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Ein Jahr #MeToo - Was hat es bewirkt?

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Berlin - Die Debatte begann vor einem Jahr. Über kaum ein Thema wurde so hitzig diskutiert wie über #MeToo. Augenrollen oder echter Wandel - was hat die Diskussion bewirkt?

Es war die Beerdigung von Aretha Franklin, einer Legende. Der Bischof legte seinen Arm um Sängerin Ariana Grande und griff dabei an ihren Busen, danach hat er sich entschuldigt. Für Grande war es auf der Bühne ein peinlicher Moment, den viele Frauen gut nachvollziehen können. Sie hat die Hand des Mannes nicht zurückgeschoben. Vielleicht hat sie es so schnell nicht gemerkt. Oder sie hat gedacht: lieber keinen Aufstand machen.

Das war lange bei vielen Frauen die Regel: Lieber nichts sagen, das bringt nur Ärger. Seit einem Jahr gibt es für Momente, wie ihn Ariana Grande erlebt hat, einen Ausdruck: «MeToo», das heißt so viel wie «ich auch» oder «das ist mir auch passiert». Es begann damit, dass am 5. Oktober 2017 die ersten Berichte über den Hollywoodmogul Harvey Weinstein erschienen, die das Bild eines skrupellosen und brutalen Mannes zeichneten, der Frauen gegenüber seine Macht schamlos ausgenutzt habe.

Unter dem Schlagwort #MeToo machten sich danach viele Frauen und auch einige Männer Luft, über das, was sie erlebt haben - von blöden Sprüchen, Grapschern über Machtmissbrauch bis zur jahrelangen Gewalt. Es wurde eine weltweite Bewegung, von China bis Schweden. Mehr als 18 Millionen Mal wurde #MeToo innerhalb des vergangenen Jahres getwittert, wie eine Auswertung des dpa-Monitoringdienstes Buzzrank ergab.

Die Ausläufer der Bewegung reichen bis in deutsche Büros, Familien und Freundeskreise. Viele nie gehörte Geschichten tauchten auf. Ob es der schmierige Onkel war, der grapschende Kollege oder der Fremde, der in der Straßenbahn onaniert - kaum eine Frau, die nicht so etwas erlebt hat. Plötzlich erzählen Mütter ihren Töchtern von Dingen, für die sie bisher keinen Namen hatten, einfach hingenommen hatten. Auch wenn sie im ersten Moment sagen: «Mir ist so etwas nie passiert.»

Doch wie groß ist das Problem überhaupt? Im Jahr 2017 wurden bei der Polizei mehr als 11 000 sexuelle Nötigungen und Übergriffe erfasst - die überwältigende Mehrheit der Opfer ist weiblich. Eine EU-weite Studie aus dem Jahr 2014 kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass nur ein Bruchteil der Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, überhaupt zur Polizei geht oder sich bei anderen Organisationen Hilfe sucht. Nach einer aktuellen Forsa-Umfrage ist jede vierte Frau in Deutschland an ihrem Arbeitsplatz Opfer sexueller Belästigung geworden.

Für die einen war #MeToo also überfällig und eine Befreiung, für andere war es jedoch ein Krampf - was darf man noch? - und eine Hexenjagd. In vielen Ländern hatte die Debatte heftige Folgen, viele Prominente stürzten über die Vorwürfe sexuellen Missbrauchs, allen voran Weinstein und «House of Cards»-Star Kevin Spacey.

In Deutschland spielte sich die Debatte bislang hauptsächlich in der Fernseh- und Filmbranche ab, größere Fälle aus der Politik oder der Wirtschaft: meist Fehlanzeige. Entweder gab es sie nicht oder sie wurden nicht bekannt. Für Aufsehen sorgte jüngst lediglich, dass die Führungsriege der Berliner Stasiopfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen nach einer Affäre um sexuelle Belästigung geschasst wurde.

Deutschlands bekanntester #MeToo-Fall bleibt allerdings ein Regisseur: Die «Zeit» veröffentlichte nach intensiver Recherche schwere Anschuldigungen von Schauspielerinnen gegen Dieter Wedel - sie reichten bis hin zur Vergewaltigung. Er stritt alles ab und verlor seinen Posten als Intendant der Festspiele von Bad Hersfeld. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt weiter wegen eines Vorwurfs des sexuellen Übergriffs .

Auffällig hierzulande: Bis auf Wedel sind keine wirklich großen Namen genannt worden. Die Debatte sei in Deutschland völlig anders verlaufen als in den USA, sagt Schauspielerin Jasmin Tabatabai. «Wir Deutschen haben eben weniger Bock auf Skandal, die Mentalitäten sind anders, man kennt sich, will nicht auf Teufel komm raus Leute ranhängen.»

