In einem offenen Brief und mit einer Petition haben sich Musikschaffende gegen die Etatkürzungen beim ORF gewandt. Das ORF Radio schicke sich an, „Inhalte und ganze Sendereihen aus dem Programm von Ö1 zu streichen oder bis zur Unkenntlichkeit zu kürzen“, heißt es in dem Brief. Auch das vom ORF produzierte Musikprotokoll im Steirischen Herbst sei gefährdet, warnen die Unterzeichner
Der offene Brief im Wortlaut:
OFFENER BRIEF: Erhalt des österreichischen Musiklebens – Einladung zum Dialog
Sehr geehrter Herr Generaldirektor Mag. Roland Weißmann
Sehr geehrte Frau Kaufmännische Direktorin Eva Schindlauer, BSc
Sehr geehrte Frau Radiodirektorin Ingrid Thurnher
Sehr geehrter Herr Programmleiter Dr. Martin Bernhofer
Sehr geehrte Damen und Herren des ORF StiftungsratesZur Kenntnis an:
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Karl Nehammer, MSc
Sehr geehrter Herr Vizekanzler Mag. Werner Kogler
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin (BMKÖS) Mag.a Andrea Mayer
Sehr geehrte Frau Abteilungsleiterin (BMKÖS) MMag.a Brigitte Winkler-KomarDas ORF Radio schickt sich an, Inhalte und ganze Sendereihen aus dem Programm von Ö1 zu streichen oder bis zur Unkenntlichkeit zu kürzen: ZEIT-TON, die Ö1 JAZZ Nacht, die Lange Nacht der Neuen Musik, Kunstradio und weitere Formate sind davon betroffen. Insgesamt geht es um mindestens 575 Stunden zeitgenössischen, größtenteils österreichischen Musikschaffens, die aus dem öffentlichen Raum verschwinden sollen. Darüber hinaus wird das heimisch wie international hoch angesehene, vom ORF produzierte MUSIKPROTOKOLL im Steirischen Herbst als Festivalplattform neuer und experimenteller Musik in Frage gestellt. Es droht ein Kahlschlag mit einem nie dagewesenen Schaden für die heimische Musikszene und der damit verbundenen wirtschaftlichen Wertschöpfungskette, welche Komponist:innen, Verlage, Labels, Festivals, Konzerthäuser, Jazzclubs, Interpret:innen, Ensembles, Orchester aber auch Universitäten und Konservatorien sowie freischaffende Künstler:innen gleichermaßen betrifft.
Die Annahme des ORF, dass Neue Musik und Jazz programmliche Randzonen und beispielsweise ZEIT-TON und die Ö1 JAZZ Nacht angeblich „wenig gehörte Sendungen“ seien, entspringt dem kapitalen Denkfehler, Musik nicht als großes Ganzes zu begreifen und die Hochglanzkultur gegen das originär Schöpferische ausspielen zu wollen. Die Pläne des ORF würden damit einer fatalen Beschädigung des hohen Ansehens und des internationalen Ranges des Musiklandes Österreich gleichkommen – ganz zu schweigen von der eigenen Schwächung in der Europäischen Radiounion (EBU) mangels anzubietender Inhalte.
Der ORF scheint sich seiner fundamentalen, im entsprechenden Gesetz in unmissverständlicher Weise verankerten Rolle gar nicht bewusst zu sein, wenn er aus freien Stücken (Budgetkürzungen dürfen nie automatisch die Totalstreichung von Inhalten bedeuten) den eigenen ZEIT-TON als mit Abstand größte Bühne zeitgenössischer Musik (niemand anderer schafft es allabendlich 15.000 – 20.000 Hörer:innen für das Neue in der Musik zu begeistern) aufgibt.
Verschärft wird das Ganze durch die postpandemischen Herausforderungen, denen sich alle Veranstalter – von der Hochklassik bis zum avancierten Zeitgenoss:innentum – aktuell stellen, indem sie das Interesse und Vertrauen des Publikums wieder aufbauen müssen. In solch einem Moment der großen Umbrüche das Fundament des Musiklebens – denn jede etablierte Musik war einmal neu und zeitgenössisch – aus dem Öffentlich-Rechtlichen zu verbannen, zeigt die besorgniserregende Distanz des ORF zur Wirklichkeit des Kulturlebens und damit zu seiner eigenen Hörer:innenschaft auf, aus der dieser seine Reform- und Kürzungspläne entwirft.
