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Foto: Hye Min Lee

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Echtes „duales System“ an den Musikschulen

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Zum „Herrenberg-Urteil“ – Mitarbeiterinnen einstellen, mit Freiberuflerinnen kooperieren
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Dass eine Musikschule eine Mitarbeiterin vollständig organisatorisch einbindet, ihr Weisungen erteilt – und sie „auf Honorarbasis“ bezahlt: dass das „Scheinselbständigkeit“ ist und damit unrechtmäßig, ist wohl unstrittig und seit Jahren offensichtlich. An welche Art von Formulierungen wir uns gewöhnt haben: „Honorarkräfte“ – für mich so etwas wie ein „runder Würfel“. Entweder bin ich „Kraft“, Mitarbeiterin (und beziehe ein entsprechendes Gehalt) – oder ich berechne der Musikschule ein Honorar, dann bin ich frei, extern, und erbringe eine Dienstleistung gegen Berechnung.

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Aus meiner Sicht sollten Musikschulen (freie wie öffentliche) und Musikpädagoginnen die (echte!) Wahl haben, welche Art von Vertrag sie miteinander schließen: einen regulären Beschäftigungsvertrag, wie ver.di ihn begrüßt – mit allen Vor- und Nachteilen für beide Seiten, die ich hier nicht erneut ausführen möchte. Oder einen Vertrag auf Augenhöhe, der frei gestaltet wird, zwischen der Musikschule und einer Freiberuflerin.

Kooperationsvertrag auf Augenhöhe

Letzterer könnte wie folgt aussehen: Die Pädagogin bietet (auch) im Rahmen der Musikschule ihr Unterrichtsangebot an, legt selbst die Honorarhöhe fest, den Rahmen des Unterrichtsumfangs, Ferien- und Krankheitsregelungen etc. und schließt Unterrichtsverträge (etwa in Form der DTKV-Vorlage) direkt mit ihren Schülerinnen bzw. deren Eltern – hat also auch die Möglichkeit, Schülerinnen abzulehnen oder selbst anzuwerben. Die Musikschule bietet ein Marketing-Paket, stellt je nach Wunsch/Vereinbarung den Raum, bietet evtl. die Übernahme von administrativen Tätigkeiten wie den Einzug von Honoraren etc. an und kassiert dafür eine Provision in Form eines Prozentsatzes des Honorars oder einer Pauschale. Durch die Gestaltung der Provisionshöhe kann man – indem die Musikschule ihren Service unter den eigentlichen Kosten anbietet – auch auf freiberuflicher Basis assoziierte Pädagoginnen an den gewährten Subventionen und Förderungen beteiligen.

Die auf diese Weise mit einer Musikschule partnerschaftlich kooperierende Pädagogin genösse alle Vor- und Nachteile echter Selbständigkeit. Sie trüge alle unternehmerischen Risiken und könnte in voller Flexibilität frei arbeiten (nicht nur als Pädagogin, sondern auch konzertierend oder in einem musikfremden Beruf). Und sie profitierte von einer renommierten Institution, beispielsweise zur Akquise neuer Schülerinnen, und hätte nützliche Kontakte zu Kolleginnen und Ensembles. Zudem könnte sie einen Teil der ungeliebten administrativen Tätigkeiten der kooperierenden Musikschule überlassen.

Was würde eine solche Form der Kooperation in der Praxis bedeuten?

Für die Musikschulen, dass sie sich wirklich auf Vertragsverhandlungen auf Augenhöhe einlassen müssen, mit offenem Ausgang - statt wie bisher auch den „Honorarkräften“ ihre Bedingungen vorgeben und die Kolleginnen nahtlos, wie echte angestellte Kräfte, in ihr (Verwaltungs-)System integrieren zu können. Diverse Parameter der Verträge wären verhandelbar und beide Verhandlungspartner müssten um eine für beide Seiten befriedigende Lösung zwischen unternehmerischer und künstlerischer Freiheit einerseits und einer gewissen Integration in ein bestehendes Musikschulkonzept andererseits ringen.

Dass die Schule dabei von bestimmten Standards nicht abweicht und diese zur Bedingung einer Vertragsunterzeichnung machen kann, ist selbstverständlich - schließlich steht sie mit ihrem guten Namen öffentlich auch für die assoziierten freiberuflichen Pädagoginnen. Dass sie aber - von Lehrmaterial über Zeiten, Vorspiele, Konferenzen, Vertretungen etc. - diverse Parameter einfach nicht mehr vorgeben kann, ist auch offensichtlich. Und auch für die öffentliche Darstellung bedeutet das Einlassen auf ein „2-Säulen-System“, dass deutlich darauf hingewiesen wird, dass die Schule ab sofort sowohl selbst Anbieterin von Musikunterricht ist (durchgeführt von angestellten Lehrkräften) - als auch Vermittlerin des Unterrichts diverser assoziierter freier Pädagoginnen.

