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Daniela Stork. Foto: JMD
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Ein Gegenpol zum beschleunigten Leben

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Daniela Stork, Präsidentin der Jeunesses Musicales Deutschland, im nmz-Gespräch
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Ende 2013 wählte die Mitgliederversammlung der Jeunesses Musicales Deutschland (JMD) die 40-jährige Daniela Stork zur neuen Präsidentin, noch jünger sind vier der weiteren acht Vorstandsmitglieder des Jugendverbandes. Nach einem Studium generale im Leibniz Kolleg in Tübingen (1993/94) studierte Stork Angewandte Kulturwissenschaften an der Universität zu Lüneburg mit den Schwerpunkten Musikwissenschaften und BWL. Bereits während des Studiums organisierte sie 1996 als Praktikantin bei der JMD die Generalversammlung der Jeunesses Musicales International (JMI) in Weikersheim. Es folgte Mitarbeit in verschiedenen Gremien, Teilnahme an den Generalversammlungen in den Niederlanden (1997) und der Elfenbeinküste (1998). Stork war Repräsentantin der JMI im European Youth Forum (1997/98) sowie Präsidiumsmitglied der JMD von 2004 bis 2008. Andreas Kolb sprach mit der neuen Präsidentin über ihre Pläne.

neue musikzeitung: Was machen Sie, wenn Sie nicht als Präsidentin der Jeunesses Musicales Deutschland unterwegs sind?

Daniela Stork: Ich bin Mutter von zwei Kindern, vier und sieben Jahre alt. Außerdem arbeite ich als Director Events bei dem Hallenbetreiber SMG Entertainment Deutschland in Oberhausen.

nmz: Veranstalten ist also Ihr Beruf. Das haben Sie sicher auch bei der Jeunesses gelernt?

Stork: Ja, tatsächlich habe ich meine ersten beruflichen Erfahrungen dazu bei der JMD gemacht.  

nmz: Wie kamen Sie zur Musik?

Stork: Ganz klassisch: Nach der musikalischen Früherziehung probierte ich verschiedene Instrumente aus. Während der Schulzeit spielte ich Querflöte, unter anderem im Schulorchester. Mit den evangelischen Schulen im Rheinland haben wir einmal im Jahr eine Musikfahrt gemacht, und die ging 1990 nach Weikersheim. Ich merkte, wie viel Spaß es macht, eine Woche lang mit Gleichgesinnten zu musizieren, wie viel Potenzial man dabei an sich selbst entdeckt, das man im Einzelunterricht mit dem Lehrer überhaupt nie erfahren könnte. Auch der besondere „Geist“, mit dem hier gearbeitet und musiziert wird, hat mich nachhaltig beeindruckt – es gibt ihn tatsächlich, den  „Weikersheim-Effekt“.

nmz: Zuerst Teilnehmerin, dann Praktikantin, jetzt Chefin ...?

Stork: Ich habe mich relativ früh für die andere Seite, für das Organisatorische im Kulturbetrieb interessiert. Ein ehemaliger Lehrer riet mir zu einem Praktikum bei der Jeunesses Musicales. Also fuhr ich 1996 nach Weikersheim, hatte ein Gespräch mit dem damaligen Generalsekretär Thomas Rietschel und wollte eigentlich zum Internationalen Opernkurs ein Praktikum machen. Rietschel lernte in dem Gespräch meine Begeisterung für Sprachen, fürs Reisen und fremde Kulturen kennen und meinte, ich müsse die Generalversammlung der JMI organisieren. Das hat einen Riesenspaß gemacht. Ich war im Generalsekretariat komplett eingebunden in die Gesamtorganisation. Ich habe die Jeunesses dadurch sehr gut kennengelernt. Das war der Einstieg in die JMD und gleichzeitig auch in meinen späteren Beruf.

nmz: Ihr nächstes großes Projekt war das Venezuela-Projekt. Wer hat Sie da angefragt?

