50 Jahre erfolgreiche Gewerkschaftsarbeit: Anlass für die Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer (VdO) zu feiern. Geladen waren neben den Funktionsträgern des Berufsverbands auch Freunde und Gäste. Dass zu diesen auch die erste Garde des Deutschen Bühnenvereins – in Tariffragen der Antipode der VdO – gehört, macht deutlich, dass über allen Auseinandersetzungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern im Theater die Liebe zur Kultur steht – und der Wunsch, diese zu bewahren. Dieser gemeinsame Wille stand Pate bei den Hauptrednern des Tages. Tobias Könemann, Geschäftsführer der VdO, sprach von den Aufgaben, die gegenwärtig anstehen und auf die VdO in Zukunft zukommen. Die Sicherung der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Mitglieder ist dabei nur eine unter vielen. Über allem aber steht die Erkenntnis vom Wert der Kultur. Christian Kröber berichtet von der Podiumsdiskussion über die szenische Chorarbeit, die im Zentrum der Festveranstaltung stand. Im Anschluss zitieren wir aus den Ansprachen von Tobias Könemann, Rolf Bolwin und Klaus Zehelein.
Wenn die VdO, die „Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer e.V.“, 50. Geburtstag feiert und diese Veranstaltung unter das Motto stellt „Die Bühne lebt“, dann erwarten Öffentlichkeit und Interessierte nicht nur ein glänzendes Fest der deutschen Opernchöre, sondern auch eine Standort- und Situationsbeschreibung der deutschen Kulturlandschaft in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise.
Schließlich vertritt die VdO als Berufsverband die kulturellen, sozialen, rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen aller organisierten deutschen Chorsänger und Bühnentänzer. Doch nicht die Streitigkeiten um Manteltarifverträge und andere gewerkschaftliche Anliegen sollten im Mittelpunkt des Festaktes im geschmackvoll wieder errichteten Jagdschloss Platte stehen, sondern eine veritable Podiumsdiskussion zum Thema „Potenziale szenischer Chorarbeit“.
Katharina Wagner, Peter Konwitschny und Klaus Zehelein repräsentierten dabei den Teil der künstlerischen Arbeitgeber, die sich mit den Belangen „des Chores“, vertreten durch VdO-Geschäftsführer Tobias Könemann, dem frisch gekürten VdO-Ehrenvorsitzenden Winfried Knoll und Vera Freese, Opernchor Bielefeld, im munteren Schlagabtausch unter der Spielführung von Theo Geißler, nmz, auseinandersetzten.
„Wenn man anfängt, hat man erst einmal Angst vorm Chor.“ Mit diesem offenherzigen Statement eröffnete Peter Konwitschny die Podiumsdiskussion. Der Chor als fremdes Wesen, als ein Kollektiv, das der Einzelne, der Regisseur, nur schwer zu bewegen versteht, war eine Botschaft, die auch Katharina Wagner unterstreichen konnte. Freilich hatten beide von keinen wirklich negativen Erfahrungen zu berichten. Und wenn die Bayreuther Theaterleiterin forderte, vom Chor verlange sie dasselbe, was sie auch von Solisten oder dem Publikum erwarte – dass jeder sich zunächst anhört, was sich der Regisseur konzeptionell ausgedacht hat – dann mochte ihr auch im fachkundig besetzten Publikum niemand widersprechen.
Dass Begeisterungsfähigkeit und künstlerische Spitzenergebnisse aber auch mit viel Arbeit zusammenhängen, darauf wies Klaus Zehelein immer wieder hin, der ein Aufstocken der Chorproben nachhaltig einforderte. „Vor dem Erfolg liegt die Disposition, und das ist das Wesentliche.“
Was ist dabei nun die Aufgabe der VdO? „Wir haben als Gewerkschaften oder als Berufsverbände natürlich bei der Festlegung von Berufsbildern und dergleichen durchaus ein echtes Mitspracherecht und auch eine echte Mitgestaltungsmöglichkeit“, so Tobias Könemann, der zusammen mit dem stellvertretenden Geschäftsführer, Gerrit-Michael Wedel, obzwar Jurist, eben auch aus Liebe zum Theaterberuf bei der VdO gelandet ist.