Einen Sender neu zu denken und Budgetadjustierungen vorzunehmen, sind keine Tabus. Ein partnerschaftlicher Dialog mit allen betroffenen Kompetenzträger:innen kann hierbei zu mitunter überraschenden und vielversprechenden Resultaten führen. Fundamentale Inhalte künstlerischen Schaffens hingegen bis zu deren Unauffindbarkeit aus dem öffentlichen Medienraum zu streichen, steht als eklatante Verletzung des im ORF Gesetz formulierten öffentlich-rechtlichen Kernauftrages im Raum.
Wir fordern, dass der ORF seinen Aufgaben gemäß Gesetz (Vermittlung und Förderung von Kunst, Kultur und Wissenschaft sowie angemessene Berücksichtigung und Förderung der österreichischen künstlerischen und kreativen Produktion, ORF-Gesetz § 4) gerecht wird, Abstand von der massiven Infragestellung Neuer Musik und Jazz nimmt und weiterhin einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt des österreichischen Musiklebens leistet. Die Forderung ist als Einladung zum Dialog zu verstehen.
Dieser offene Brief wird von einer Online-Petition auf change.org begleitet:
Die Erstunterzeichner:innen:
Klangforum Wien – Peter Paul Kainrath, Intendant
Österreichischer Kunstsenat – Josef Winkler, Präsident; Nali Gruber und Erwin Wurm, Vizepräsidenten
Salzburger Festspiele – Markus Hinterhäuser, Intendant; Lukas Crepaz, Kaufmännischer Direktor; Florian Wiegand, Konzertchef; Kristina Hammer, Präsidentin
Österreichische Bundestheater – Mag. Christian Kircher, Geschäftsführer
Wiener Konzerthaus – Matthias Naske, Intendant
Gesellschaft der Musikfreunde in Wien – Dr. Stephan Pauly, Intendant
Wien Modern – Bernhard Günther, Künstlerischer Leiter
Steirischer Herbst – Ekaterina Degot, Intendantin und Chefkuratorin
Wiener Philharmoniker – Michael Bladerer, Geschäftsführer
Wiener Symphoniker – Jan Nast, Intendant
Kunstuniversität Graz – Ao.Univ.Prof. Mag. Mag. Dr. Georg Schulz MSc, Rektor
mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien – Mag.a Ulrike Sych, Rektorin
Universität Mozarteum Salzburg – Prof.in Elisabeth Gutjahr, Rektorin
MUK – Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien – Dr. Andreas Mailath-Pokorny, Rektor
Anton Bruckner Privatuniversität – Martin Rummel, Rektor
Gustav Mahler Privatuniversität für Musik – Roland Streiner, Rektor
Jam Music Lab – Private University for Jazz and Popular Music Vienna – Marcus Ratka, Rektor
Porgy & Bess Jazz & Music Club – Christoph Huber, Künstlerische Leitung
Music Austria – Mag. Sabine Reiter MBA, Geschäftsführende Direktorin
Österreichischer Musikrat – Dr. Harald Huber, Präsident
Austrian Composers Association – Prof. Harald Hanisch, Präsident; Mag. Mia Zabelka, Vize-Präsidentin E-Musik
IGNM – Internationale Gesellschaft für Neue Musik – Sonja Leipold, Präsidentin
Osterfestival Tirol – Hannah Crepaz, Geschäftsführerin
Bruckner Orchester Linz – Mag. art. Norbert Trawöger, Künstlerischer Direktor
Symphonieorchester Vorarlberg – Sebastian Hazod, Geschäftsführer
Tonkünstler-Orchester – Frank Druschel, Geschäftsführer
BSA – Bund Sozialdemokratischer AkademikerInnen, Intellektueller und KünstlerInnen – Dieter Boyer, Vorsitzender KünstlerInnen
Grafenegg Kulturbetriebsgesellschaft m.b.H. – Dr. Philipp Stein, Operativer Geschäftsführer
VTMÖ – Dachverband unabhängiger Tonträgerunternehmen, Musikverlage und Musikproduzenten Österreichs – Alexander Hirschenhauser, Sprecher des Leitungsteams
KAIROS, Label für zeitgenössische Musik – Alexander Götzinger; CEO & Martin Rummel, künstlerischer Leiter