Stork: Ich arbeitete damals in der AG Internationales der JMD mit, und unter anderem saß da auch Detlef Hahlweg, der als der deutsche Entdecker des venezolanischen Jugendorches-tersystems gilt. Er hat mir davon erzählt, genau zu dem Zeitpunkt, als ich ein Thema für meine Magisterarbeit suchte. Mit einer nur vagen Vorstellung aber viel Optimismus im Gepäck bin ich nach Venezuela gereist und wurde mit offenen Armen empfangen. Die Dimension der dortigen Jugendorchesterarbeit übertraf meine Erwartungen bei weitem! Drei Monate lang durfte ich quer durchs Land reisen, vom Regenwald bis in die Anden und mir dabei die kleinsten Projekte bis zu den größten Musikzentren anschauen. Dabei lernte ich das „Sistema“ von Kopf bis Fuß kennen und schrieb anschließend meine Magisterarbeit darüber. Zu der Zeit bereitete die JMD die erste Tournee des venezolanischen Kinderorchesters in Deutschland vor, und ich hatte natürlich so etwas wie einen „Expertenbonus“ und war in diesen Projekten immer involviert: als Betreuerin, als Mit-Organisatorin, als Sprachrohr nach Venezuela, bei vielen Reisen nach Venezuela mit jungen Dozenten, mit Dirigenten, in unterschiedlichster Konstellation. Das hat sich eigentlich die ganzen Jahre durchgezogen. Im Endeffekt war es dann so, dass wir die letzte und größte Tournee der Venezolaner 2007 dann mit SMG veranstaltet haben. Diese frische, unverbrauchte Herangehensweise der Venezolaner – nicht immer mit dem „Ballast“ von 1.000 Jahren Kulturgeschichte – das ist durchaus etwas, von dem man hierzulande etwas lernen kann.

nmz: Hat die Jeunesses von der Idee „Venezuela“ profitiert?

Stork: Es war gut und richtig und wichtig, dass unser Verband sich damit beschäftigt hat. Es war unser Thema, und wir haben damit in Deutschland viele Steine ins Rollen gebracht: Das zeigt sich heute noch zum Beispiel in Initiativen wie JeKi.

nmz: Sieht man den Altersdurchschnitt des neuen JMD-Vorstandes, der unter 34 Jahre gerutscht ist, ist man versucht zu sagen: Die Jeunesses erlebt eine Zeitenwende, und Sie sind die „Anführerin“. Was haben Sie denn vor?

Stork: Nicht nur das Alter ist bemerkenswert, wir haben es geschafft, dass wir 50 Prozent Frauenanteil haben – ganz ohne Quote! Das bringt natürlich viele frische Gedanken, viel frischen Wind mit hinein. Einen Neuanfang müssen und wollen wir zwar nirgends machen, aber wir müssen dem allgemeinen Wandel der Gesellschaft Rechnung tragen. Ich denke da an das Thema „Kurse“. Inwiefern erfüllen unsere Kurse heute wirklich noch die Bedürfnisse von Jugendlichen? Was brauchen Jugendliche, was interessiert sie? Da kommen wir im direkten Schluss auf unsere Jugendinitiative „mu:v“. Der Name ist Programm: mu:v heißt „Musik verbindet“ oder „move“, in Bewegung sein. mu:v hat 2007 begonnen, als sich Jugendliche in Weikersheim gesagt haben: Wir möchten viel zentraler und näher am Geschehen der Jeunesses sein, wir sind die Zielgruppe, also müssen wir auch die Themen selbst mitgestalten – von Jugendlichen für Jugendliche.

nmz: Wohin bewegt sich mu:v?

Stork: Da gibt es momentan zwei Facetten. Die eine ist das mu:v-Camp mit Workshops und Seminaren. Das findet alle zwei Jahre in Weikersheim statt – jetzt, Ende Juli bis Anfang August – und da kommen ganz viele Jugendliche zusammen, die alle in irgendeiner Weise musikinteressiert sind, aber aus allen Stilrichtungen.
Das andere ist „mu:vDEINprojekt“. Hier geht es um den dezentralen Ansatz: Jemand sitzt in Berlin, Weimar oder Aachen und möchte ein Projekt auf die Beine stellen, braucht aber eine gewisse Unterstützung, um sein Projekt selbst umzusetzen. Hier ist die JMD ein guter Ansprechpartner. Wir haben in einem bundesweiten Modellprojekt Erfahrungen gesammelt und Methoden entwickelt, um Jugendliche anders zu unterstützen als mit Patentrezepten oder Vorratswissen. 

nmz: Ist das Thema Partizipation im Verband hauptsächlich an mu:v festgemacht?

Stork: Nein, Partizipation ist seit jeher einer der Wertekerne der Jeunesses. Partizipation finden wir in 99 Prozent unserer Aktivitäten und unseres Jeunesses-Lebens. Das fängt in der Gremienarbeit an, wo wir Hospitanten, also ganz junge Menschen, in die Präsidiumsarbeit einbinden, die so den Verband auf der Ebene des Präsidiums kennenlernen. Wir haben immer junge Leute, die in unseren AGs mitarbeiten, wir haben spezielle Kurse, die Partizipation als Thema haben, zum Beispiel das Fortbildungsangebot „Jugendorchesterassistent“: Wie kann ich selbst mehr in die Hand nehmen in meinem Jugendorchester vor Ort?

nmz: Welche neuen Aufgaben stellen sich Ihnen?