Die Besonderheit dieses gewerkschaftlichen Verständnisses, das den VdO nunmehr seit 50 Jahren prägt, brachte Könemann eindrücklich auf den Punkt: „Es geht nicht ohne Regeln. Andererseits sehe ich den Tarifvertrag in seiner Praxis natürlich auch als Dilemma. Wir wollen, dass Kunst entsteht; wir wollen aber auch, dass unsere Mitglieder sozial und materiell geschützt sind. Letzten Endes geht es darum, gemeinsam das Beste für die Kunst und für die Künstler zu erreichen.“ Dem war nichts mehr hinzuzufügen.
Christian Kröber
Tobias Könemann, Geschäftsführer der VdO
„... Wenn man verfolgt, mit welcher Leichtigkeit der Fiskus einerseits nicht nur Banken, sondern alle möglichen – meist selbst verschuldet – in Bedrängnis geratenen Bereiche der Privatwirtschaft mit dem sich anscheinend nie abnutzenden Argument des (oft genug nur vermeintlichen) Arbeitsplatzerhalts mit schwindelerregenden Summen unterstützt, andererseits aber in dem von ihm selbst verantworteten Kulturbereich seit Jahren mit dem ebenfalls notorischen Argument der Mittelknappheit tausende und abertausende Arbeitsplätze vernichtet, so muss man sich zum einen fragen, an welcher Stelle im Prioritätengefüge von Politikern aller Parteien das Bekenntnis zum Kulturstaat eigentlich wirklich steht, zum anderen, wieviel volkswirtschaftliche und gesellschaftspolitische Ignoranz hier eigentlich konzentriert ist oder – was mindestens so schlimm wäre – welchen Partikularinteressen man sich zu Lasten des gesamten Gemeinwesens eigentlich verschrieben hat …
Kultur mag – rein juristisch gesehen – im Kommunalrecht den Rang einer sogenannten ‚freiwilligen Aufgabe‘ haben. In Wirklichkeit aber ist sie viel mehr:
Sie ist unabdingbarer Bestandteil einer gesunden gesellschaftlichen Entwicklung. Sie ist einer der fruchtbarsten Bereiche der Selbst-Reflexion einer Gesellschaft, die wiederum notwendig ist, um für die Zukunft richtige Entscheidungen treffen zu können.
Sie ist – und dies gilt ganz besonders für das Theater – ein Platz, an dem Modelle gewaltfreier Konfliktverarbeitung und -lösung auf allen Ebenen, von der familiären bis zur politischen, entwickelt und erprobt werden können, an dem neue Gedanken ohne Bindung an die Sachzwänge von Realitäten keimen und gedeihen können.
Sie wirkt Gleichgültigkeit und Abstumpfung entgegen.
Sie ist eine Plattform und ein Katalysator gesellschaftlicher Integration.
Sie ist identitäts- und damit selbstbewusstseinsstiftend …
Und – last not least – ist sie ein bedeutender volkswirtschaftlicher Faktor, der weit davon entfernt ist, ein Fass ohne Boden für verlorene Zuschüsse zu sein … All dies muss die Kräfte, die zu dieser Erkenntnis gelangt sind, zu gemeinsamer und solidarischer Aktion bringen, um die Kultur als Staatsaufgabe ein für alle Mal festzuschreiben und die Umsetzung dessen auf allen Ebenen zu fördern und – wo nötig – zu erkämpfen.
