Als einen „deutsch-französischen Künstlerdialog“ will die Bayer Kulturabteilung ihren umfangreichen Spielplan verstanden wissen, den sie in der Saison 2003/2004 dem 200. Geburtstag von Hector Berlioz widmet. In Orchesterkonzerten, unter anderem mit den Dirigenten Lothar Zagrosek, Michel Plasson, Sylvain Cambreling, John Nelson, Emmanuel Krivine und Roman Kofman, präsentiert er – von den Opern abgesehen – einen Großteil des Gesamtwerks des französischen Komponisten und setzt es in den musikgeschichtlichen Kontext seiner Zeit, einen Kontext, der für Berlioz in besonderer Weise von Deutschland geprägt war. Für die nmz sprach Juan Martin Koch mit Nikolas Kerkenrath, dem Leiter der Bayer Kulturabteilung, über seine Konzeption.
: Ein Berlioz-Konzertzyklus in Deutschland: Das weckt natürlich Assoziationen an die Erfolge, die der Komponist hier seit den 1840er-Jahren feierte. Inwieweit ist der französische Romantiker par excellence auch ein deutsches Phänomen?
Nikolas Kerkenrath: Die französische Romantik ist literarisch ja ohne deutsches Zutun nicht denkbar, ob das nun Heine, Hölderlin oder Goethe ist. Wenn man jetzt noch die Romantik dazu nimmt, die durch Shakespeare verursacht wurde, dann kommt eine wunderbare europäische Mischung zustande, aus der ein Berlioz entstehen konnte: Vergil, Shakespeare, Goethe, Gluck, Beethoven, Weber, seine wichtigsten Einflüsse – alles keine Franzosen. Er ist für mich bei allem Verwurzeltsein mit seiner Heimaterde kein französisches Phänomen. Und was Deutschland betrifft, so ist die Hilfe von dort evident: Sei es Liszt in Weimar oder Mendelssohn in Leipzig, der mit seiner Musik ja wirklich nicht zurecht kam, aber so fair war, ihn dort seine Werke dirigieren zu lassen. Heute aber ist Berlioz seit den großen „Sirs“ – vor allem Beecham und Davis, aber auch Norrington und Gardiner – eher ein britisches Phänomen, aber kein deutsches.
: Wo sehen Sie die Gründe dafür?
: Liegt es daran, dass die großen deutschen Musiker ihre Orientierung eher bei großen Deutschen suchen? Oder an einer Unfähigkeit zur Emotion, wo Berlioz doch nun mal komponierte Emotion pur ist? Er knallt von einem Extrem ins andere, ohne Übergang. Das ist phänomenal und er ist vielen Komponisten haushoch überlegen in der unglaublichen Fantasie, in der musikalischen Maßlosigkeit.
: …die sich auch niederschlägt in Stücken, die in die Schemata heutiger Konzertprogramme nicht so recht passen wollen…
: …die aber passend gemacht werden könnten. Schumanns Manfred-Ouvertüre mit „Harold in Italien“ zu kombinieren, wäre banal, aber so etwas wie Gielen es gemacht hat, der vor Beethovens Neunte Schönbergs „Überlebenden aus Warschau“ stellte – ähnliche Konstellationen könnte man auf Berlioz wunderbar übertragen.
: Wie schlagen sich diese Überlegungen in Ihrem Berlioz-Spielplan nieder?
: Das Thema ist umrissen, es heißt „Berlioz und seine Zeit“. Das ist, mit Verlaub, ein einfaches Thema. Eines, das uns die Musikgeschichte schenkt; wo wir Dinge zueinander bringen können, die manchmal zueinander gehören (manchmal gar nicht), aber eben in dieser Zeit und zwar in diesem typischen deutsch-französischen Umfeld entstanden sind. Entweder völlig eigenständig oder aber mit gegenseitigem oder einseitigem Einfluss wie etwa im Falle der Wirkung von Berlioz’ „Romeo und Julia“ auf Wagners „Tristan“, was wir im letzten Konzert hörbar machen wollen, oder was die Bedeutung Glucks für Berlioz betrifft: Das Lamento aus seinem „Orpheus“ und danach die Klage des Orphée aus Berlioz’ Kantate. Die Programme werden allesamt auf unseren Wunsch so gemacht, auch das Geburtstagskonzert am 11. Dezember mit einer seiner ersten bedeutenden Kompositionen, „Scène héroique“, der Hamlet-Musik „Tristia“ und – endlich einmal – „Lélio“, der Fortsetzung der „Symphonie fantastique“: Auf Deutsch, denn das Publikum soll hören, wie dieser Romantiker gelitten, geflucht und gelebt hat.
: Auch der Klavierzyklus ist in den Berlioz-Spielplan integriert, obwohl Berlioz ja der Nicht-Pianist schlechthin ist…
: Allerdings! Aber Liszt und Paris, das gehört eben dazu. Was hat der für Berlioz getan und dann natürlich die wunderbaren Transkriptionen, von denen Duchâble und Thibaudet etwas spielen werden.
: Sie widmen Ihren Zyklus dem 40. Jahrestag des Elysée-Vertrages. Welche kulturpolitische Botschaft senden Sie damit aus?
: Für mich ist Berlioz wieder so ein Fingerzeig dafür, die Geschichte nicht zu vergessen. Gerade heute ist es in Europa wichtig, dass gewachsene Beziehungen – und die deutsch-französische ist seit Adenauer und de Gaulle eine solche – gepflegt werden und da ist ein solcher Geburtstag natürlich ein wunderbarer Anlass, gerade auch für den deutsch-französischen Kulturrat, der die Schirmherrschaft für die Saison Berlioz übernommen hat. Die Texte, die Helene Harth und Jacques Rigaud in unserem Programmbuch über die Kulturbeziehungen geschrieben haben, unterstreichen unser Anliegen: „Berlioz und seine Zeit“ soll kein Musikspielplan bleiben, er soll ein Kulturbeitrag für heute sein. In einer Zeit, in der uns entweder das Gefühl ausgetrieben oder in ganz gefährliche Richtungen gelenkt wird, tut es gut, sich auf etwas so Ursprüngliches zu besinnen, wie Berlioz es ist.
Die umfangreiche Programmbroschüre zur Saison Berlioz, die am 7. und 8. September mit Konzerten der Jungen Deutschen Philharmonie und dem Orchestre Français des Jeunes in Leverkusen eröffnet wird, kann bei der Bayer Kulturabteilung angefordert werden. Sie dokumentiert auch die über den Konzertzyklus hinausgehenden Aktivitäten: die Kooperation mit dem Festival in Berlioz’ Geburtsstadt La Côte-Saint-André, die Gedenktafel, die am Pariser Conservatoire angebracht werden wird sowie einige Publikationen, darunter eine deutsche Ausgabe der „Memoiren“, die im Herbst bei Hainholz erscheinen wird.
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