn aus Ihrer Sicht eine stabile Situation für das Archiv aussehen?
Matthiesen: Eigentlich bräuchten wir jemanden, der unabhängig von der wissenschaftlichen Arbeit aktiv die Geschäftsführung macht. Im Moment muss eine Archivarin auch die Post beantworten… Dafür wäre eine institutionelle Förderung nötig. Langfristig bräuchten wir eine Vollzeitstelle als Bibliothekar/-in. Wir bekommen ja viel Material von Komponistinnen und sind dabei, das System umzustellen, damit wir mit den weltweiten Bibliotheks-Datenbanken kompatibel sind – anfangs hatten wir einfach nur Zettelkästen. Mein persönlicher Traum wären also eine halbe Stelle Geschäftsführung, die alle Mitarbeiter davon entlastet, fachfremde, nichtwissenschaftliche Aufgaben zu erledigen, plus Menschen, die sich stabil, langfristig in die Aufgaben einarbeiten können, als Bibliothekare oder wissenschaftliche Mitarbeiter.
nmz: Wie muss man sich die tägliche Arbeit im Archiv vorstellen?
Matthiesen: Unsere Archivarin, die halbtags arbeitet, ist damit beschäftigt, die Datenbank hinter den Noten zu verwalten, sie wie gesagt umzustellen auf ein neues System und neues Material einzupflegen. Dann haben wir im Moment eine Halbtagskraft für Öffentlichkeitsarbeit, Anfragen und Recherche. Wir sind ja direkte Ansprechpartner für Konzertveranstalter, die zum Beispiel ganz gezielt fragen: Können Sie mir Werke einer rumänischen Komponistin für folgende Besetzung empfehlen? Dann können wir entsprechende Vorschläge machen. So etwas ist ja kaum „ergooglebar“, da sind wir immer noch lebensnotwendig! Dann sind wir natürlich in Kontakt mit Wissenschaftlern, denn wir haben ja nicht nur Noten im Archiv, sondern auch Einspielungen und die berühmte „graue Literatur“, also auch Briefwechsel und anderes flankierendes Material – da schlummern Doktorarbeiten… Ich sage immer: Das Archiv ist das Gedächtnis der Frauen für die Zukunft, denn es bildet auch die Geschichte dessen ab, wie es zum heutigen Stand kam.
nmz: Wie kamen Sie selbst in Kontakt mit dem Arbeitskreis und welche Rolle spielt das Thema für Ihre künstlerische Arbeit?
Matthiesen: Ich war viele Jahre lang einfach Mitglied, weil ich die Sache wichtig fand, und bin ab und an zu einer Veranstaltung gegangen. Dann habe ich angefangen, gezielt nach Gitarrenliteratur von Komponistinnen zu suchen, was zu der CD „Guitar Ladies“ führte, die ich 2015 aufgenommen habe. Mary Ellen Kitchens vom Vorstand des Arbeitskreises hatte gesagt: „Nimm das doch einfach auf!“ Und das habe ich dann auch gemacht, für mich, weil ich es wichtig fand und mir die Musik gefiel. Ich bin davon ausgegangen, dass sich niemand dafür interessiert. Dass ich dann beim Erscheinen der CD 2016 zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein würde, habe ich nicht geahnt… Dann habe ich diese Stücke auch in Konzerten gespielt und habe angefangen, mich im Archiv ein wenig um die Gitarrensammlung zu kümmern und irgendwann ergab es sich, dass ich für den Vorstand angefragt wurde. Zwei weitere Vorstände leben in München und Kassel, was dank moderner Kommunikationswege kein Problem ist. Aber trotzdem ist es gut, wenn jemand hier in Frankfurt vor Ort ist, und das bin nun ich und es macht mir Spaß, hier für das Archiv Präsenz zu zeigen. So bin ich da reingeschlittert und sitze auf einmal an Datenbanken…
nmz: Sie sprachen vom richtigen Zeitpunkt. Beim Thema „Frau und Musik“ gab es in den letzten Jahren zwei Schwerpunkte in der öffentlichen Wahrnehmung: ein positives – die zunehmende Präsenz von Komponistinnen und vor allem auch von Dirigentinnen – und ein negatives – MeToo, auch wenn hier natürlich nicht nur Frauen betroffen sind. Wie haben Sie dies wahrgenommen und inwiefern kann und will der Arbeitskreis darauf reagieren?
Matthiesen: Beides spielt für mich in extremem Maße zusammen. Es kann sich keiner mehr trauen, einer Frau einen entsprechenden Job nicht zu geben, nur weil sie eine Frau ist. Es gibt ja glasklare Zahlen: Seit Orchestervorspiele hinter einem Vorhang stattfinden, ist der Frauenanteil drastisch nach oben gegangen. Es lag früher also nicht an den Leistungen, sondern an diesem Faktor, sonst wären sie ja genommen worden. Bei Dirigentinnen und Komponistinnen ist es nun umgekehrt: Das Thema ist heiß, und man entscheidet sich vielleicht auch ganz bewusst für eine Frau, um diese Aufmerksamkeit zu nutzen. Das ist auch MeToo: Festivalmacher und Veranstalter müssen sich entsprechende Fragen gefallen lassen. Wir untermauern das mit Fakten. Niemand kann mehr sagen, es gäbe keine entsprechenden Werke von Frauen. Wir können helfen, dass das Ganze jetzt nicht eine Modeerscheinung bleibt. Denn entscheidend ist ja, ob zum Beispiel Clara Schumann auch 2020 noch gespielt wird. Da entscheidet es sich, ob sich langfristig etwas ändert oder ob es nur ein kleiner Hype zum Jubiläum ist.
nmz: Apropos Jubiläum: Was planen Sie zum 40. Geburtstag von Archiv und Arbeitskreis – feiern Sie gemeinsam mit Clara?
Matthiesen: „Dank“ unserer finanziellen Misere konnten wir wie gesagt erst auf den allerletzten Drücker an das Thema Jubiläum herangehen. Es gibt also keine große Konzertreihe oder ähnliches. Was läuft, ist unser Composer-in-Residence-Projekt, das Arbeitsstipendium, das wir alle paar Jahre ausschreiben. Dafür ist die Bewerbungsfrist im März abgelaufen. Die ausgewählte Komponistin wird dann einige Wochen in Frankfurt arbeiten und am Ende ihres Aufenthaltes, am 16. Oktober, ein neues Werk präsentieren. Was eine Verbindung mit Clara Schumanns 200. Geburtstag angeht, so hätten wir vor zwei Jahren mit den Planungen beginnen müssen. Aber es werden immerhin einige Autographe aus unserer Sammlung in einer Ausstellung der Robert-Schumann-Gesellschaft Frankfurt zu sehen sein. Unser Jubiläum wird dann Ende November gefeiert, mit einer ganztägigen Veranstaltung im Archiv, einem Festakt im Frankfurter Römer sowie Konzerten und Vorträgen im Umfeld. Alles, was nun sonst noch kurzfristig machbar ist, machen wir natürlich gerne!