Eine berufsverbandlich organisierte Künstlergewerkschaft kann sich optimal den besonderen Bedürfnissen ihrer Mitglieder widmen und ist naturgemäß von hohem spezifischem Sachverstand geprägt – aber sie ist auch naturgemäß ziemlich klein. Dies begrenzt ihre Möglichkeiten, außerhalb ihres unmittelbaren Wirkungskreises Entwicklungen zu beeinflussen. Die Künstlergewerkschaften und -verbände müssen sich daher – davon bin ich überzeugt – so schnell wie möglich zu einem Kartell zusammenschließen, in dem sie, anders als in einer einheitlichen und von den Interessen zahlenmächtiger Mehrheiten geprägten Großorganisation, die in diesem Bereich – auch davon bin ich überzeugt – nicht der richtige Weg ist, ihre jeweils berufsverbandliche Individualität und Eigenständigkeit behalten, dennoch aber – etwa in den wichtigen sozial- und kulturpolitischen Fragen – mit der notwendigen Mächtigkeit auftreten können, um gemeinsamen Interessen Gehör zu verschaffen …“
Rolf Bolwin, Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins
„... Acht Milliarden Euro kostet die öffentliche Hand Kunst und Kultur, das sind 0,8 Prozent aller öffentlichen Ausgaben. Ein Viertel davon fließt in die Theater und Orchester. Eine schöne Summe, die die öffentlichen Haushalte jedoch in ihrer Gesamtheit nicht ruinieren wird. Künstlerisch erlaubt sie eine Vielfalt ohnegleichen …
Kunst und Kultur wurden so wesentliche Bestandteile unserer eigenen Geschichte, sind aber zugleich auch aus unserer Zukunft nicht wegzudenken. Kunst und Kultur öffentlich zu fördern sollte uns deshalb ein besonderes Anliegen sein. Angesichts dessen finde ich eine vielerorts geführte aktuelle Debatte nahezu absurd. Kunst und Kultur, so heißt es oft aus dem Munde von Kämmerern, seien eine freiwillige Aufgabe.
Dort müsse zuerst gespart werden, wenn gespart werden müsse. Dies ist juristisch der bare Unsinn und lässt sich nirgendwo aus den Regelungen der Kommunalfinanzierung ableiten. Hier ist unser gemeinsamer Widerstand gefragt, dessen Motto zu lauten hat: Kunst ist mehr als eine freiwillige Aufgabe. Sie zu pflegen und zu fördern ist Pflicht für ein Land, das sich gerne als ein Kulturland feiern lässt …
Die Frage ist doch, was uns veranlassen muss, mit aller Kraft um den Erhalt unserer Theater und Orchester zu streiten. Ich glaube, es geht um eine gesellschaftspolitische Frage. Die Gesellschaft wird heutzutage nach meiner – und nicht nur meiner – Beobachtung von zwei Phänomenen geprägt: dem der Individualisierung und dem der Kommerzialisierung. Was bedeutet das? Zum einen ist eine immer weiter fortschreitende Zersplitterung der Gesellschaft in zahlreiche, oft sich widersprechende Partikularinteressen zu beobachten … Das Interesse an der Gestaltung des Gemeinwesens ist erschreckend rückläufig, Wahlbeteiligungen von 50 Prozent und weniger sind ein schlagender Beweis für diese Entwicklung. Zum anderen ist ein Vordringen des Kommerziellen in alle Lebensbereiche zu beobachten. Wer nicht weiß, wovon die Rede ist, möge sich das Fernsehen der 60er- und 70er-Jahre des vorhergehenden Jahrhunderts ansehen und es mit dem heutigen Fernsehen vergleichen. Die Werbeästhetik bestimmt das Bild im öffentlichen Raum.
