Daß Kultur-Konzepte auch einmal scheitern können, ist nichts Ungewöhnliches, eher alltäglich. Doch die Masse, in diesem Fall die mögliche Konkursmasse, macht’s. Die Superlative für das Baden-Badener Festspielhaus sind inzwischen allseits bekannt: größtes Operngebäude in Deutschland, viertgrößter Theaterbau und wahrscheinlich auch das höchste ursprünglich angestrebte Kartenpreisniveau der Welt. Die Besetzungen der Haupt- und Nebenrollen des Dramas, in den letzten Wochen von der Tagespresse ausführlich geschildert, werden mit der Zeit wohl wieder in Vergessenheit geraten. Was bleibt allerdings, ist ein Menetekel für die deutsche Kulturpolitik.
Doch auch diese Medaille hat zwei Seiten: Die neue Festspielhaus-Führung setzt neu an. All jene, die es ernst und gut meinen mit ganz oder teilprivatisierten Konzepten für Kultureinrichtungen, werden lange zu leiden haben. Eben weil das Baden-Badener Festspielhaus gar nicht so richtig in Konkurs gehen kann, sondern die Steuerzahler, und das wurde durch die Konkursgefahr erst so richtig deutlich, auf jeden Fall die Zeche zu zahlen haben. Millionen, die zwar nicht aus Kulturkassen kommen, diesen aber mittelbar dennoch fehlen werden. Die Motivation von Politikern landauf und landab, Kultureinrichtungen zu finanzieren, wird weiter schwinden. Viele kleinere Initiativen und Projekte, aber auch die großen traditionellen Einrichtungen werden die skandalöse Großmannssucht mit auszubaden haben. Denn die Botschaft vom drohenden Konkurs in Baden-Baden, die bei einem Großteil der Bevölkerung und Politikern hängenbleiben wird, ist nur die halbe Wahrheit: Nicht die Immobilienfonds-Gesellschaft, die mit attraktiver Renditeerwartung Privatanleger gewonnen hat, die das Haus bezahlt haben, ist bedroht; die Einnahmen des Fonds, so sieht es aus, waren von vornherein durch direkte Zahlungen des Landes Baden-Württemberg und der Stadt Baden-Baden gegen das Betreiberrisiko abgesichert worden. Vom Konkurs bedroht war statt dessen die Betreibergesellschaft, die eigentlich durch die erfolgreiche Bewirtschaftung des Festspielhauses genug Geld verdienen sollte, um zumindest die Zahlungsverpflichtungen der Stadt zu senken. Und hier kommen die nächsten Millionen aus dem Steuersäckel ins Spiel. Der Imageschaden für die im Ausland so gepriesene reiche Kulturlandschaft Deutschlands, für das kulturpolitisch lange Zeit so stolze Baden-Württemberg und für die Stadt Baden-Baden, die soviel Hoffnung auf das Projekt gesetzt hatte, wäre viel zu groß, als daß die unter fiskalischen Gesichtspunkten wohl sicherste und sparsamste Lösung, nämlich die Schließung und der Leerstand des Hauses, auch nur erwogen werden konnte. Es ist gar nichts dagegen einzuwenden, daß Baden-Baden ein Festspielhaus hat. Die Freizeitforschung bestätigt den Trend zu Kultur- und Eventreisen, für einen gewissen Prozentsatz der Bevölkerung durchaus verbunden mit anspruchsvollerem Inhalt. Nicht wenige der durch die Verlagerung des Urlaubstourismus ins Ausland und zuletzt durch die Gesundheitsreform gebeutelten innerdeutschen Ferienziele setzen erfolgreich mit Kulturkonzepten auf Kurzreisende aus Deutschland und den Nachbarländern. Doch wo war die Kultur(management)-Kompetenz bei dieser Projektplanung? Wurde Marktforschung betrieben und das Konzept überprüft oder nur auf bekannte Namen gesetzt nach dem Motto: Ja, wenn die (namhaften, wenn auch branchenfremden Firmen oder Ex-Politiker oder Ex-Intendanten) dabei sind, wird es schon klappen? In Zeiten, wo selbst in den bisher vorbildhaften südlichen Bundesländern die musische Bildung kurzsichtig und folgenschwer gekürzt wird, schneiden die rund achteinhalb Millionen Mark, die der Staat für viele Jahre zu zahlen hat, scharf ins Bewußtsein: Manche Bundesländer haben für alle ihre Musikschulen zusammen deutlich weniger übrig. In Baden-Baden ist der Supergau eingetreten: Wie in Tschernobyl wird krampfhaft versucht werden, auf Teufel komm raus möglichst lange weiterzubetreiben. Hierzu wurde der Musikwissenschaftler Andreas Mölich-Zebhauser engagiert, der zuvor das Ensemble Modern organisiert hat. Im- merhin, die rund 9 Millionen Mark, die nach einem über Wochen andauernden, ständig neue Überraschungen bietenden Kassensturz für dieses Jahr fehlen, sind inzwischen von privater Seite gedeckt: Allein der Autoprüfer Dekra, der seine achtzig Prozent an der Betreibergesellschaft für eine Mark an die Stadt abgab, überwies über fünf Millionen, der Fonds hatte auch noch ein paar Millionen übrig, die allerdings von der Stadt verzinst werden müssen. Mölich-Zebhauser selbst bringt neben Ambitionen – „gehobene Unterhaltung und Raum für anspruchsvollere Programme“ – von seiner früheren Tätigkeit auch die Erfahrung im Akquirieren privater Geldgeber mit. Ob schon sein Verdienst oder nicht: Einer der größeren Förderer der New Yorker Metropolitan Opera fand sich bereit, die russischen Wochen mit der St. Petersburger Oper finanziell abzusichern. Ergebnis, nach all der Negativpresse keineswegs selbstverständlich: volles Haus bei der Premiere, allerdings nicht ausverkauft, sondern ausverschenkt. 13.000 Eintrittskarten wurden kostenlos an die Musikliebhaber der Region abgegeben, und diese strömen, also gibt es sie, sogar in der für das Festspielhaus benötigten großen Zahl. Sollte es gelingen, den zukünftigen Spielbetrieb in einer Mischung aus Erlösen vernünftig bepreister Eintrittskarten sowie Einnahmen von Sponsoren und Förderern weitgehend privat zu finanzieren, und sollte es gelingen, dabei das Programm jenseits von abgeklatschtem Starkult, mit denen die Möchtegern-Kulturmanager der ersten Stunde kläglich gescheitert sind, auch mit künstlerisch bedeutenden Inhalten zu füllen, könnte dem Festspielhaus Baden-Baden mittelfristig sogar eine Art Vorbildfunktion zuwachsen: Das Modell eines multifunktionalen, für Oper und Konzert umfassend ausgestatteten Festspielhauses, vom Staat gestellt, von privater Seite ohne weitere Zuschüsse bewirtschaftet, kann durchaus seinen Platz in der Riege der zentralen Kultureinrichtungen finden.Hauptrubrik
Ein kulturpolitischer Supergau im Ländle
Untertitel
Oder ein Pilotprojekt? Baden-Baden und die Folgen für uns alle
Body
Weiterlesen mit nmz+
Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.
Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50
oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.
Ihr Account wird sofort freigeschaltet!