Schon bei der Berlinale im Winter war es Thema, im Juni wurde es offiziell: Es soll in Deutschland eine unabhängige «Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung» geben. Dazu gründeten Verbände und Gewerkschaften der Film- und Fernsehbranche mit Produzenten, Sendern, Theatern und Orchestern einen Trägerverein. Im Oktober soll die Beschwerdeschwelle ihre Arbeit aufnehmen.

Die Luft ist für skrupellose Männer und auch Frauen dünner geworden. Die neue Generation von Schauspielern tickt anders. «Diese Generation praktiziert mehr Offenheit, wo früher vielleicht verschämt geschwiegen wurde», sagt Sibylle Flöter vom Verband der Agenturen für Film, Fernsehen und Theater. Über die sozialen Medien könne heute über alles auch eine Öffentlichkeit hergestellt werden.

«Wenn Opfer die Erfahrung machen, mit ihrem Gewalterlebnis nicht allein bleiben zu müssen, sondern im Netz einen Raum finden, ihre Wahrheit aussprechen zu können, und man ihnen mit Empathie zuhört, dann schwindet ein Teil ihres Gefühls der Machtlosigkeit und des Ausgeliefertseins», sagt Flöter. Das alles sei so vor Jahren und Jahrzehnten nicht denkbar gewesen.

Auch umgekehrt könne man sich fragen, ob es eine Generationenfrage ist, zum Täter zu werden, sagt Sibylle Flöter. Nachdem #MeToo einmal einen Aufschrei verursachte wie nie zuvor, werde ein System des Schweigens nie mehr so möglich sein wie zuvor.

Ähnlich sieht es die Gewaltforscherin Prof. Monika Schröttle. «Natürlich ist sexueller Missbrauch in der Forschung und bei der Frauenbewegung seit 40 Jahren ein Thema», sagt sie. «Aber was jetzt bei MeToo passiert ist, ist schon was Besonderes, weil es von einer neuen Generation zumeist junger Frauen ausgeht.» Was bleibt also? Schröttle geht davon aus, dass die Debatte eine neue Generation sensibilisiert hat.

Doch nicht jeder sieht #MeToo so positiv - auch abgesehen von beleidigten älteren Herren, die sich kollektiv an den Pranger gestellt fühlen, gibt es Kritik. Die Philosophin Svenja Flaßpöhler beobachtet im Zuge der Debatte eine extreme Verhärtung des Geschlechterverhältnisses. «Die gesamte Aggression richtet sich bei MeToo auf den Mann. Aber es wird nicht gesehen, dass Frauen Machtstrukturen, die sie beklagen, häufig stützen - durch kulturell anerzogene Passivität und Zurückhaltung», sagt sie.

In einer Zeit, in der es rechtliche Gleichstellung gibt, seien die Individuen selbst für faktische Gleichstellung verantwortlich. «Es liegt im Wesen des Begriffs Autonomie, dass man Widerstände überwinden muss und Risiken in Kauf nimmt», sagt Flaßpöhler. «Ich kritisiere natürlich nicht, dass Frauen ihre Stimme erheben und eine lang zurückliegende Vergewaltigung ans Licht bringen», betont sie. Doch sie warnt vor öffentlichen Vorverurteilungen - sieht einen Anklagediskurs in der Debatte, einen Sexismus, der sich gegen den Mann richte.

Dieses Dilemma der Debatte lässt sich schwer auflösen. Am Anfang ist die Anschuldigung, durch #MeToo wird sie nun oft öffentlich. Was zwischen zwei Menschen in einem geschlossen Raum passiert, lässt sich oftmals im Nachhinein schwer aufklären. Das ist die Dramatik solcher Fälle - für beide Seiten. Es ist immer wieder ein Balanceakt - auch und gerade für Medien: Worüber berichten, worüber nicht? Denn selbstverständlich: #MeToo hat Menschen - in der Regel Männer - ihre Karriere und Reputation gekostet.

Für Gewaltforscherin Schröttle überwiegt das Erreichte. «Um Gewalt im Geschlechterverhältnis abzubauen, braucht es viel - ein wichtiger Punkt ist aber das Bewusstsein.» Ein solches Bewusstsein habe #MeToo geschaffen - eine junge Generation sei sensibilisiert worden. Sie hält das Argument, dass die Geschlechter im Umgang miteinander nun verunsichert seien, für «Augenwischerei». «In der Regel wissen Männer und Frauen schon, wann die Grenze überschritten und was nicht mehr angemessen ist.» Meist helfe der gesunde Menschenverstand.