Inhaltliches wird vom Kommerziellen überlagert. Ein Stadion, das früher „Glück-auf-Stadion“ hieß, trägt heute den Namen „Veltins-Arena“, in einem Land, das sich mal darüber erregte, dass im anderen Teil Deutschlands Fußballvereine den Namen „Dynamo Dresden“ oder „Lokomotive Leipzig“ trugen. Beiden Entwicklungen muss die Gesellschaft und müssen die, die in ihr Verantwortung tragen, entgegentreten. Wir brauchen deshalb öffentliche Räume, die der kollektiven Wahrnehmung und dem öffentlichen Diskurs dienen. Diese Räume müssen, um dem Kommerziellen nicht anheim zu fallen, öffentlich finanziert werden und bleiben, will man ihre Unabhängigkeit nicht preisgeben. Öffentlich finanzierte Einrichtungen von Wissenschaft, Bildung und Kultur sind ein Teil unserer Freiheit und unverzichtbarer Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft … Diese Freiheit der Kunst – und der Wissenschaft – ist als Grundrecht in unserer Verfassung verankert …
Wir haben ein gemeinsames großes Anliegen: den Erhalt unserer Stadttheater. Dazu brauchen wir auch starke Künstlergewerkschaften, die sich für die Interessen der Künstler und den Erhalt ihrer Arbeitsplätze einsetzen, auch wenn dies manchmal für die Arbeitgeberseite etwas ungemütlich ist. In diesem Sinne gratuliere ich der VdO von Herzen zu ihrem 50. Geburtstag und wünsche ihr eine glückliche und auch erfolgreiche Zukunft. Sie wird es nur geben, da bin ich sicher, mit dem Stadttheater. Gelingt uns gemeinsam dessen Bestandssicherung, ist es mir auch um die Zukunft einer Künstlergewerkschaft nicht bange … „Ohne Theater geht es nicht“, heißt es bei Tschechow in der „Möwe“, oder beim Bühnenverein kurz und knapp, wie es seine Art ist: Theater muss sein.
Klaus Zehelein, Präsident des Deutschen Bühnenvereins
Seit September letzten Jahres wissen wir, dass wir in einer ganz schweren Zeit leben. Wir haben geglaubt, dass die Theorie und die Praxis der Ökonomie den Realitätssinn haben, den wir immer voraussetzten … Dem war nicht so.
Die Ökonomie, die Finanzwelt, hat sich in eine zweite Welt katapultiert, die sie für real hielt. Aber es stellte sich heraus, dass diese zweite Welt eine absolute Fiktion ist – die in eine Katastrophe mündete.
Wir vom Theater wissen, dass auch wir eine zweite Welt herstellen. Aber wir wissen von dieser Welt, dass sie Schein ist. Sie ist Schein, weil sie ein Feld des Experiments ist. Was wir machen, ist eine zweite Welt, die von ihrem Schein weiß. Das unterscheidet uns grundsätzlich von der Ökonomie …
Wir – im Theater und in der Kultur – haben genau jene Themen, die sträflich vernachlässigt wurden in dieser ökonomischen Debatte … Bei uns geht es doch um Solidarität – und wenn es um den Eigennutz geht, dann wird er kritisch durchleuchtet.
Ich möchte den Politikern ganz klar sagen: Warum sollen ausgerechnet wir uns an den Spargeschichten beteiligen, obwohl wir genau das Gegensätzliche zur Verhandlung in die-se Gesellschaft bringen? Was ist es denn, was die Gesellschaft jenseits der materiellen Interessen zusammenhält?
Ist es diese Art der Ökonomie, sind es diese fiktionalen, ja uns fast traumatisierenden Momente dieser gesellschaftlichen Krise?
Es ist geradezu atemberaubend, wenn man gerade von uns verlangt – und wir müssen uns hier absolut solidarisch zeigen – dass wir uns an dieser Spargeschichte beteiligen sollen. Wir sind das Zentrum der Gesellschaft, nicht die Ökonomie.
Wir sollten solidarisch zusammenhalten – bei allen Interessensunterschieden zwischen VdO und Bühnenverein …
Natürlich geht Solidarität nicht so weit, dass man die Interessensunterschiede eindampft. Aber gerade in der heutigen Zeit sollten wir eine bestimmte Form der Solidarität untereinander pflegen, nämlich die Solidarität zum Theater-Ganzen.
50 Jahre VdO! Ich habe immerhin 15 Jahre davon als Intendant der Staatsoper Stuttgart miterlebt. Ich hatte in Stuttgart bei allen Interessensunterschieden immer den Eindruck, dass, wenn man an das glaubt, was man tut, nämlich Kunst für eine Gesellschaft zu machen, die gerade verödet und sich mittlerweile durch Einschaltquoten definiert, dann kommt man auch zusammen.
Videobericht über die VDO-Demonstration am 5. November 2009 in Berlin unter www.nmz.de/media