Für die Pädagoginnen, dass sie eine echte Wahl haben: entweder sie entscheiden sich für eine Anstellung mit allen Vorteilen der Versorgtheit, Sicherheit und Eingebundenheit - und den Nachteilen, zu Konferenzen, Vorspielen, Fortbildungen etc. verpflichtet werden zu können und ggf. Vorgesetzte zu haben, deren Anweisungen sie Folge leisten müssen. Oder sie wählen die Variante, unabhängig zu sein, mit allen unternehmerischen Risiken und der Pflicht zur Eigen-Versicherung und -Vorsorge, haben dann jedoch auch alle pädagogischen, künstlerischen und großteils organisatorischen Freiheiten, die lediglich durch die Vereinbarungen begrenzt werden, die sie mit der Institution ausgehandelt und freiwillig unterzeichnet haben.

Für die Schülerinnen und deren Eltern jedenfalls bedeutet die Inanspruchnahme von Unterricht einer Musikschule, die mit solch einem „dualen System“ arbeitet, eine echte Neuerung: Sie müssen sich daran gewöhnen, dass bei „ihrer“ Musikschule nicht mehr „alles gleich“ ist; dass es „Musikschullehrerinnen“ und assoziierte „freie Musikpädagoginnen“ gibt. Dass es nicht eine Tabelle von Unterrichtshonoraren gibt, sondern eine der angestellten Lehrerinnen – und eine jeweils eigene bei jeder freien Pädagogin. Dass sie die Unterrichtsverträge entweder mit der Musikschule - oder auch mit einer einzelnen Lehrerin schließen können. Und dass diese Verträge in ihrer Gestaltung durchaus voneinander abweichen können. Viele Schülerinnen bzw. Eltern werden das schnell verstehen - so wie sie verstehen, dass es steuertechnisch einen Unterschied bedeutet, ob ich einer Autohändlerin ein Fahrzeug aus deren Besitz abkaufe, oder sie mir nur gegen Provision ein Fahrzeug vermittelt, das nach wie vor einer Kundin gehört. Viele andere jedoch werden sich strikt weigern, das Konstrukt zu verstehen, werden Unterricht bei einer nur assoziierten freiberuflichen Pädagogin buchen, weiterhin jedoch die Musikschule als ihre Ansprechpartnerin sehen - die das in diesem Fall jedoch nur noch sehr begrenzt sein kann.

Ein solch gesplittetes System erfordert also von Beginn an extrem sorgfältige Kommunikation in allen Details, beispielsweise der Honorarabbuchung „im Auftrag von Herrn/Frau…“. Schon bei der Unterzeichnung eines Unterrichtsvertrags ist von allen Beteiligten größtmögliche kommunikative Sorgfalt und Transparenz über die jeweiligen Rollen von Musikschule und Pädagogin vonnöten. Will man kein vollständig geteiltes System (also auf der einen Seite eine subventionierte Musikschule, die ausschließlich angestellte Pädagoginnen beschäftigt, und auf der anderen Seite freie Musikpädagoginnen, die ohne jede Subvention und ohne Anbindung an örtlich etablierte Träger auskommen müssen), wird man daher um ein komplettes Neudenken der Zusammenarbeit der Musikschulen mit freien Pädagoginnen in der oben skizzierten Form nicht herumkommen. 

Sigurd Röhrig ist Musikpädagoge und DTVK-Mitglied und hat zwei Jahrzehnte ausschließlich von freiberuflich erteiltem Musikunterricht gelebt. Inzwischen arbeitet er seit vielen Jahren in Oldenburg in eigener Praxis („Oldenburger Werkstatt für Veränderung“) als Supervisor, Coach und Heilpraktiker für Psychotherapie – nicht nur, aber gern mit Musikerinnen und weiteren Künstlerinnen als Klientinnen.

DTKV: Sie haben zeitlebens als Freiberufler gearbeitet – wie viel davon in „Schein-Selbständigkeit“?

Röhrig: Das ist vernachlässigbar – am ehesten noch eine recht kurze Spanne, in der ich wöchentlich einen Nachmittag als „Honorarkraft“ für eine Musikschule tätig war, deren Träger ein Verein ist. Auch in einem Kinderheim, für das ich viele Jahre tätig war, fand ein „Bewerbungsgespräch“ statt, es gab finanzielle Vorgaben und eine Art „Abrechnungsformular für Mitarbeiter“. Praktisch war ich aber auch dort völlig frei in der Ausgestaltung meiner Arbeit und habe es eher bedauert, eben nicht ins Team eingebunden zu sein. Ich hatte über die ganzen Jahre Schlagzeugschülerinnen und habe Kurse in meinem eigenen Unterrichtsraum gegeben, die ich auch selbst beworben und akquiriert habe.