Stork: Wir werden unsere Projekte, Kurse, unsere gesamten Angebote auf den Prüfstand stellen. Da ist zum Beispiel der Deutsche Jugendorchesterpreis, den wir aktuell inhaltlich neu konzipiert und auch grafisch neu gestaltet haben. Auch mit dem Bundeswettbewerb „Jugend komponiert“, der nächstes Jahr sein 30-jähriges Jubiläum hat, setzen wir neue Akzente.Vor allem kompositionspädagogische Ansätze werden noch einmal neu beleuchtet, ein Thema, bei dem die JMD jetzt führend auftritt. Wir haben ein neues Projekt aus der JMI-Familie nach Deutschland geholt: die Ethno-Camps. Ein erstes Camp 2013 wurde vom Landesverband Rheinland-Pfalz durchgeführt: Folkmusik-begeisterte Jugendliche aus aller Welt kommen da zusammen und bringen einander innerhalb einer Woche Tunes der Musik ihrer jeweiligen Heimatländern bei. Am Ende werden diese verschiedenen Tunes zu einem großen Konzert zusammengewoben – ein total spannendes und sehr „Jeunesses-iges“ Projekt.

Ein weiteres Projekt ist momentan die Erweiterung unserer Infrastruktur in Weikersheim, wo die Pläne für eine neue Konzert- und Veranstaltungshalle konkret Gestalt annehmen. Am Tauberufer gegenüber dem Logierhaus der Musikakademie wird ein Bau entstehen, dessen Herzstück ein Konzertsaal mit 650 Plätzen und einer für Sinfoniekonzerte optimierten Raumakustik bildet. Mit diesem Kulturbau, der zugleich beste räumliche Möglichkeiten für Tagungen, Kongresse und Seminare bietet, wird die JMD ihre Musikakademie Schloss Weikersheim als „World Meeting Center“ der JMI und Jugendorchesterzentrum in Deutschland noch attraktiver machen können.

nmz: Stichwort Finanzen: Es gibt Förderungen von Bund, Land und Stadt Weikersheim, aber Drittmittel sind ja heute das A und O. Welche neuen Konzepte und Ideen gibt es da?

Stork: Unser Generalsekretär Uli Wüster verwendet immer mehr Zeit darauf, besagte Drittmittel aufzutreiben. Wir haben eine Reihe von öffentlichen Förderern, die uns seit vielen Jahren treu sind und verlässlich unterstützen – allen voran das Bundesjugendministerium und das Bundesministerium für Bildung, und auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat kürzlich noch einmal persönlich bekräftigt, dass ihre Förderung für die Jeunesses sicher ist. Dafür sind wir dankbar. Der Anteil öffentlicher Zuwendungen deckt dennoch weniger als 50 Prozent unseres Finanzbedarfs. Wir haben einen Freundeverein, der sehr rührig ist, es gibt eine JMD-Stiftung, und wir haben einige private Mäzene, die die Arbeit der Jeunesses unterstützen, viele Stiftungen aus der Wirtschaft, die hier und da etwas fördern. Aber für jede Unterstützung muss man neu „auf die Straße“, und es ist eine Tatsache, dass es uns viel Zeit kostet, diese Mittel zu beschaffen.

nmz: Wie sieht die Perspektive aus, wie soll die JMD in zehn Jahren dastehen?

Stork: Ich glaube, dass wir mit unseren Grundinhalten absolut auf dem richtigen Weg sind. Die Jeunesses war immer ein Ort, an dem sich Menschen aus persönlicher Begeisterung heraus engagieren, gemeinsam eine Vision für ein junges Musikleben entwickeln und dafür die Dinge in Bewegung bringen. Im deutschen Musikleben haben wir mit unseren Initiativen und Wettbewerben immer wieder wichtige Impulse gegeben. Grundsätzlich wollen wir noch mehr auf die Bedürfnisse der Jugend eingehen. Ein großes Thema wie die Digitalisierung unserer Welt – die Kinder können nicht mehr ohne ihr iPhone leben, alles muss schnell, sofort greifbar und ganz einfach und easy und auf einen Mausklick irgendwie zu haben sein –, das ist eine Entwicklung, die können auch wir als Jeunesses nicht aufhalten. Aber vielleicht können wir in gewisser Weise einen Gegenpol zu diesem beschleunigten Leben setzen. Der zweite wichtige Aspekt: Wir wollen auch ein Ort sein, wo Jugendliche ihre Potenziale entfalten dürfen. Wir freuen uns über alle engagierten, mitdenkenden, visionären, neugierigen, tatkräftigen jungen Leute, die als Leistungsträger diese Ideale auch weitertragen. Die Jeunesses Musicales Deutschland wird auch in zehn Jahren der Ort sein, wo man so etwas umsetzen kann. 

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