DTKV: Das deckt sich mit der Tätigkeit diverser freiberuflicher Musikpädagoginnen. Wie kommen Sie nun auf Ihr Kooperations-Modell?

Röhrig: Ziemlich nah an das von mir vorgeschlagene Modell kam meine Arbeit in diversen Kindergärten, in denen ich vormittags Kurse in musikalischer Früherziehung gab: ich habe den Kindergarten aufgesucht und meine Leistung (spielerischer Musikunterricht nach einem eigenen Konzept unter dem Namen „Ohrenzauber – Musik entdecken im Kindergarten“) angeboten. Dann habe ich mit der Einrichtung einen Kooperationsvertrag geschlossen – und dort Werbung für mein Angebot gemacht, das Konzept bei einem Elternabend vorgestellt, eigenständig die Kurse zusammengestellt und mit allen Eltern einen Unterrichtsvertrag geschlossen – auch das Inkasso habe ich übernommen, der Kindergarten musste sich um nichts kümmern. Alle waren zufrieden; die Kindergärten hatten ein musikalisches Angebot als zusätzliches Qualitätsmerkmal – und die Eltern mussten ihre Kinder nicht nachmittags zur Musikschule fahren. Die Kooperation fand also mit den Einrichtungen statt, für die örtliche Musikschule war ich eher Konkurrenz – und Nachwuchs-Zulieferer…

DTKV: Das haben Sie in Ihrem Artikel dann auf die Musikschulen übertragen und weiter gedacht: Sie legen also den Musikschulen nahe, initiativ zu werden und ähnlich kreative Kooperationswege zu finden. Zudem haben Sie berichtet, dass Sie auch im Rahmen Ihrer Praxis mit dem Thema der „Schein-Selbständigkeit“ konfrontiert sind?

Röhrig: Das stimmt – genau wie im Bereich der Musikschulen gibt es bei anderen Bildungsträgern die Gepflogenheit, Lehr- und Dozenten-Tätigkeiten an „Honorarkräfte“ auszusourcen. Ich habe mir inzwischen das Selbstbewusstsein erarbeitet, auf Augenhöhe zu verhandeln. Und ich verkaufe meine Leistung zu meinen Konditionen – oder lasse es. Immer noch jedoch versuchen Institutionen, mich als „Mitarbeiter“ zu vereinnahmen; das hat eine lange Tradition. 

Und umgekehrt kam es vor, dass eine Institution aus dem sozialen Bereich bei mir ein Coaching für einen Mitarbeiter eingekauft hat – inhaltlich frei, in meiner Praxis, zu meinen Konditionen, zu meinen Terminen, von mir zuzüglich Mehrwertsteuer berechnet – und sich die Buchhaltung der Institution anschließend geweigert hat, meine Rechnung zu begleichen. 

Bevor sie zahlen, müsse ich nachweisen, dass ich nicht scheinselbständig sei, hieß es – obwohl die Zusammenarbeit kein einziges der einschlägigen Kriterien für Scheinselbständigkeit erfüllte. Für mich ist das schon hysterisches Gebaren, begründet in dem Umstand, dass die Institution in einem anderen Bereich unter juristischem Druck steht, jahrelang praktizierte Scheinselbständigkeit plötzlich unterlassen zu müssen; plötzlich stimmen dort die Kalkulationen nicht mehr – und die Mitarbeiter fehlen…  

Da ist jemand deutlich übers Ziel hinausgeschossen und hat „das Kind mit dem Bade“ ausgeschüttet – eine deutliche Parallele zur Situation in einigen Musikschulen. Die Angst juristisch mangelhaft informierter Entscheidungsträger, in Regress genommen zu werden, gepaart mit der Unfähigkeit, kreativ nach neuen Lösungen zu suchen, hat zumindest in dieser Institution für die Stilllegung ganzer Geschäftsbereiche gesorgt. 

Für die Musikschulen wünsche ich mir, dass es nicht bundesweit so weit kommt, sondern dass die Verantwortlichen pragmatisch saubere Lösungen finden. 

Es geht halt kein „weiter wie bisher“ – das muss aber keine Katastrophe sein, sondern kann auch beflügeln und Ressourcen freisetzen.

  • Anmerkung des Autors: 
    In diesem Beitrag wird das „generische Femininum“ benutzt – es sind stets zugleich auch die männlichen und diversen Kolleginnen gemeint.
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